Viereinhalb Jahre DSGVO: Die Verunsicherung in der Wirtschaft ist noch groß​

94 Prozent der deutschen Unternehmen wollen, dass die vielen Sonder- und Spezialvorschriften zu Datenschutz und -nutzung zusammengeführt werden.

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(Bild: mixmagic/Shutterstock.com)

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Die deutsche Wirtschaft bleibt mit den EU-Datenschutzregeln und ihrer Umsetzung in Deutschland auf Kriegsfuß. Mehr als drei Viertel der Unternehmen sehen sich durch Rechtsunsicherheiten im Zusammenhang mit der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) eingeschränkt, gut die Hälfte kritisiert die uneinheitliche Auslegung innerhalb der EU. Dies geht aus einer repräsentativen branchenübergreifenden Umfrage unter 503 Unternehmen mit 20 und mehr Beschäftigten im Auftrag des Digitalverbands Bitkom hervor.

Häufiger als noch im Vorjahr berichten die Befragten, dass mindestens ein Innovationsprojekt in den vergangenen zwölf Monaten aufgrund des Datenschutzes gescheitert oder nicht in Angriff genommen worden sei. In den meisten Fällen lag das den Angaben zufolge an den DSGVO-Regeln oder Unklarheiten im Umgang damit. Gut die Hälfte beklagt der Umfrage zufolge eine mangelnde Beratung durch Aufsichtsbehörden.

Rund zwei Drittel (68 Prozent) stimmten der Frage zu, dass der strenge Datenschutz in Deutschland die Digitalisierung erschwere. 61 Prozent meinen, Deutschland übertreibe es mit dem Datenschutz – vor einem Jahr lag dieser Anteil noch bei 50 Prozent. Nahezu alle wünschen sich von der Politik mehr Einheitlichkeit und Rechtssicherheit beim Datenschutz. 94 Prozent der Unternehmen fordern, dass die "vielen Sonder- und Spezialvorschriften" zusammengeführt werden.

Doch auch unternehmensinterne Gründe bremsen die DSGVO-Umsetzung. 45 Prozent sagen, die erforderliche IT- und Systemumstellungen kosteten viel Zeit. Ein Drittel der Unternehmen beklagt fehlendes Geld, einem Viertel Prozent mangelt es an qualifizierten Beschäftigten. Rund jedes vierte Unternehmen (23 Prozent) bindet die Datenschutzbeauftragten nur mangelhaft ein, 15 Prozent sehen allgemein eine mangelnde Unterstützung im Unternehmen.

84 Prozent der Unternehmen sprechen sich aber für eine Anpassung der DSGVO aus – vor zwei Jahren waren es noch 92 Prozent. 74 Prozent sind für eine weitere europäische Vereinheitlichung der Datenschutzvorgaben. 67 Prozent wollen, dass die föderalen Gesetze in Deutschland im Datenschutz angeglichen werden, die Hälfte fordert zudem eine Vereinheitlichung der Datenschutzaufsicht in Deutschland.

Die Bundesländer setzten auch noch eigenes Recht in ihren Datenschutzgesetzen, gab Bitkom-Geschäftsführer Bernhard Rohleder bei der Präsentation der Studie zu bedenken. Damit müsse sich die Politik beschäftigen. Es gehe nicht um weniger, sondern um "besseren Datenschutz", ergänzte Susanne Dehmel aus der Bitkom-Geschäftsleitung: Vor allem sei eine einheitliche DSGVO-Auslegung wichtig: "Die Rechtsunsicherheit ist groß."

Generell erkennen die hiesigen Firmen Licht und Schatten bei dem EU-Gesetz: So loben 67 Prozent, dass die DSGVO weltweit Maßstäbe für den Umgang mit personenbezogenen Daten setzt. Jedes zweite Unternehmen glaubt, dass die Verordnung zu einheitlichen Wettbewerbsbedingungen innerhalb der EU führt. 70 Prozent sehen aber noch keinen EU-weit einheitlichen Datenschutz gewährleistet. 40 Prozent können daher keinen Wettbewerbsvorteil durch die DSGVO auf dem internationalen Markt für das eigene Unternehmen erkennen – 30 Prozent befürchten sogar Nachteile.

Immerhin hat die große Mehrheit die DSGVO nach viereinhalb Jahren Anwendung umgesetzt, entweder vollständig (22 Prozent) oder größtenteils (40 Prozent). Ein Drittel (33 Prozent) sieht sich erst teils am Ziel, 2 Prozent haben erst mit der Umsetzung begonnen. Keine einzige Firma hat bisher nichts getan. 16 Prozent stellen fest, dass die durch die DSGVO verursachte Aufgabenlast langsam wieder abnimmt. 47 Prozent gehen aber von einem gleichbleibend höheren Aufwand aus. 30 Prozent erwarten sogar, dass sie noch mehr zu tun bekommen.

Von den Aufsichtsbehörden hat rund die Hälfte der Unternehmen (54 Prozent) schon einmal Hilfe erhalten. 27 Prozent haben angefragt, aber keine Antwort bekommen. Häufig liegt der fehlende Kontakt aber laut dem Bitkom am schlechten Ruf der Kontrolleure. 33 Prozent der Befragten meinten, die Qualität der Hilfestellung sei nicht gut. 30 Prozent haben von schlechten Erfahrungen anderer Unternehmen gehört. 16 Prozent sorgen sich, dass die Aufsicht durch Fragen erst auf Probleme aufmerksam werde.

Von hoher Bedeutung für die deutsche Wirtschaft sind Datentransfers in Drittstaaten: Nur 40 Prozent geben an, keine personenbezogenen Informationen in Länder außerhalb der EU zu übermitteln. 47 Prozent transferieren solche Daten an externe Dienstleister, 22 Prozent an Geschäftspartner zu gemeinsamen Zwecken und 16 Prozent an andere Konzerneinheiten oder Töchter.

Die USA sind das wichtigste Zielland (59 Prozent) vor Großbritannien (32 Prozent), Indien (13 Prozent), Japan (9 Prozent) und Südkorea (5 Prozent). 4 Prozent der Unternehmen transferieren Daten nach China, ebenso viele in die Ukraine. Aktuell gibt dagegen kein einziges Unternehmen mehr an, personenbezogene Informationen nach Russland zu transferieren. Vor dem Überfall auf die Ukraine hatte dies noch fast jede zehnte Firma getan.

Der Wegfall des Privacy Shields zwischen der EU und den USA hat viele Unternehmen vor Probleme gestellt. 59 Prozent der Firmen, die Daten zwischen beiden Kontinenten teilten, taten dies auf Basis des Abkommens. Heute greift die große Mehrheit auf Standardvertragsklauseln zurück (91 Prozent). Von der Bundesregierung erwarten 39 Prozent die Durchsetzung einer politischen Lösung für internationale Datentransfers. 55 Prozent fordern eine "harte Linie gegenüber den USA" bei den Verhandlungen über das Privacy Shield 2.0.

(vbr)