Von Augen und Ohren: Über Russlands Abhör-Antennen und die vielen offenen Fragen

Auf russischen Botschaftsdächern wurden verdächtige Satellitenantennen entdeckt. Die Entdeckungen erinnern auch an Abhöraktionen der amerikanischen NSA.

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Das Drohnenfoto zeigt Satelliten-Antennen und eine verdächtige "Materialhütte" auf dem Dach der russischen Botschaft in Warschau (Polen).

(Bild: Frontstory.pl)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Erich Moechel
Inhaltsverzeichnis

In mehreren europäischen Hauptstädten sind elektronische Abhöranlagen auf den Dächern von Botschaftsgebäuden Russlands aufgeflogen. Die Entdeckungen kamen zwar für Experten nicht wirklich überraschend. Dennoch richtet sich der Blick jetzt verstärkt auf das Ausmaß der Signal Intelligence (SIGINT), die von Botschaftsdächern aus betrieben wird.

Sowohl in Stockholm als auch in Warschau wurden SIGINT-Stationen auf den Dächern der Botschaften der Russischen Föderation entdeckt. Im Warschauer Stadtteil Nizhny Mokotów, an der Adresse Beethovenstraße 3, sieht man auf dem Dach eines zehnstöckigen Wohngebäudes der russischen Botschaft an die zehn Satellitenspiegel, darunter sind auch zwei größere Dishes mit einem Durchmesser von gut vier Metern. Die Reporter von Frontstory.pl hatten eine Drohne zur Verfügung, die vom Dach dieses Gebäudes gut aufgelöste Bilder lieferte.

Aus diesen Aufnahmen geht hervor, dass diese Anlage zur Überwachung von Satellitenkommunikation mittlerweile nicht mehr in Betrieb ist. An fast allen diesen Dishes fehlen die Feed-Module, also Filter, LNBs und Konverter zur Umsetzung der hohen Sat-Frequenzen. Diese sind notwendig, um die abgefangenen Signale vom hohen Gigahertzbereich auf niedrigere Frequenzen zu transformieren. Nur dann können diese Datenströme mit speziellem Equipment im Geschoss darunter ausgewertet werden.

Vom Prinzip her machen diese Set-up technisch also weitgehend dasselbe, was ganz normale Sat-Anlagen für TV-Programme tun. In Fall der russischen Sat-Antennen geht es allerdings um abgefangene Datenströme, die eben nicht für Russland bestimmt sind.

Luftaufnahme von der entdeckten SIGINT-Anlage in Warschau

(Bild: Frontstory.pl)

Frontstory berichtet von 45 Diplomaten der Russischen Föderation, die seit Februar 2022 Polen verlassen mussten. Ferner ist die Rede von 21 russischen Geheimdienstoffizieren, die unter diplomatischer Deckung aktiv waren. Darunter seien alle Sat-Techniker gewesen, die man als solche identifizieren konnte.

Das dürfte nicht einmal komplex gewesen sein, denn der "Verwendungszweck" des gesamten Botschaftspersonals geht aus den Formularen zur Akkreditierung im jeweiligen Land hervor. Damit konnte der Betrieb der Warschauer SIGINT-Station nicht weiter in Gang gehalten werden, denn dieses Personal war – wie überall in Europa – wohl auch für die Auswertung der Datenströme zuständig. Vom hochgeheimen Equipment dahinter gibt es natürlich keine Fotos.

Auffällig sind allerdings "Materialhütten", über die jede dieser Stationen verfügt. Äußerlich identische Aufbauten stehen auf allen Botschaften der Russischen Föderation. Diese Hüttchen, die mit Glasfasermatten verkleidet sind, enthalten kleine Dishes mit variablen Feeds, darüber werden die Datenströme der lokalen Area Controllers der Mobilfunkstationen abgegriffen, und daraus Verkehrsdatenanalysen abzuleiten. Die Area Controllers müssen nämlich permanent wissen, wo welche Handys eingebucht sind, um die Telefonate auf die adressierten Endgeräte weiterzuleiten.

