Vom Lockdown zum Lock-in: Warnung vor Software-Abhängigkeit im Gesundheitswesen

Während Corona schloss der Bund einen Pakt zur Digitalisierung der Gesundheitsämter. Doch krisensichere, interoperable IT wurde nicht beschafft, sagen Experten.

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(Bild: Deemerwha studio/Shutterstock.com)

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Auch mit der seit der Corona-Pandemie laufenden Digitalisierung des Gesundheitswesens werde dieses noch lange nicht krisenfest. Dies monieren Nicolai Savaskan vom Gesundheitsamt Neukölln und Mesut Yavuz von der Nürnberger Firma Yes Automation in einem heise online vorliegenden Aufsatz zu Lektionen aus Covid-19. Nach dem Lockdown droht ihnen zufolge ein Lock-in, also eine Abhängigkeit von proprietären Softwareherstellern bei Krankenhäusern und Gesundheitsbehörden. Das CrowdStrike-Desaster habe gezeigt, wie groß die davon ausgehenden Gefahren seien.

Der Bund schnürte infolge der Pandemie einen 800 Millionen Euro schweren Pakt zur Digitalisierung des öffentlichen Gesundheitsdiensts (ÖGD). Angesichts der bisherigen Arbeiten mit Papier, Fax und allenfalls Excel sowie der damit verknüpften Zettelwirtschaft zur Kontaktnachverfolgung während der ersten Corona-Welle sei die technische Aufrüstung der Gesundheitsämter fürs 21. Jahrhundert "eine Notwendigkeit gewesen", schreiben die Praktiker. Die erste Tranche des ÖGD-Pakts sei 2021 mit 260 Millionen Euro überwiegend in Hardware wie Whiteboards, Mobiltelefone und Laptops geflossen. Damit bestünden zumindest die technischen Voraussetzungen für eine Digitalisierung, diese selbst laufe so aber noch nicht.

Gerade einmal 5 Prozent der Gesamtfördersumme flossen in länderübergreifende Digitalisierungslösungen, während 41 Prozent auf Einzelprojekte und 54 Prozent auf nicht übergreifende Ländermaßnahmen entfielen, rechnet das Duo in einem weiteren Papier zum ÖGD-Förderprogramm vor. Die Bundesländer hätten beispielsweise elfmal Fördermittel für die gleiche Anwendung beantragt – eine Software für alle landeseigenen Gesundheitsämter mit zahlreichen Doppelstrukturen. Generell konzentrierten sich die bisherigen Maßnahmen "mehrheitlich auf kurzfristige Lösungen anstelle langfristiger, krisensicherer interoperabler Systeme", beklagen die Insider. Ganz nebenbei würden so Millionen "redundant und letztlich ineffizient" ausgegeben.

Zugleich machten sich Gesundheitsbehörden und Ministerien "zu sehr von Microsoft abhängig", bringen Savaskan und Yavuz ein Beispiel. So hätten sie keinen Verhandlungsspielraum bei der Preisgestaltung von Lizenzgebühren mehr. Dem halten die Forscher die "zahlreichen Vorteile" entgegen, die Open Source biete. Dazu zählen sie Elemente wie Interoperabilität und gemeinsamen Datenaustausch, Skalierbarkeit, die einfache Zusammenarbeit mit allen Akteuren, Datenschutz, Sicherheit und Transparenz sowie "permanentes prozedurales Lernen". Es sei überfällig, mit diesem offenen Ansatz den Pfad "für einen digital-souveränen ÖGD in Deutschland" zu ebnen.

Das im ÖGD-Pakt enthaltene Leitbild "digitales Gesundheitsamt 2025" zielt den Experten zufolge zwar bereits auf eine Interoperabilität über alle Ebenen ab. Leider habe dieses aber keine Berücksichtigung bei der BMG-Fördermittelausschreibung gefunden. Dagegen sehe der zugehörige Leitfaden vor, dass Open-Source-Lizenzen priorisiert werden sollen. Dieses Gebot werde in der Praxis aber noch zu wenig beachtet. Nötig sei es daher auch, die digitalen Kompetenzen im ÖGD zu stärken sowie eine digitale globale "One-Health-Plattform" zu etablieren. Savaskan kritisierte bereits 2022 im Interview mit heise online Missstände nicht nur beim digitalen Meldewesen. (cwo)