Vater des Masse-Mechanismus: Peter Higgs ist tot
Der britische Physiker Peter W. Higgs ist gestorben. Für die Theorie der "Herkunft von Masse" erhielt er gemeinsam mit François Englert 2013 den Nobelpreis.​
Worüber denken Sie beim Wandern nach? Peter Ware Higgs dachte dabei vor sechzig Jahren über Grundlagen der Elementarteilchenphysik nach, und entwickelte die revolutionäre Theorie eines bestimmten omnipräsenten Feldes. Beim Urknall, so die Theorie, sind unterschiedliche Elementarteilchen entstanden, allesamt masselos. Einen Sekundenbruchteil später haben bestimmte Teilchen mit dem Feld interagiert und sich dabei Masse "zugezogen". Nicht alle – zum Beispiel gelten Photonen (Lichtteilchen) im Standardmodell der Elementarteilchenphysik als masselos. Dank Masse gibt es Quarks, Atome und damit das Universum, wie wir es wahrnehmen können.
Higgs Idee war so radikal, dass die europäische Fachzeitschrift Physics Letters die Publikation von Higgs Text ablehnte. Bei der US-amerikanischen Publikation Physical Review Letters hatte der 1929 im englischen Newcastle upon Tyne geborene Mann mehr Glück. Doch war der Brite mit seiner Idee nicht alleine. Ungefähr zur gleichen Zeit hatten andere Physiker sehr ähnliche Ideen. Das waren die in Brüssel tätigen Physiker Robert Brout und François Englert sowie die in London forschenden Gerald Guralnik, Carl R. Hagen und Thomas W. B. Kibble. Somit erschienen innerhalb weniger Wochen gleich drei Aufsätze zum Thema in den Physical Review Letters.
Sie beschreiben, wie die winzigen Bausteine des Universums, die Materieteilchen, ihre Masse erhalten. Vereinfacht ausgedrückt fungiert das Higgs-Feld wie eine kosmische Sirupflasche von der Größe des gesamten Universums. Bewegen sich Teilchen durch das Feld, bleibt der "Sirup" an ihnen haften und verleiht ihnen ihre Masse.
Brout und Englerts Arbeit wurde vor Higgs’ Beitrag abgedruckt, weil die beiden vor Higgs eingereicht hatten. Dennoch setzte sich später Higgs Name als Bezeichnung für das Higgs-Feld durch. Und weil in der Quantenfeldtheorie die Interaktion eines Elementarteilchens mit einem Feld eine Welle zeigt, und jede Welle in einem Feld auch als subatomares Teilchen beschrieben werden kann (sie bewegen sich wie Wellen, tauschen Energie aber wie Teilchen aus), muss es ein entsprechendes Teilchen geben: Das Brout-Englert-Higgs-Teilchen, das zur Teilchenart der Bosonen zählt (Wechselwirkungsteilchen, nicht Materieteilchen). Bekannt geworden ist es als Higgsches Boson oder Higgs-Boson.
Nachweis nach bald 50 Jahren
Das Problem: Der Nachweis ist nicht simpel, zumal die Higgs-Teilchen nicht nur subatomar, sondern auch sehr instabil sind. Nach Bildung zerfallen sie ~sofort wieder, und dieser Verfall kann zu unterschiedlichen Teilchen als Zerfallsprodukt führen. Zunächst waren die Theorien zu Higgs-Feld und -Boson umstritten. Erst 48 Jahre nach Veröffentlichung der wissenschaftlichen Theorien gelang der experimentelle Nachweis.
Damals, 2012, konnten Physiker am europäischen Kernforschungszentrum CERN das "neue" Higgs-Boson nachweisen. Da war Brout bereits verstorben, Higgs und Englert emeritiert. Im Jahr darauf erhielten die beiden Letztgenannten für ihre Theorie mit den Higgs-Bosonen den Physiknobelpreis. Weitere zwei Jahre später folgte die Copley-Medaille. Die komplette Liste der Auszeichnungen und Ehren ist ellenlang, die Erhebung in den Adelsstand als Sir soll Higgs allerdings aus grundsätzlichen Erwägungen abgelehnt haben.
Kein "Gottesteilchen", bitte
Populärwissenschaftlich wird das Higgs-Boson auch als "Gottesteilchen" bezeichnet. Diese Bezeichnung lehnte der Atheist Higgs ab. Zudem betonte er, dass die Entwicklung der berühmten Theorie nur ein sehr kleiner Teil seines Lebenswerks gewesen sei.
Nun ist sein Lebenswerk zu Ende. Am Montag ist Higgs im Alter von 94 Jahren in Schottland verstorben. Er hinterlässt seine um sieben Jahre jüngere Witwe Jody sowie zwei Söhne.
(ds)