Dieselben Methoden sind seit den Enthüllungen Edward Snowdens von den US-Botschaften bekannt. Solche Verkehrsdatenanalysen wurden laufend praktiziert. Das von der NSA entworfene System dazu heißt mit Codenamen Einstein-Castanet, die Powerpoint-Folien finden sich im Fundus der von Edward Snowden geleakten Dokumente. Die dabei eingesetzten Technologien der USA und Russlands dürften sich kaum unterscheiden.

Der Verwendungszweck für diese Verkehrsdaten ist im Fall der US-Botschaften recht eindeutig. In der US-Botschaft im 22. Wiener Gemeindebezirk bei den Vereinten Nationen in Wien ist sofort bekannt, dass eine iranische Delegation, die etwa zu Verhandlungen über das Atomprogramm anreist, zwölf Personen umfasst, weil deren Mobiltelefone gerade in einer Funkzelle eines beliebigen Netzbetreibers am Flughafen Wien Schwechat eingebucht wurden. Das US-System kann nur Verkehrsdaten abgreifen, bringt aber dadurch einen guten Überblick, welches gesuchte Mobiltelefon gerade wo eingebucht ist.

Einer der Dishes auf der Station in Wien 22. Dieser Dish ist mit Mikrowellenkomponenten der schwedischen Firma SMW für das Ku-Band bestückt. Der Dish verfügt über ein soganntes „Skew Angle“-Getriebe. Damit lässt sich der Winkel verändern, in dem das abgefangene Signal auf den Empfangsteil der Antenne trifft, sodass der bestmögliche Abstand von vertikaler und horizontaler Polarisierung gegeben ist. Mit diesem Dish werden Satelliten gejagt, deren Signale anders schlecht bzw. unvollständig empfangbar wären.

(Bild: Quelle möchte anonym bleiben)

Der einzige große Unterschied dabei ist, dass die USA die abgefangenen Verkehrsdaten mit den nationalen Geheimdiensten vor Ort teilen, im Falle von Österreich ist das der Militärgeheimdienst Heeresnachrichtenamt (HNAa). Das ist schon längst kein großes Geheimdienstgeheimnis mehr, sondern wurde erst Anfang März vom Leiter des neuen Polizeinachrichtendienstes DSN in Österreich, Polizeimajor Omar Hajjawi-Pircher, im persönlichen Gespräch bestätigt. Der DSN, der erst seit Kurzem existiert, tritt gerade die Nachfolge des skandalumwitterten Nachrichtendienstes BVT an, der infolge einer umstrittenen Razzia durch FPÖ-nahe Polizeibeamte nach dieser Aktion keine Daten von den westlichen Diensten mehr erhielt. Diese gingen nämlich davon aus, dass die Daten in Russland landen würden.

Das DSN verfügt nach eigener Aussage bis jetzt über keine eigenen Kompetenzen im Bereich Signals Intelligence, denn die ist beim österreichischen Bundesheer, also dem Heeresnachrichtenamt angesiedelt. Das HNAa wiederum betreibt zusammen mit der NSA nahe zur Grenze an der Slowakei eine ECHELON-Station namens Königswarte.

Das ist der Feed einer der vier großen Schüsseln auf dem Dach der russischen UN-Botschaft in Wien 22. Der Feed von der kanadischen Firma Norsat betrifft das C-Band (4 bis 8 GHz). Dort sind aufwendige Filter erforderlich, weil sich der untere Bereich im C-Band mit den Frequenzen der 5G-Mobilfunkstationen überschneidet.

(Bild: Quelle möchte anonym bleiben)

Ein Beispiel, wofür die gesammelten Daten der SIGINT-Stationen Russlands genutzt werden, wurde bei Beginn des Angriffskriegs in der Ukraine ersichtlich. Am 23. Februar kam es plötzlich zu Ausfällen des Satelliteninternets von KA-SAT. Der im Jahr 2010 in eine geostationäre Umlaufbahn geschossene Satellit auf 9° Ost offeriert über das namensgebende KA-Band (26-40 GHz) Breitband-Dienste. Infolge einer Sabotageaktion waren etliche europäische Windkraftanlagen zeitweilig nicht steuerbar, weil der Datenservice via KA-SAT nicht mehr funktionierte. Im Mai 2022 wurde Russland vom Außenbeauftragten der Europäischen Union, Josep Borell, für den Ausfall von KA-Sat verantwortlich gemacht.

