Videoplattform TikTok blockiert Inhalte mit Bezug zu Homosexualität

Laut einem Medienbericht sind in der chinesischen Video-App TikTok Homosexualität, Alkoholkonsum und Nacktheit unerwünscht – auch da, wo das nicht strafbar ist.

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Videoplattform TikTok zensiert Inhalte mit Bezug zu Homosexualität
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Die chinesische Social-Media-Videoplattform TikTok sperrt nicht nur missliebigen politischen Content, sie stört sich offenbar auch an Inhalten, die sich in positiver Weise auf Homosexualität beziehen. Dabei geht TikTok viel weiter, als es die Rechtslage in manchen Ländern gebietet, und blockiert solche Inhalte selbst dort, wo Homosexualität straffrei ist. Das geht aus neuen Richtlinien für lokale Moderatoren der App hervor, die dem britischen Guardian vorliegen.

Bereits vergangene Woche hatte die britische Zeitung Guardian enthüllt, dass TikTok in seinen allgemeinen Moderationsregeln (die intern als "lockere Version" bezeichnet werden) politisch kontroverse Inhalte – vor allem aus Sicht des chinesischen Staats – blockiert. Auf Nachfrage gab ByteDance, das Unternehmen hinter der App, an, dass man dieses Vorgehen nun geändert habe und mehr auf lokale und länderspezifische Richtlinien setze.

Nun jedoch liegen dem Guardian zwei solche lokalen Richtlinien vor, die nicht weniger strikt unerwünschte Inhalte ausschließen, diesmal hauptsächlich zu Themen wie Homosexualität, Alkohol oder Nacktheit. Erst kürzlich war TikTok außerdem vorgeworfen worden, den Protest in Hongkong zu zensieren und auf die Meinungsbildung Einfluss zu nehmen.

Der Guardian berichtet, dass es mindestens die beiden ihm vorliegenden lokalen Richtliniensammlungen gibt, die Vorrang vor den allgemeinen Regeln haben sollen. Die intern "strikt" genannte Richtliniensammlung käme vor allem in Ländern mit konservativen Moralvorstellungen zum Einsatz. Die lokalen Moderatoren sollen bei Einsatz dieser Richtlinien etwa "teilweise enthüllte Gesäße" sperren und Dekolletés, die "zu mehr als einem Drittel der Dekolleté-Gesamtlänge enthüllt" sind, sowie ausführliche Äußerungen über Damenbinden.

Die zweite Richtliniensammlung sei länderspezifisch. Darunter befänden sich etwa Regeln für die Türkei, nach denen Aussagen zur kurdischen Separationsbewegung zu sperren seien. Eine Liste führt Politiker an, die nicht kritisiert, diffamiert oder verulkt werden dürfen, darunter Staatsgründer Kemal Atatürk und der derzeitige Präsident Erdogan.

Ebenfalls Türkei-spezifisch sind Regeln, die Darstellungen von Alkoholkonsum und die Nennung "nicht-islamischer Götter" verbieten, beispielweise "Jesus, Maria, Engel". Alkoholverkauf und -konsum ist in der Türkei jedoch gestattet, unterliegt aber einigen Beschränkungen; außerdem ist die Türkei ein laizistischer Staat mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung und erkennt mehrere Religionen als Minderheiten an.

Ein erheblicher Teil der lokalen Richtlinien widmet sich Darstellungen rund um Homosexualität. Demnach dürfen keine "intimen Handlungen" eines gleichgeschlechtlichen Paares wie Händehalten, Berührungen oder Küsse gezeigt werden. Es dürfen keine spezifisch homosexuellen Gruppen, Nachrichten, Personen, TV-Sendungen oder Musik erwähnt werden. Zu sperren sind zudem Inhalte, die sich für Rechte Homosexueller einsetzen, wie Paraden oder Slogans.

Diese Vorgaben gehen teils weit über die gesetzlichen Regelungen eines Landes zum Umgang mit Homosexualität hinaus und finden demnach auch dann Anwendung, wenn Homosexualität grundsätzlich nicht strafbar ist – sie erwecken den Eindruck von vorauseilendem Gehorsam, um jedes Risiko eines Konflikts mit dem jeweiligen Staat zu vermeiden.

Anders sei die Herangehensweise von TikTok bei sexualisierten Inhalten mit Minderjährigen. Wie der Guardian schon vorige Woche enthüllt hatte, weist die Plattform bei unklarem Alter der dargestellten Person und wenn diese etwa "laszive Gesten" vollführt ihre Moderatoren an, die Volljährigkeit der abgebildeten Person zu unterstellen und den Inhalt auf Regelverstöße zu prüfen.

Dies war als ungeeignet im Sinne des Schutzes vor Kindesmissbrauch kritisiert worden – andere Plattformen gingen hierbei den umgekehrten Weg und unterstellten in Zweifelsfällen die Minderjährigkeit einer Person, um möglichem Kindesmissbrauch oder dem Verbreiten von Kinderpornografie vorzubeugen. TikTok habe nun in diesem Punkt eingelenkt und weise seine Moderatoren ebenfalls an, bei Zweifeln von einer minderjährigen Person auszugehen.

[Update v. 01.10.2019, 12:04 Uhr]: Wie eine Unternehmenssprecherin gegenüber heise online bekannt gab, handelt es sich bei den erwähnten Moderationsrichtlinien um alte Policies, die in der Türkei zum Einsatz kamen. Mittlerweile sei dies nicht mehr der Fall. LGBTQI+-Inhalte (Lesbian, Gay, Bi, Trans, Queer und Intersex) unterlägen keiner Zensur. "TikToks Moderation folgt unseren Communitiy Richtlinien sowie allgemeinen Nutzungsbedinungen und entfernt keine Videos rund um die LGBTQI+-Community", heißt es in einer Stellungnahme. Dass die Richtlinien überhaupt angewendet wurden, bedauert das Unternehmen ByteDance und entschuldigt sich dafür. Wie die Sprecherin weiter ausführte, habe man im Rahmen des Berliner Christopher Street Day mit der LBTQI+-Organisation "Enough is Enough" eine Kampagne unter dem Hashtag #YourVoice YourStage durchgeführt, bei der "sehr viele Inhalte" von den Teilnehmern hochgeladen wurden. Insgesamt sollen dadurch Spenden für "Enough is Enough" in Höhe von 20.000 Euro zusammengekommen sein. (tiw)