Verbände: Rechenzentren müssen bei Energiemangel prioritär versorgt werden

Angesichts einer drohenden Energiekrise fordern drei IT-Verbände, Rechenzentren unabhängig von ihrer Größe als systemrelevante Infrastrukturen anzuerkennen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 12 Kommentare lesen

(Bild: Gorodenkoff/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Bei Engpässen bei der Versorgung etwa mit Strom und Kraftstoff sollen Rechenzentren bevorzugt und am Laufen gehalten werden. Dies fordern die drei IT-Verbände eco, Bitkom und German Datacenter Association (GDA) in einem am Donnerstag veröffentlichten Positionspapier. Darin heißt es: "Vor dem Hintergrund der drohenden Energiekrise müssen systemrelevante IT-Infrastrukturen, die essenziell für die Funktionsfähigkeit unserer modernen Gesellschaft, Wirtschaft und des Staats sind, stärker berücksichtigt werden."

Rechenzentren (RZ) seien bei der Aufstellung eines Energieverteilungsplans bei anhaltender Knappheit prioritär zu behandeln, verlangen die Vertreter der Internetwirtschaft. Dafür müsse neu definiert werden, wann Serverfahren als kritische Infrastruktur (Kritis) und somit als systemrelevant gelten. Momentan diene als einziger Indikator die Größe, gemessen an der vertraglich vereinbarten elektrischen Leistung der IT.

Essenzielle kommunale IT-Infrastruktur wie Stadtwerke seien jedoch häufig bei kleineren Rechenzentren angesiedelt, geben die Verfasser zu bedenken. Die IT-Leistung dürfe deshalb nicht das allein herangezogene Kriterium sein. Auch die Kritikalität der IT-Systeme müsse beachtet werden, um alle entscheidenden Anlagen "ins Krisenmanagement" einbeziehen zu können. Etwa mit Diesel betriebene "Netzersatzanlagen" sollten zudem "von strengen Abgasbestimmungen durch eine Notfallverordnung ausgenommen werden, um im Krisenfall rechtskonform weiterbetrieben werden zu können".

Dass Serverfarmen prinzipiell systemrelevant sind, steht für die Branche außer Frage. Ohne Rechenzentren "kann heutzutage kein gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Bereich essenzielle Abläufe gewährleisten", konstatieren sie. Die Anlagen seien "das Fundament und der Eckpfeiler" der Digitalisierung. Der RZ-Sektor leiste "einen wesentlichen Anteil zur Erfüllung unserer wirtschaftlichen Ziele" und werde künftig hier noch stärker in Erscheinung treten.

Rund 130.000 Vollzeit-Arbeitskräfte sind aktuell in der RZ-Branche beschäftigt, heißt es in dem Papier. Zusätzliche 80.000 Jobs seien indirekt von Rechenzentren abhängig. Dies mache die Sicherung von Fachkräften in den Bereichen IT sowie Strom- und Klimaversorgung besonders dringlich. 2025 werde allein der sogenannte Colocation-Markt voraussichtlich einen Umsatz von 11,5 Milliarden Euro erwirtschaften. 2022 belaufe er sich auf 7,9 Milliarden Euro. Colocation bezeichnet die Bereitstellung von Rechenzentrumskapazitäten an mehrere Drittunternehmen. 2020 machten solche geteilten Lösungen 40 Prozent der RZ-Kapazität in Deutschland aus.

"Auch zum Erreichen der klimapolitischen Herausforderungen leistet die Branche bereits heute einen wesentlichen Beitrag, der noch erheblich verstärkt werden kann", halten die Verbände fest. Dies sei allerdings "nur mit zielgerichteter Unterstützung durch wirtschafts- und energiepolitische Rahmenbedingungen möglich".

So müsse etwa die CO₂-freie Abwärme von Rechenzentren stärker ins Nah- und Fernwärmenetz eingespeist werden als bisher, lautet ein Postulat. Da die notwendige kommunale Netzinfrastruktur für Fernwärme nicht entwickelt sei, fänden Betreiber bislang nur wenige Abnehmer. Wenn die Politik hier zeitnah reagiere, könne die Abwärmenutzung von Rechenzentren in den kommenden Jahren "zu den Toplösungen zählen, um Energiekosten und CO₂ zu sparen". Davon geht zumindest Béla Waldhauser, Sprecher der unter dem Dach des eco gegründeten Allianz zur Stärkung digitaler Infrastrukturen. "Dieses Potenzial darf nicht ungenutzt in der Luft verpuffen."

Bitkom, eco und GDA werben daher dafür, dass CO₂2-freie Abwärme im Zuge des Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz als "innovative grüne Energiequelle" definiert und vorrangig ins Netz eingespeist werden sollte. Für eine konsequente und erfolgreiche Umsetzung der Energiewende müssten zudem der Ausbau sowie die Verfügbarkeit von Strom aus erneuerbaren Energien in Deutschland beschleunigt werden.

Die Branche unterstützt ferner das Ziel der Ampel-Koalition, neue Rechenzentren von 2027 an klimaneutral zu betreiben. Auch bestehende Rechenzentren verbesserten in den vergangenen Jahren kontinuierlich ihre Energieeffizienz, heben sie hervor: Verglichen mit dem starken weltweiten Anstieg der Rechenleistung um den Faktor 10 und der übertragenen Datenmenge, die um den Faktor 20 nach oben geschnellt sei, habe sich der Energiebedarf lediglich um den Faktor 1,55 und damit unterproportional erhöht.

Technikfolgen-Abschätzer schlugen dagegen gerade Alarm, dass Fortschritte bei der Energieeffizienz von elektronischen Komponenten für Informations- und Kommunikationstechnologien zunehmend durch den enormen Anstieg der Nutzung digitaler Anwendungen konterkariert würden. Aufgrund des pandemiebedingten Digitalisierungsschub habe der Energieverbrauch der digitalen Infrastrukturen 2020 höher als prognostiziert gelegen. Die Rechenzentren in Deutschland schluckten demnach in besagtem Jahr 16,0 Terawattstunden (TWh). Damit erscheine ein "Worst-Case-Szenario" plausibel. Auch die Forscher mahnen unter anderem zur stärkeren Abwärmenutzung.

Um wesentliche RZ-Kapazitäten hierzulande bedarfsgerecht auszubauen, müssen aus Sicht der Verbände zudem bürokratische Prozesse enorm verschlankt werden. So sollte das Investitionsbeschleunigungsgesetz auf Serverfarmen ausgeweitet werden. Insbesondere kommunale Planungs- und Genehmigungsverfahren müssten digitalisiert, beschleunigt und vereinheitlicht werden.

"Allein für die Baugenehmigung eines Rechenzentrums rechnen wir in Deutschland mit sechs, neun, aber auch manchmal zwölf Monaten", brachte Waldhauser ein Beispiel. Das sei eindeutig zu lang, wenn alle Beteiligten die Digitalisierung vorantreiben und mit deren Hebelwirkung "gleichzeitig die Klima- und Energiekrise bewältigen" wollten.

Handlungsbedarf gibt es laut den Verfassern auch bei den hiesigen hohen Stromkosten. "Nur wenn die Energiekosten im europäischen und internationalen Vergleich wettbewerbsfähig sind, kann Deutschland zum Top-Standort für Rechenzentren werden", unterstreichen sie. Vor allem für hochverfügbare Serverfarmen sei ferner die kontinuierliche Verfügbarkeit von Strom von enormer Bedeutung.

(olb)