Ubiquitous Computing: Keiner entkommt den smarten Gegenständen

Innovation und nachhaltige Entwicklung sind "eine Herausforderung an die politische Klasse der Informationsgesellschaft", hieß es auf einem internationalen Symposium zu "Perspektiven der Elektronik und der nachhaltigen Entwicklung".

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Von
  • Richard Sietmann

Für das Bundesforschungsministerium (BMBF) stehen Innovation und Nachhaltigkeit weiterhin ganz oben auf der Agenda. Das erklärte der Leiter der Abteilung Informations- und Kommunikationstechnik im BMBF, Manfred Dietrich, heute auf einem internationalen Symposium zu den "Perspektiven der Elektronik und der nachhaltigen Entwicklung" des Fraunhofer-Instituts für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM), das heute in der Technischen Universität Berlin stattfand. In diesem Zusammenhang verwies Dietrich auf den Master-Plan für Hightech-Innovationen an, den die Bundesregierung derzeit vorbereite und der "eine Brücke zwischen Forschung und entstehenden Märkten" bilden solle.

Neue Märkte werden darin vor allem auf den Gebieten der Werkstofftechnik, der Nanotechnologie, bei Mikrosystemen, der Elektronik, der optischen Technologien und in der Informations- und Kommunikationstechnik gesehen. Dabei sei Nachhaltigkeit unter Umweltgesichtspunkten eine Notwendigkeit wie auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Chance. "Nachhaltige Produkte erhöhen die Energie- und Materialproduktivität", erklärte Dietrich; "und damit stärken sie die Wettbewerbsfähigkeit". Die Mikroelektronik und ihre Anwendungen könnten erheblich dazu beitragen, mehr Nutzen mit dem gleichen oder weniger Material- und Energieaufwand zu erzielen.

Eine etwas andere Sichtweise auf den Begriff der "Nachhaltigkeit" – der in seiner ursprünglichen Bedeutung auf das Ende Raubbaus an natürlichen Ressourcen zielt – brachte der Vorsitzende des Nachhaltigkeitsrates der Bundesregierung, Volker Hauff, ins Spiel. "Nachhaltigkeit ist nichts anderes als das Management kollektiver Güter" und damit "eine Herausforderung an die politische Klasse der Informationsgesellschaft", erklärte er. Zu diesen kollektiven Gütern gehören neben den klassischen Umweltgütern Wasser, Boden Luft auch die Infrastrukturen des Verkehr, der Telekommunikation und der Energieversorgung. Eine Herausforderung sei es beispielsweise, "wie man das Verkehrsvolumen auf ein Niveau herunterbringt, auf dem das Wirtschaftswachstum nicht mehr an die Verkehrsleistung gekoppelt ist".

In der Energiepolitik attestierte Hauff – unter Helmut Schmidt einst selbst für kurze Zeit Bundesforschungsminister – der Bundesregierung eine "national verengte Perspektive" und falsche Orientierung. "Die deutsche Energiepolitik ist nicht auf dem neuesten Stand, sie hinkt, statt auf die Überholspur zu wechseln", kritisierte er. "Sie ist angebotsorientiert, anstatt sich auf die Nachfrageseite ebenso zu konzentrieren".

Die Angebotsseite der Informations- und Kommunikationstechnik skizzierte der Informatiker Friedemann Mattern vom Institute for Pervasive Computing der ETH Zürich anhand der Visionen des Ubiquitous Computing. "Die Computer werden kleiner, sodass sie verschwinden, aber gleichzeitig wird das Computing in den Hintergrundsystemen für uns allgegenwärtig werden." Die machtvolle Miniaturisierung der Elektronik ist anscheinend dazu bestimmt, auch noch die letzten Gegenstände der Alltagswelt nanoelektronisch aufzurüsten, mit Sensoren auszustatten und ad-hoc miteinander zu vernetzen – wo sonst sollten die Märkte herkommen, die allein Moore's Law am Leben halten können? Mehr Sicherheit bieten die telemetrische Überwachung von Patienten, die Hausapotheke, die Alarm schlägt, sobald eine Arznei das Verfallsdatum überschreitet, oder der Arbeitsplatz, der automatisch detektiert, ob der Beschäftigte die vorgeschriebene Schutzkleidung trägt und ob sie funktionsfähig ist. Mehr Bequemlichkeit verspricht Ubiquitous Computing, wenn die Wäsche mit der Waschmaschine selbsttätig das Programm aushandelt, und möglicherweise befriedet es auch den Straßenverkehr, wenn Autoversicherer künftig mit den aus dem Fahrtenschreiber gewonnenen Echtzeitdaten die Prämien anhand der Fahrweise ihrer Kunden berechnen. Der Aufrüstung mit smarten Gegenständen werde sich niemand entziehen können. "Man wird sie kaufen müssen, weil alle anderen es tun und man selbst nicht dümmer sein will als die anderen", beschrieb Mattern die mehr oder weniger subtilen Überzeugungskräfte des Marktes.

Hinsichtlich der Umweltauswirkungen der allgegenwärtigen Elektronik konnte er allerdings auch nur auf die Zweischneidigkeit der Entwicklung verweisen. Die Risiken lägen im steigenden Energiebedarf der massenhaft einsatzbereiten und funkenden Winzlinge, die als Bestandteil sämtlicher Alltagsgegenstände den Hausmüll später in Elektronikschrott verwandeln. Als Chancen verbuchte er die Optimierung des Energie- und Abfallmanagements durch die neuen Möglichkeiten des Monitoring und der Echtzeitsteuerung von Prozessen in der realen Welt. In der Diskussion musste sich Mattern allerdings vorhalten lassen, dass er den technologischen Trend zu sehr als Selbstläufer betrachtet und keine Ansatzpunkte oder Kriterien für Einwirkungsmöglichkeiten aufgezeigt hatte. Kann es in einer begrenzten Welt unbegrenztes Wachstum geben? Mit dieser Frage brachte ein Teilnehmer das Problem der Nachhaltigkeit auf den Punkt. Sie blieb unbeantwortet – die Artisten in der Zirkuskuppel sind weiterhin ratlos. (Richard Sietmann) / (jk)