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Untertassen aus dem Weltall: Vor 70 Jahren geht UFO-Sichtung um die Welt

Ralf Bülow
Vor 70 Jahren: Untertassen aus dem Weltall

Fliegende Untertasse von McMinnville/Oregon, 11. Mai 1950

(Bild: Robert Sheaffer, CC BY-NC-ND 3.0)

Am 24. Juni 1947 überflog Kenneth Arnold mit seinem Eindecker den US-Staat Washington. Vor dem Mount Rainier sah er neun flache Objekte schneller als der Schall. Sein Bericht rief die Fliegenden Untertassen ins Leben, die immer noch unterwegs sind.

Das Kaskadengebirge zieht sich über 1100 Kilometer die Westküste Nordamerikas entlang und durch den US-Bundesstaat Washington. Wenn Bill Gates in Redmond aus dem Fenster schaut, sieht er an klaren Tagen 95 Kilometer im Süden den Mount Rainier, einen 4392 hohen und zurzeit schlafenden Vulkan. 100 Kilometer weiter südlich erhebt sich der 3734 Meter hohe Mount Adams. 50 Kilometer westlich von ihm liegt der Mount St. Helens mit 2549 Metern, der 1980 spektakulär ausbrach.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Am 24. Juni 1947, einem Dienstag, brummte ein kleines Propellerflugzeug über dem Südwesten des Bundesstaats. Im Cockpit saß Kenneth Arnold [2], 32 Jahre alt und Inhaber einer Firma für Sprinkleranlagen aus dem Staat Idaho. Er hatte eine Geschäftsreise beendet und war um 14 Uhr in Chehalis gestartet; der Ort liegt 100 Kilometer vom Pazifik entfernt. Er flog gen Osten; sein Ziel war das 200 Kilometer entfernte Yakima. Zunächst hielt Arnold Ausschau nach einem Flugzeugwrack im Gebirge. Als er nichts fand, steuerte er von Westen den Mount Rainier an.

CC BY-SA 3.0

Der Mt. Rainier, wie Arnold ihn hinter den "Untertasse" sah.

(Bild: Stan Shebs, CC BY-SA 3.0 [3] )

Bei bestem Wetter hielt er eine Höhe von 2800 Metern, als er gegen 15 Uhr einen Lichtblitz wahrnahm. (Ab jetzt basieren alle Angaben auf den späteren Aussagen Arnolds.) Er befürchtete einen Reflex von einem herannahenden Flugzeug, sah aber keines. Dann entdeckte er sie: neun flache Scheiben in Formation und in einiger Entfernung. Als schwarze Striche flogen sie in Nord-Süd-Richtung an den Gletschern des Mount Rainier vorbei und dann auch am Mount Adams. Nach zwei Minuten waren sie wieder außer Sicht.

So zeichnete Arnold die beobachteten Objekte

So zeichnete Arnold die beobachteten Objekte

In der kurzen Zeit versuchte Arnold, Geschwindigkeit, Distanz und Dimensionen der Flugkörper abzuschätzen. So verschwanden sie für Sekunden hinter einem niedrigen Gipfel in der Nähe des Mount Rainier. Aus der Position jenes Berges ermittelte Arnold eine Entfernung von 37 Kilometern. Der Durchmesser der Scheiben lag bei mehr als 30 Metern. Er konnte auch die Dauer ihrer Passage vor dem Mount Rainier und dem Mount Adams stoppen. Aus der zurückgelegten Strecke und der gemessenen Zeit folgte eine Geschwindigkeit von 1900 Stundenkilometern.

Nach der Begegnung mit den neun Scheiben setzte Kenneth Arnold die Reise in östlicher Richtung fort. Um 16 Uhr landete er auf dem Flugplatz von Yakima, und man kann verstehen, dass er dem Personal sein Erlebnis [4] berichtete. Anschließend stieg er wieder in seine Maschine und flog zum Städtchen Pendleton im Bundesstaat Oregon. Seine Geschichte eilte ihm voraus, und in Pendleton wurde er von der Lokalzeitung, dem East Oregonian, interviewt. Er buchte ein Hotelzimmer und kehrte am nächsten Tag ins heimatliche Idaho zurück.

