Verschärfte Abtreibungsgesetze in Spanien: "Nicht zurück ins Mittelalter"

In Madrid demonstrieren Frauen gegen den Rückfall in Zeiten der Franco-Diktatur; Unterstützung erhalten sie in Frankreich, wo in 30 Städten ebenfalls gegen die Reform der Abtreibungsgesetze protestiert wurde

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Damit hatten die 150 Frauen im "Zug für die Freiheit" nicht gerechnet. Dass gestern in der Hauptstadt Madrid für das Recht auf Abtreibung demonstriert wurde, ging auf eine Initiative aus dem nordspanischen Asturien zurück. Und der Empfang der Frauen aus Nordspanien am Madrider Bahnhof Atocha war kolossal.

Sie hatten nicht erwartet, dass sie von zehntausenden Menschen erwartet wurden, um später gemeinsam auf den Straßen der Hauptstadt das derzeitige Abtreibungsrecht zu verteidigen. "Wir danken euch für diese Unterstützung", schreit die 57-jährige Begoña Piñero in Atocha ins Megafon. "Es lebe das Recht auf eine freie Entscheidung", hallt die Stimme der Vorsitzenden der Frauenvereinigung "Tertulia Feminista Les Comadres" blechern über die Menge.

Wie Piñero will auch Maribí González aus Gijón nicht, dass ihre Tochter nach London oder in die Niederlande zum Schwangerschaftsabbruch reisen muss, wie es vor 30 Jahren in Spanien nötig war. Erst 1985 wurde ein legaler Abbruch möglich, wofür auch González gekämpft hatte. "Wir hatten uns angekettet, um für das Recht auf freie Abtreibung zu protestieren", erklärt sie. Damals wurde sie von der Polizei festgenommen. Dass ihr das erneut blühen kann, damit hätte sie "nie gerechnet". Einst habe es nur die Möglichkeit gegeben, das Geld für die Reise zu besorgen oder sich in gefährliche Hände eines Engelmachers auf einem Küchentisch zu begeben.

Doch viele Frauen wollen nicht zurück ins "Mittelalter", weshalb sie mit den "Comadres" in die Hauptstadt gezogen sind. Was der "weißen Flut" gerade gelungen ist - dass ein Gericht die Privatisierung der Krankenhäuser gestoppt hat -, wollen nun auch die Abtreibungsegner5 in der Hauptstadt erreichen.

Das Rad der Geschichte zurückdrehen

In Madrid versucht die regierende Volkspartei (PP), das Rad der Geschichte zurückzudrehen in eine Zeit, als eine Abtreibung in Spanien in der Franco-Diktatur noch strafbar war. Der vor Weihnachten von Justizminister Alberto Ruiz Gallardón vorgelegte Gesetzesentwurf will die Fristenlösung rückgängig machen, die es Frauen in Spanien seit 2010 erlaubt, bis in die 14. Schwangerschaftswoche abzutreiben, wogegen die Konservativen auf die Barrikaden gingen.

Die wollen nun - seit 2011 erneut an der Regierung - aber nun auch hinter die Lösung aus dem Jahr 1985 zurückgehen, die sie in ihren Regierungsjahren zwischen 1996 und 2004 unangetastet ließen. Gallardón will die "Rechte von Ungeborenen" schützen. Eine legale Abtreibung soll nur noch bei einer angezeigten Vergewaltigung möglich sein oder wenn in besonders gravierenden Fällen von schweren Missbildungen des Fötus das Leben der Mutter gefährdet ist. Wer dagegen verstößt, soll sich wieder strafbar machen.

Starke Unterstützung erhalten spanische Frauen aus Frankreich. Dort hatte sich die Regierungssprecherin Najat Vallaud‑Belkacem "geschockt und bewegt" gezeigt und einen Brief an Ministerpräsident Mariano Rajoy geschrieben. Französinnen hatten sich nicht nur am Protest in Madrid beteiligt, sondern in Frankreich fanden in etwa 30 Städten Solidaritätsmärsche statt.

Proteste in Frankreich

In Paris sollen sich daran nach unterschiedlichen Quellen zwischen 16.000 und 40.000 Menschen beteiligt haben. Mit Stricknadeln im Haar, Kleiderbügeln und Metallhaken spielten sie auf die Werkzeuge an, die Engelmacher bei improvisierten Abtreibungen benutzen. Auch in London und anderen europäischen Städten kam es zu kleineren Protesten vor spanischen Botschaften.

Der Gesetzesentwurf wird noch nicht im spanischen Parlament debattiert. Es scheint, dass er vor den Europaparlamentswahlen im Mai zunächst auf Eis gelegt wird. Denn die Reform ist es auch bei Rajoys Konservativen umstritten. Parteiführer, wie der Präsident der Regionalregierung in Galicien, Alberto Núñez Feijóo, sehen besorgt Frauen in Scharen ins Nachbarland Portugal ziehen. Dort hatte die Bevölkerung 2007 mehrheitlich per Referendum einer Fristenlösung zugestimmt.

Ultrakonservativen geht die Reform noch nicht weit genug

Doch Ultrakonservativen in Spanien und Rajoys PP geht die Reform noch nicht weit genug. Wie die Bischofskonferenz kritisieren sie, dass in Ausnahmenfällen noch abgetrieben werden darf. "Niemand hat das Recht, unter keinen Umständen, einem unschuldigen Menschen das Leben zu nehmen", erklärten die Bischöfe vor dem Parteikonvent der PP am Wochenende. Dort griff der Justizminister unerwartet das Thema auf.

"Weder Schreie noch Beleidigungen können mich von der Verpflichtung gegenüber dem Regierungschef" abbringen, sagte Gallardón am Samstag mit Blick auf die Proteste.