Videospielgeschichte: Vor 100 Jahren wurde Ralph Baer geboren. Ralph wer?

Der Elektroingenieur Ralph Baer hatte als erster die Idee, dass der Fernseher nicht nur zum passiven Konsum, sondern auch zum Spielen geeignet ist.

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Ralph Baer mit seiner Brown Box

(Bild: Rolenta, CC BY-SA 4.0)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Vor 100 Jahren wurde Ralph Baer geboren, ein US-amerikanischer Spiele- und Spielzeugerfinder. Als Elektroingenieur hatte er als erster die Idee, dass der Fernseher nicht nur zum passiven Glotzen geeignet ist, sondern zum Daddeln oder auch zum Üben der eigenen Schussfertigkeiten im Umgang mit Waffen aller Art.

Ralph Baer wurde als Rudolf Heinrich Bär am 8. März 1922 in Pirmasens geboren. Die Familie war jüdisch und konnte 1938 in die USA emigrieren. Dort nannte sich der 16-jährige fortan Ralph Baer und absolvierte eine Lehre als Radiotechniker. Zwischen 1940 und 1943 reparierte er Radios in New York City. 1943 wird er eingezogen und arbeitet als Techniker beim militärischen Abhördienst in Frankreich. Dort bildet er sich zum Spezialisten für Kleinfeuerwaffen heran. Nach dem Militärdienst konnte Ralph Baer dank der G.I. Bill studieren und legte 1948 sein Examen in Television Engineering ab. Baer arbeitete zunächst als Elektroingenieur bei verschiedenen kleinen Unternehmen und beschäftigte sich hauptsächlich mit der Konstruktion von Testgeräten für Radar-Systeme.

Im Jahre 1956 wechselte zu Sanders Associates, einer Ingenieursfirma, die dem US-amerikanischen Militär zuarbeitete. Sein erstes großes Projekt ist das in Berlin aufgebaute Abhörsystem Brandy, das die Funkkommunikation der sowjetischen Armee belauscht. Baer machte bei Sanders beziehungsweise Lockheed Karriere, bis er in den 70er-Jahren als Chefingenieur der Elektronik-Abteilung über 500 Ingenieure in zahlreichen Militär-Projekten leitete.

In die Annalen der Computergeschichte schrieb sich Ralph Baer, als er am 1. September 1966 beim Warten auf einen Kollegen auf einer Bank Notizen zu einem Konzept für ein "TV Gaming Display" aufschrieb. Wie man hier sauber abgeschrieben lesen kann, hatte Baer gleich eine ganze Spiele-Sammlung skizziert, von Actionspielen über Kartenspielen bis hin zu Spielen, bei denen ein Lenkrad oder ein Gewehr eine Steuerfunktion hatten. Auch an den Einsatz des Fernsehers im Unterricht in Geometrie/Arithmetik oder mit Quizfragen in anderen Fächern hatte er gedacht. Nach etlichen Versuchen in den Labors entstand Anfang 1969 die "Brown Box", mit der man sechs Spiele spielen oder in einem siebten Spiel auf ein Ziel schießen konnte.

Das wichtigste Spiel war Ping Pong mit einem Ball, zwei Schlägern und einem "Netz", alles mit analogen Schaltungen realisiert. Die anderen Spiele wie etwa Handball oder Volleyball waren Varianten von Ping Pong, bei denen Overlayfolien auf den Fernseher geklebt wurden. Sanders Associates gelang es, den TV-Produzenten Magnavox für die Spielesammlung zu interessieren, der sie unter dem Label Odyssey 1972 auf den Markt brachte. In den ersten beiden Jahren wurden 165.000 Odyssey-Systeme verkauft, 1974/75 sogar 350.000, doch der ganz große Erfolg stellte sich zum Ärger Baers nicht ein. Magnavox (bzw. ITT Schaub-Lorenz in Deutschland) bewarb die Spiele, als könnten sie nur auf Magnavox-Fernsehern gespielt werden, nicht auf jedem beliebigen Gerät.

Indirekt war Odyssey jedoch ein anderer Erfolg beschieden: Niemand anderes als Nolan Bushnell von Atari sah Ping Pong und brachte es 1971 als Arcade-Automatenspiel sehr erfolgreich auf den Markt für Spielhöllenzubehör. Den sich daran anschließenden Prozess verlor Atari und so verdiente Sanders Associates gutes Geld mit den Lizenzgebühren von Atari, aber auch von Coleco und anderen Spieleherstellern.

In der Folgezeit brachte Ralph Baer abseits seiner Arbeit für Sanders durch seine Firma R. H. Baer Consultants eine ganze Reihe von Spielen auf den Markt, wobei sich bei Simon durch Milton Bradley (in Deutschland Senso durch MB Spiele) der Ideenklau umdrehte: Senso war der Abklatsch einer Spielhallen-Idee von Atari. Als Atari mit der Spielkonsole Atari 2600 auf den Markt kommt, erfindet Ralph Baer für Coleco das Kid Vid Voice Module für das Spiel "The Berenstain Bears". Andere Erfindungen aus der Zeit: das Amaz-A-Tron von Coleco oder ChatMat, eine sprechende Fußmatte, die Besucher mit einem lustigen aufgesprochenen Spruch begrüßen kann. Dann kam Milton Bradleys BikeMax für das Fahrrad, bei dem ein Tongenerator auf Knopfdruck die Geschwindigkeit oder die Uhrzeit spricht und bei einem Diebstahlversuch eine selbst einprogrammierte Alarmsirene ertönen lässt. Das System soll Eltern in den Wahnsinn getrieben haben, eine kleine Demo von ihm gibt es hier, ergänzt mit den Erinnerungen jugendlicher Besitzer.

Während Ralph Baer bis ins hohe Alter an Erfindungen wie die Hasbro Tonka Talking Tools arbeitete – die sprechenden Werkzeuge erklären Kindern, wofür sie gebraucht werden – sollte seine letzte Arbeit für Sanders Associates erwähnt werden. Baer ging 1987/88 in Rente, nachdem er zusammen mit anderen Ingenieuren das Interactive Video Traning System IVTS entwickelt hat. Es besteht aus einem Video-Monitor, einer Platine für den Apple IIe und einer emulierten Abschussvorrichtung für Stinger-Raketen. In Übungen müssen die Soldaten versuchen, das Ziel korrekt zu avisieren. Der virtuelle Schuss wird im Rechner umgerechnet, ob er korrekt war. Das ganze interaktive Lernsystem konnte von der Mutterfirma Lockheed für 30 Millionen Dollar an die US-Armee verkauft werden.

Als Rentner bekam Ralph Baer die Anerkennung, die ihm lange Zeit zuvor verwehrt wurde. Denn bereits 1973, als er als Vater des Videospiels ausgezeichnet werden sollte, erntete das Proteste. 2006 dann wurde er von George W. Bush mit der National Medal of Technology ausgezeichnet. 2008 und 2014 erhielt er Ehrungen und Preise der IEEE. 2010 baute er noch einmal eine originalgetreue "Brown Box", die zusammen mit seiner Werkstatt in das Museum für amerikanische Geschichte wanderte. In Deutschland können Exponate von Baer im Berliner Computerspiel-Museum, im Heinz-Nixdorf-Museumsforum Paderborn und im Dynamikum seiner Geburtsstadt Pirmasens betrachtet werden. Am 6. Dezember 2014 starb Baer im Kreise seiner Familie.

(mho)