Artikel in der "Chicago Sun"

Artikel in der "Chicago Sun"

Der Artikel [5] des East Oregonian erschien am 25. Juni 1947 und sprach von "nine saucer-like aircraft", die Arnold gesehen hätte. Die Zeitung gab den Text dann an die Nachrichtenagentur AP weiter, die sie im ganzen Land verteilte. Am 26. Juni schrieb die Chicago Sun von "Supersonic Flying Saucers Sighted by Idaho Pilot". Der Spiegel [6] erwähnte am 19. Juli "fliegende Untertassen". Damit war der Ausdruck geprägt und blieb lange in Umlauf: Die heutige Bezeichnung UFO, ein Kürzel für unidentifiziertes fliegendes Objekt, verbreitete sich in den 1950er Jahren.

Nach den ersten Zeitungsartikeln zu Kenneth Arnold meldeten sich andere Augenzeugen, die am Himmel seltsame Dinge erblickt hatten. Bis Ende Juni lagen 128 Fälle von Fliegenden Untertassen vor. Im Juli erhöhte sich die Zahl auf 850. Zu ihnen zählte auch das Ereignis, das sich bei der Gemeinde Roswell in New Mexico zutrug. Die Anfang Juli 1947 geborgenen Trümmer machten aber nur Schlagzeilen in der örtlichen Presse. Zum Mythos wurde "Roswell" erst 1980 durch ein Buch des US-Autors Charles Berlitz, der zuvor das Bermuda-Dreieck popularisiert hatte.

Die Überreste von "Roswell"

Die Überreste von "Roswell"

Vom Sommer 1947 an entwickelten sich die Fliegenden Untertassen zum globalen und immer noch florierenden Kulturphänomen. Es verwob Wissenschaft und Technik mit militärischen und geheimdienstlichen Aktionen, Literatur und Film und allen Formen der Verrücktheit. Die These, dass die Scheiben aus dem Weltraum kommen, dominierte seit den ersten Tagen. 1952 erzählte der US-Amerikaner George Adamski von dem Kontakt mit einem humanoiden Insassen. Kleine nackte Aliens traten 1977 in Steven Spielbergs UFO-Film "Unheimliche Begegnung der dritten Art" auf.

Schon im Herbst 1947 spürte das CIC, der Geheimdienst der US-Armee, die deutschen Ingenieure Reimar und Walter Horten auf, die im 2. Weltkrieg futuristische Nurflügler entwickelten. Sie bestritten aber, jemals Flugscheiben gebaut zu haben. Am 30. Mai 1950 stellte der Spiegel den Bremerhavener Erfinder Rudolf Schriever und seinen Flugkreisel [7] vor. Damit begann eine ganze Serie von Presseartikeln über Nazi-Untertassen, die angeblich 1945 in Prag abhoben. Später entstand noch die Legende von UFO-Basen eines Vierten Reichs in der Antarktis.

Ein "klassisches" UFO-Foto – aufgenommen am 16. Juli 1952 in Salem/Massachusetts

Ein "klassisches" UFO-Foto – aufgenommen am 16. Juli 1952 in Salem/Massachusetts

1956 gründeten der Maler Karl Veit und seine Frau Anny in Wiesbaden die Deutsche UFO/IFO-Studiengesellschaft DUIST. Das Wort IFO bezeichnet ein identifiziertes Flugobjekt. Der mystisch angehauchte Verein richtete 1967 einen UFO-Weltkongress aus, versank dann aber in der Bedeutungslosigkeit. Ein wissenschaftlicher Nachfolger war seit 1976 das Centrale Erforschungsnetz außergewöhnlicher Himmelsphänomene oder CENAP. Nach dem Tod des langjährigen Leiters Werner Walter im letzten Jahr konzentriert es sich auf normale Raumfahrt und Astronomie.

Kenneth Arnold war in den 1950er Jahren als UFO-Forscher tätig und wirkte auch an einem Buch zum Thema mit. 1962 bewarb er sich erfolglos um den Posten des Vizegouverneurs seines Heimatstaats. Aus dem Jahr 1977 existiert ein kurzes Video [8], in dem er zu sehen ist. Arnold starb 1984 im Alter von 68 Jahren. Eine vernünftige Erklärung für sein Erlebnis am Mount Rainier wurde bis heute nicht gefunden. (mho [9])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3754091

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/thema/Missing-Link
[2] http://www.project1947.com/fig/1947ka.htm
[3] https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en
[4] https://en.wikipedia.org/wiki/Kenneth_Arnold_UFO_sighting
[5] http://www.project1947.com/fig/1947a.htm
[6] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-39883763.html
[7] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44447768.html
[8] https://www.youtube.com/watch?v=X9ML2XqltZI&t=43s
[9] mailto:mho@heise.de