"Unrecord": Warum dieses Videospiel so echt aussieht

Ein Gameplay-Trailer zu "Unrecord" sieht so realistisch aus, dass Fake-Vorwürfe laut werden. Doch das Video ist echt – und eine Kostprobe der Spiele-Zukunft.

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(Bild: Drama Studios)

Lesezeit: 5 Min.
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Zwei Hände, eine Pistole und ein runtergekommener Betonbau: Millionen von Menschen haben in den vergangenen Tagen das rund zweiminütige Gameplay-Video zu "Unrecord" angesehen. Das Indie-Spiel wird von einem französischen Team namens "Drama" entwickelt, dem gerade einmal drei Personen fest angehören. Und doch sieht "Unrecord" im kurzen Trailer so täuschend realistisch aus, dass es manche sogar für einen Fake halten. Sie vermuten, hier sei einfach eine echte Gebäuderuine abgefilmt worden.

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Über die Webseite des Entwicklers kann das Video in voller Auflösung heruntergeladen werden.

Doch der Trailer zeigt wirklich Gameplay – das verraten beim genauen Hinsehen kleine Render-Kompromisse wie Screen Space Reflections im Fenster des Transporters, die verschwinden, sobald das gespiegelte Objekt verdeckt wird. Wie hat es das kleine Team um Programmierer Alexandre Spindler geschafft, dass "Unrecord" annähernd fotorealistisches aussieht? Tatsächlich spielt den französischen Drama Studios das Spielkonzept selbst stark in die Karten.

"Unrecord" ist ein Shooter, der aus der Perspektive einer am Körper getragenen Bodycam gespielt wird. Ständig wackelige Kamerabewegungen und ein grobkörniger Filter vertuschen typische Merkmale von Render-Grafik, ein aggressiver Vignetten-Effekt verhindert die Sicht auf Bildschirmränder. Gesichter sind in "Unrecord" gleich komplett verpixelt. Ähnliche Verschleierungsmethoden setzen zum Beispiel auch Gruppen ein, die Videospielmaterial aus Propagandazwecken als vermeintlich echte Kriegsvideos ins Netz stellen.

Dass "Unrecord" nicht aussieht wie ein typisches Videospiel, liegt auch an der ungewöhlichen Kamerabewegung. Üblicherweise ist die Kamera direkt an die Mausbewegung oder das Neigen des Gamepad-Sticks gekoppelt. Im Indie-Shooter bewegen sich Arme und Pistole dagegen erst einmal komplett unabhängig von der Kamera über den Bildschirm. Erst, wenn die Waffe den Bildschirmrand erreicht, zieht die Kamera nach.

Beim Spielen könnte das desorientierend wirken, in einem Video wirkt das aber "echter" als die typischen Kamerabewegungen von Videospielen. Dazu kommen die brillanten Animationen, die der schwedische Animationskünstler Milton Hjort beigesteuert hat. Nachladen und Rückstoß der Schusswaffe wirken äußert lebhaft, wozu erneut großzügige Kamerwackler und Unschärfeeffekte beitragen. Auch das Sound-Design überzeugt.

Nicht zuletzt trägt ein gewisser Mut zur Hässlichkeit zum realistischen Gesamteindruck bei: Die heruntergekommenen Flure mit ihren schlampigen Graffitis, verrosteten Stahlträgern und umgekippten Tonnen lassen sich dank einfach verfügbarer Fotogrammetrie-Objekte vergleichsweise einfach fotorealistisch abbilden.

Natürlich braucht es zusätzlich zu diesen Kniffen auch einen starken technischen Unterbau. "Unrecord" wird in der Unreal Engine 5 entwickelt, der aktuellen Fassung von Epics weit verbreiteter Spiele-Engine. Epic zeigt immer wieder eindrucksvolle Tech-Demos von dem, was UE5 zu leisten imstande ist. Noch sind diese Techniken aber kaum in Videospielen angekommen. Ausprobieren kann man UE5-Features wie Lumen und Nanite in Tech-Demos und in "Fortnite". Neue Spiele, die von Grund auf in der Unreal Engine 5 entwickelt wurden, gibt es bisher kaum.

"Unrecord" demonstriert, was selbst ein kleines Team mit der Unreal Engine 5 anstellen kann. Dass die Beleuchtung so realistisch aussieht, dürfte vor allem an Lumen liegen. Dahinter steckt eine Unreal-exklusive, hybride Raytracing-Methode, die authentische globale Beleuchtung und realistische Schatten in Echtzeit ermöglicht. Außerdem sorgt Lumen dafür, dass Lichtquellen glaubhaft mit Objekten interagieren. Derartige Fortschritte in der Beleuchtung verhindern den typischen Videospiel-Look, der unter anderem an leuchtenden Objekträndern und unrealistischen Schatten zu erkennen ist.

Dass die Unreal Engine so weit verbreitet ist, hilft besonders kleinen Entwicklerstudios. Auf dem Marktplatz finden sie eine große Auswahl an sogenannten Asset-Packs. Das sind vorgefertigte, meist thematisch gruppierte 3D-Objekte, die kombiniert und zu Levels geformt werden können. Das spart eine große Menge an Arbeit und erlaubt es selbst Teams ohne eigene Künstler, Umgebungen für ihre Videospiele zu bauen. Aus Fotos gescannte Assets für die Unreal Engine 5 (sogenannte "Megascans") sind dabei von der realen Vorlage kaum zu unterscheiden. Auch die französischen Drama Studios haben das gezeigte "Unrecord"-Level mit solchen Megascan-Assets gebaut, die sie entweder kostenlos heruntergeladen oder gekauft haben. Diverse Assets aus dem Unreal-Marktplatz sind klar im Video zu erkennen.

Ob "Unrecord" letztlich ein gutes oder zumindest interessantes Spiel wird, bleibt abzuwarten – auch die Grafik könnte weniger beeindruckend aussehen, wenn sie irgendwann auf herkömmlichen Consumer-Grafikkarten laufen soll. Ein Release-Datum ist genauso wenig bekannt wie die Systemanforderungen. Die demonstrierten Grafik-Fortschritte können wir in den kommenden Jahren auch in anderen Titeln erwarten, die mit der Unreal Engine 5 entwickelt werden und die neuen Features konsequent ausnutzen. Eins ist sicher: Die Frage "ist das eigentlich echt?" wird man sich bei Videospielen künftig häufiger stellen müssen.

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(dahe)