Ukraine: Sorge um Atomkraftwerk Saporischschja wächst

Kiew und Moskau beschuldigen sich gegenseitig, das Atomkraftwerk Saporischschja angreifen oder sabotieren zu wollen. Die IAEA fordert zusätzliche Inspektionen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 39 Kommentare lesen

Block 5 des Atomkraftwerks Saporischschja.

(Bild: Energoatom, Archivbild)

Lesezeit: 3 Min.

Das von russischem Militär besetzte Atomkraftwerk Saporischschja in der Südukraine steht dieser Tage im Zentrum gegenseitiger Beschuldigungen Russlands und der Ukraine. Vor diesem Hintergrund wächst die Sorge in der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), sie fordert zusätzlichen Zugang für seine dort stationierten Beobachter.

Auf einem zusätzlichen Zugang wollen sich die IAEA-Experten vergewissern, dass keine Minen oder Sprengsätze verlegt wurden. Insbesondere sei der Zugang zu den Dächern der Reaktoreinheiten 3 und 4 sowie zu Teilen der Turbinenhallen und einigen Teilen des Kühlsystems der Anlage wichtig, sagte IAEA-Generaldirektor Rafael Mariano Grossi.

Ihre Experten haben laut IAEA in den vergangenen Tagen und Wochen Teile der Anlage inspiziert – darunter Abschnitte des großen Kühlbeckens – und auch regelmäßige Rundgänge durch das AKW unternommen. Dabei seien bisher keine sichtbaren Hinweise auf Minen oder Sprengstoffe festgestellt worden. Gleichzeitig habe das IAEA-Team berichtet, dass die einzige, zuvor unterbrochene Hauptstromleitung wieder repariert worden sei. Grossi hatte nach dem Ausfall dieser Leitung am Dienstag von einer prekären nuklearen Sicherheitslage gesprochen.

Moskau und Kiew bezichtigen sich gegenseitig, das AKW angreifen zu wollen. Das russische Militär habe auf den Dächern mehrerer Reaktorblöcke Gegenstände platziert, die Sprengstoff ähnelten, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstagabend in seiner täglichen Videoansprache. Aus Moskau hieß es dagegen, die ukrainischen Streitkräfte planten selbst einen Angriff auf das AKW, das nahe der Front liegt.

Das mit einer Bruttoleistung von 6000 MW größte Atomkraftwerk Europas steht seit Anfang März 2022 unter russischer Kontrolle. Alle sechs Reaktoren sind seit vorigem September heruntergefahren, Block 5 befindet sich in einer "Heißabschaltung", um Strom für den Eigenbedarf zu produzieren. Die vor knapp einem Monat begonnene ukrainische Gegenoffensive hat auch zum Ziel, das AKW zurückzuerobern.

Der Kreml bezeichnete die Lage um das AKW als "ziemlich angespannt". Die Gefahr einer ukrainischen Sabotage sei groß, "was von den Folgen her katastrophal sein kann", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch laut russischer Nachrichtenagentur Interfax. Russland werde alles tun, um einer solchen Gefahr entgegenzuwirken. Laut der russischen Nachrichtenagentur Tass bezichtigte Peskow Selenskyj der Lüge, die Ukraine plane selbst einen Anschlag auf das AKW.

Die Ukraine übte unterdessen heftige Kritik an der IAEA wegen ihres Umgangs mit dem Atomkraftwerk. Im Hinblick auf IAEA-Chef Grossi sagte der Berater des Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak: "Der Mensch ist absolut unwirksam beim Management des Schlüsselrisikos." Die IAEA habe "klare Einflusshebel" auf Russland, sagte er in der Nacht zum Mittwoch im ukrainischen Nachrichtenfernsehen. Druck auf den staatlichen Atomkonzern Rosatom hätte einen Abzug der Russen und eine Minenräumung erzwingen können, argumentierte er. Podoljak sprach dabei von einer "Clownerie" und bezeichnete Grossi als "dieser Mensch" und "das Subjekt Grossi".

(anw)