Verschlimmbessertes Urheberrecht: Spotify schließt in Uruguay​

Uruguays Musiker gehen online oft leer aus. Eine Gesetzesnovelle will das ändern, ruiniert dabei aber Creative Commons sowie Einnahmen aus Streaming.​

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Ein Mann mit Hut, Sonnenbrille und rot-schwarz kariertem Hemd singt in ein Mikrofon; hinter ihm Lautsprechen, Mikrofonständer und ein Schlagzeugset

Das Symbolbild zeigt den tansanisch-kanadischen Musiker Leonard Boniface bei einem Konzert in Whitehorse am Canada Day 2023.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Uruguays Urheberrecht fehlt bislang eine Regelung, die Musikern Tantiemen im Online-Geschäft sichert. Während Komponisten und Librettisten beziehungsweise Musikverlage und Plattenlabels grundsätzlich Anspruch auf Bezahlung haben, wenn ihre Werke gestreamt oder heruntergeladen werden, gehen die in den Aufnahmen tätigen Musiker leer aus, wenn sie nicht gleichzeitig Komponisten oder Textautoren sind. Eine Gesetzesnovelle soll das ändern, richtet dabei aber viel Schaden an.

Die neue Rechtslage ist so unsicher, dass Spotify die Flucht ergreift. Anfang 2024 stellt der Streamingdienst sein Angebot in Uruguay ein. Gleichzeitig entzieht die Gesetzesnovelle Uruguays Musikern die weltweit üblichen Exklusivrechte für ihre Arbeit und ersetzt sie durch ein schwammiges Recht auf "faire und angemessene Vergütung", welches sie aber nicht selbst geltend machen können. Das geht offenbar nur noch über vom Staat autorisierte Verwertungsgesellschaften.

Die unscharf formulierte Novelle dürfte Uruguays Musiker auch die Möglichkeit entziehen, unterschiedliche Verträge für die Verwendung ihrer Arbeit im Rundfunk, auf Tonträgern, bei Veranstaltungen oder im Internet abzuschließen. Haben sie einmal einen Vertrag mit einer Verwertungsgesellschaft geschlossen, müssen sie womöglich jede Verwendung ihrer Aufnahmen hinnehmen, egal, wer sie in welchem Zusammenhang gebraucht oder missbraucht. Wie sich der Wegfall der üblichen Exklusivrechte auf internationale Verträge auswirkt, die Uruguays Künstlern bislang eine Beteiligung an Tantiemen bei Nutzung ihrer Werke im Ausland sichern, ist offen.

Dem nicht genug: Das Gesetz verbietet ausdrücklich Lizenzen ohne Bezahlung der Musiker. Selbst wenn ein Musiker kein Geld haben möchte, kann er darauf nicht rechtswirksam verzichten. Auch die Verwertungsgesellschaften müssen immer Geld eintreiben, selbst wenn der Musiker es nicht will oder unbekannt ist. Damit werden gemeinfreie Lizenzen sowie Creative Commons unwirksam; wer sich in Uruguay auf solche Verträge verlässt, könnte eine saftige Rechnung erhalten.

Offen lässt das Gesetz allerdings, wer zahlen soll. Damit könnte schon das Setzen eines Hyperlinks, der zu einem Youtube-Video führt, die Zahlungspflicht auslösen – nicht nur für Youtube, sondern auch für denjenigen, der den Link weitergegeben hat.

Weil es keine Ausnahmen für Bildung oder nicht-kommerzielle Nutzung gibt, trifft das Risiko beispielsweise auch Lehrer, die ihren Schülern eine Aufnahme vorspielen oder bloß den Link zu einem Online-Video geben. Ebenso droht Personen, die eigene Kreationen veröffentlichen, in denen fremde Aufnahmen enthalten sind, Zahlungspflicht, selbst wenn sie kein kommerzielles Interesse haben und die Veröffentlichung auf einer Plattform erfolgt, die bereits entsprechende Lizenzen bezahlt. Das ist der berühmte Fall des User Generated Content.

Sogar digitale Bibliotheken agieren plötzlich illegal; kein Wunder, dass der Verband der Bibliotheken Uruguays den Gesetzesentwurf scharf kritisiert. Der Ruf nach Ausnahmen für Bildung sowie Bibliotheken und andere nicht-kommerzielle Nutzung ist im Parlament allerdings ungehört verhallt.

Weil offen ist, wer genau zahlen soll, fürchtet Spotify, durch das Gesetz ein zweites Mal zur Kasse gebeten zu werden. Der Streamingdienst überweist bereits fast 70 Prozent seiner Einnahmen an Plattenlabels und Musikverlage für entsprechende Lizenzverträge. Dass die Lizenzgeber ihre Einnahmen in Uruguay zwar mit Komponisten und Textautoren teilen, nicht aber mit den Musizierenden, ist eine lokale Besonderheit. Uruguays Novelle lässt offen, ob nun die Plattenlabels ihre Einnahmen anders ausschütten müssen, oder ob beispielsweise Streamingdienste zusätzlich zahlen sollen.

Streamingdienste können eine zusätzliche Urheberrechtsabgabe für Uruguays Musiker nicht sinnvoll durch Preiserhöhungen finanzieren. Denn von höheren Einnahmen würde wieder der Löwenanteil an Labels und Musikverlage gehen. Die üblichen Lizenzverträge lassen Streaminganbietern praktisch keinen Spielraum dafür, Geld an Labels und Verlagen vorbei zu Musikern zu leiten. Vergeblich hat Spotify die Regierung Uruguays im Vorfeld der Novelle gewarnt.

Also sieht sich Spotify gezwungen, seinen Dienst in Uruguay einzustellen. Das finanzielle Risiko ist einfach zu hoch. Andere Streamingdienste dürften folgen. Alleine durch Spotifys Rückzug verliert Uruguays Musikbranche mehrere Millionen Euro pro Jahr. Für die bislang unbezahlten Musiker macht das unmittelbar keinen Unterschied, wohl aber für Komponisten, Textautoren, Verwertungsgesellschaften, Plattenlabels und Musikverlage sowie das Steueraufkommen.

Dabei ist in Uruguay grundsätzlich unumstritten, dass Musiker für ihre Arbeit bezahlt werden sollen, wenn die Aufnahmen Umsatz machen. Doch der Versuch, das Urheberrecht nebenbei mit drei schwammigen Paragraphen in einem Budgetgesetz zu reformieren, dürfte mehr schaden als nutzen.

Zum neuen Gesetzeswortlaut siehe Artículos 329-331 in der Approbacion de Rendición de Cuentas y Balance de Ejecución Presupuestal, Ejercicio 2022. Eine Gegenüberstellung der alten und neuen Rechtslage bietet ein Dokument des Verbands der Bibliotheken Uruguays, wo die neuen Paragraphen als Artículos 284 und 285 bezeichnet werden. Die Nummerierung hat sich im Zuge der Beschlussfassung im Parlament noch verschoben.

(ds)