Verhandlungen zur DNS-Aufsicht hinter verschlossenen Türen

Das Internet Governance Forum unter Ägide der UN soll sich mit Spam, Cybercrime, und Entwicklungspolitik beschäftigen. Die politische und technische Aufsicht über das Internet wollen USA, EU, Australien und einige andere unter sich aushandeln.

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Von
  • Monika Ermert

Das vom Weltgipfel der Informationsgesellschaft (WSIS) beschlossene Internet Governance Forum (IGF) soll sich mit Spam, Cybercrime und Multilingualismus sowie dem großen Thema "IT und Entwicklung" beschäftigen. Die heiß umstrittenen Fragen zur technischen und politischen Aufsicht über das Internet und das Domain Name System, also etwa die künftige Aufsicht über die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN), wollen die USA, die EU, Australien und weitere einzelne Regierungen hinter verschlossenen Türen verhandeln. Entwicklungsländer, die die Sonderrolle der USA bei der DNS-Aufsicht am meisten kritisiert hatten, sollen draußen bleiben. Der Vertreter der australischen Delegation sagte zum Abschluss von Verhandlungen über die erste IGF-Sitzung im Herbst in Athen: "Ein unabhängiger Parallelprozess wurde zu diesen Fragen gestartet und man sollte sich am besten dieses Prozesses bedienen." Das umstrittene Aufsichtsthema innerhalb der offenen IGF zu diskutieren, würde diesen Parallelprozess lediglich beeinträchtigen.

"Wenn es diesen zweiten Prozess gibt, möchten wird ihn gerne offengelegt haben und hätten auch gerne gewußt, wie der Rest von uns sich daran beteiligen kann," kritisierte US-Kommunkationsforscher Milton Mueller, Gründer des Internet Governance Project. Mueller kritisierte, dass das Nebengleis von vornherein die Legitimität des IGF-Prozesses in Frage stelle. Mehrere Regierungen hatten befürwortet, das Forum solle sich auf nicht-kontroverse Themen konzentrieren. Die nicht mehr ganz geheimen "Geheimverhandlungen" erklären auch die Zurückhaltung der EU- und US-Delegation in den IGF-Vorverhandlungen. Brasilien hatte demgegenüber gefordert, das Thema Aufsicht über Internetressourcen und "verbesserte Zusammenarbeit" innerhalb der IGF auf die Tagesordnung zu setzen.

Dem IGF dürfe auf keinen Fall auf Dauer die Möglichkeit zur Behandlung kontroverser Themen vorenthalten werden, forderten zudem Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen. Der Themen Spam und Cybercrime hätten sich zudem längst andere internationale Gremien von der OECD bis zur ITU angenommen. Das IGF zum Anfang lediglich mit diesem Themen zu beschäftigen, widerspreche der allseits wiederholten Forderung, das neue Gremium solle keine Themen aufgreifen, die bereits anderweitig behandelt würden. Unterstützt wird die Idee, wenig kontroverse Themen zu diskutieren, allerdings auch von den verschiedenen Netzverwaltungsorganisationen, etwa den IP-Adressverwaltern der Regional Internet Registries (RIR), die damit offenbar auf ruhigeres Fahrwasser für die eigene Arbeit hoffen.

Geringer Beliebtheit erfreut sich übrigens auch das andere Reizthema des Weltgipfels der Informationsgesellschaft, die Frage der Menschenrechte im Cyberspace. Rikke Frank Jorgensen vom dänischen Institute of Human Rights forderte dringend, dass das IGF eine Studie zur Vereinbarkeit neuerer Internetüberwachungsgesetzgebung und verbriefter Grundrechtsstandards in Auftrag geben solle. Das Menschenrechtsthema sei in den IGF-Diskussionen unterbelichtet, betonte auch ein Vertreter des Europarates gegenüber heise online.

Vorrangig wird das kleine IGF-Sekretariat Entscheidungen zu den Daten und dem Format des Treffens in Athen im Herbst vorbereiten und UN-Generalsekretär Kofi Annan unterbreiten. Dem Gastgeber Griechenland sagte Nitin Desai, Annans Sonderbeauftragter für das Thema WSIS und Internet Governance, man rechne mit 500 bis 600 Teilnehmern. Innerhalb der nächsten 10 Tage sollen sich alle Beteiligten noch einmal schriftlich dazu äußern, wie das dringend einzusetzende Programmkomitee besetzt werden soll. Regierungen wie private Gruppen befürworteten in Genf mehrheitlich ein einziges Gremium unter Beteiligung von Regierungs-, Wirtschafts- und NGO-Vertretern. In die Hände dieses Programmkomitees will Desai dann auch die leidige Themenfrage legen. "Das sollte nicht von der UN in New York entschieden werden", meinte Desai.

In welchem Maß das IGF künftig an die Vereinten Nationen angebunden sein wird, wurde in Genf ebenfalls verhandelt. Einigkeit herrscht dabei weitgehend darin, dass das IGF nach ganz eigenen Regeln, und nicht wie die eher schwerfälligen UN-Prozesse funktionieren soll. Wie das nun aber genau aussehen soll, dürfte auch beim ersten offiziellen Meeting in Athen noch Thema sein. "Ein bißchen wie die OECD" werde das IGF arbeiten, meint der OECD-Vertreter: weil es nur Empfehlungen machen und keine Verträge aushandeln soll. Ein bißchen wie die IETF soll man arbeiten, mit ad hoc zusammentretenden Arbeitsgruppen, empfahl Sebastian Ricciardi von der Internet Society Argentina.

Die Internet Society ihrerseits will Desai gerne für mögliche Briefings zu internetbezogenen Themen während der Sitzungen einspannen. Er forderte zudem, dass besser betuchte Nichtregierungsorganisationen und die Wirtschaft nicht nur geistig, sondern auch finanziell Beiträge liefern sollten. Geld fehlt nicht zuletzt für die Beteiligung von NGOs und Unternehmen aus Entwicklungsländern, die vom ganzen Internet-Governance-Konferenzzirkus, der durch das IGF noch eine Runde mehr dreht, praktisch ausgeschlossen sind. Je attraktiver die Programme, desto interessantere Leute werde das Forum anziehen, sagte der australische Regierungsvertreter. "Damit wird auch die Finanzierung wieder leichter." Wenn sich allerdings in Zukunft zeigt, dass das IGF tatsächlich zur "Laberbude" wird, geht das Kalkül wohl nicht auf. Brasilien hat angesichts der möglichen Unterschlagung der harten Netzverwaltungsthemen einfach die Flucht nach vorne angetreten und zum Abschluss des Forums die zweite IGF-Konferenz nach Rio de Janeiro eingeladen.

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(Monika Ermert) / (jk)