Verschwörungstheorien als Krise der Institutionen

Durch die Konzentration wirtschaftlicher Macht sei die Krise deutlich verschlimmert worden, meint der Internetaktivist Cory Doctorow.

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Verschwörungstheorien als Krise der Institutionen

Cory Doctrow hielt seinen Vortrag für die re:publica in seinem Daheim.

(Bild: re:publica.tv)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
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Der Autor und Aktivist Cory Doctorow sieht in den rund um das Coronavirus kursierenden Verschwörungstheorien eine Krise der Institutionen. Auf der Internet-Konferenz re:publica folgerte er daraus harsche Kritik an Neoliberalismus und den großen IT-Konzernen.

"Die eine Eigenschaft, die Verschwörungstheoretiker vereint, ist der mangelnde Glaube in die Institutionen, die in unserer Gesellschaft dafür zuständig sind, Wahrheiten festzustellen", erklärte Doctorow. Diese Institutionen seien bereits jenseits der aktuellen Krise immer wichtiger geworden. So könne eine Einzelperson in der Regel nicht beurteilen, ob die Software eines Flugzeuges nicht zu einem Absturz führen kann oder den eigenen Kindern eine adäquate Ausbildung garantieren.

Verschwörungstheoretiker wie Prepper glaubten jedoch nicht an eine solche gegenseitige Abhängigkeit. Stattdessen hingen sie einer Fantasie an, die ihnen im Krisenfall eine zentrale Rolle in der Gesellschaft zuweise. So bereiteten sich Leute, die gut schießen können, auf Krisenszenarien vor, für die eine gute Bewaffung essenziell sei. Ähnliche Beobachtungen hatten auch andere Vortragende auf der re:publica vorgestellt.

Entgegen vieler Klischees seien Verschwörungstheoretiker oftmals nicht einfach zu faul, sich mit den Fakten zu beschäftigen. Zum Beispiel beschäftigten sich Impfgegner sehr intensiv mit der Opioid-Krise in den USA, die darauf beruhte, dass ein Pharmahersteller systematisch Ärzte und Apotheker beeinflusst habe. "Heute ist die Sackler-Familie reicher als die Rockefellers", betonte Doctorow.

Verschwörungstheoretiker zögen daraus den Schluss, dass den Institutionen insgesamt nicht mehr zu vertrauen sei und dass alle Entscheidungen gekauft seien. Die Internet-Konzerne würden das Problem zwar nicht verursachen, sie dienten aber dazu, Gleichgesinnte zu finden und die eigenen Überzeugungen zu verstärken. In der Ablehnung des gemeinschaftlichen Aspekts der Gesellschaft entsprächen die Verschwörungen einer neoliberalen Ideologie, die die beklagten Machtkonzentrationen überhaupt zustande gebracht hätten.

Um das Vertrauen der Öffentlichkeit auf lange Sicht wieder herzustellen, fordert Doctorow, den Einfluss und damit auch die Größe der Konzerne langfristig zu beschränken, sodass diese nicht mehr unmäßig in den Wissensprozess von Gesellschaften eingreifen könnten. Gerade die IT-Konzerne seien ein Paradebeispiel für die Fehlentwicklung. Im Gegensatz zu dem verbreiteten Image seien diese nicht in ihre heutige Position gelangt, weil sie überaus innovativ seien, sondern weil sie ungehindert jede erfolgreiche Konkurrenzfirma aufkaufen konnten. "Google etwa hatte nur anderthalb erfolgreiche Produkte", sagte Doctorow.

Eine falsche Entwicklung sei es deshalb, den Konzernen zentrale Aufgaben zukommen zu lassen, die eigentlich von Staaten erfüllt werden müssten. Ein Beispiel dafür seien die Uploadfilter, die durch die EU-Urheberrechtsreform beschlossen worden seien. Durch solcherlei werde effektiv verhindert, dass die Macht der Konzerne irgendwann wirkungsvoll beschränkt werden könne. (anw)