Die Störungen in der Windkraft waren allerdings eine Nebenerscheinung des Ukraine-Kriegs, denn der Angriff auf die KA-Sat-Datenservices hatte der ukrainischen Armee gegolten, die KA-Sat-Dishes für die Anbindung der Kommandozentralen an der Front benutzt hatte. Die Tatsache, dass Russland überhaupt wusste, dass die ukrainische Armee diese KA-Sat-Kanäle nutzten, erwies sich als fatal. KA-Sat wurde von EADS Astrium gebaut und hat eine geplante Lebensdauer von 15 Jahren, der Satellit wurde inzwischen an den US-Betreiber Viasat verkauft. Die KA-Sat-Modems wurden einen Tag vor dem Überfall auf die Ukraine durch ein ebenso erzwungenes, wie bösartiges Software-Update lahmgelegt. Die Armee der Ukraine war damit plötzlich ohne Datenverkehr zur Front.

In Wien steht die mithin größte aller russischen Stationen, mit allein über 20 Dishes auf dem Komplex der Russischen Botschaft bei den Vereinten Nationen. Die österreichische Bundesregierung weigert sich bislang allerdings standhaft, diesen Spiegeln die Signale abzudrehen. Begründet wird dies mit der "immerwährenden Neutralität" Österreichs.

Tatsächlich geht es in Wien laut Kritikern um billiges Erdgas aus Russland, das weiterhin geliefert wird. Die Regierung unter Sebastian Kurz hatte die Abhängigkeit Österreichs von russischem Erdgas von 60 auf 80 Prozent hochgeschraubt. Die FPÖ unterhielt eine zeitweilige Partnerschaft mit Russland und der Partei "Einiges Russland" von Wladimir Putin.

In einem Briefing des neuen Geheimdienstes DSN wurde berichtet, dass jüngst noch einmal vier russische Diplomaten ausgewiesen wurden, darunter waren der örtliche Leiter des zivilen russischen Geheimdienstes SVR, der die Station in Wien betreibt, sowie zwei Techniker für Sat-Anlagen. Insgesamt wurden in Österreich nur acht russische Diplomaten ausgewiesen, obwohl es in Wien zwei Botschaften der Russischen Föderation gibt. Das sind die reguläre Botschaft im 3. Wiener Gemeindebezirk, auf der ebenfalls Satellitenspiegel stehen. Weitere "Diplomaten" sind bei den Vertretungen bei den UN sowie der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) akkreditiert. Insgesamt sind 75 Personen als administrativ-technisches Personal in Wien aktiv. Es gibt hier also genug technisches Personal der Russischen Föderation, um die Station weiterzubetreiben.

Versuche, die Antennen im 22. Gemeindebezirk Wiens einzumessen, um deren Ziele herauszufinden, sind bis jetzt gescheitert. Die georeferenzierten Aufnahmen der behördlichen Stadtvermessung (MA 41) in Wien sind nicht hoch genug aufgelöst. Ebenfalls verfügbare, besser aufgelöste Fotos haben keine Geodaten. Damit ist es auch unmöglich, den Azimuth der Schüsseln, also den Winkel, in dem die Dishes relativ zum Äquator stehen, auf die absoluten Geodaten der Satelliten umzulegen.

Im Artikel der schwedischen Tageszeitung Expressen wird Ähnliches wie in Österreich moniert, nämlich dass die Regierung des noch-neutralen Schweden gerade einmal vier russische Diplomaten ausgewiesen hat. Die schwedische Sicherheitspolizei habe gewusst, dass es sich um Spione handele. Aus "politischen Erwägungen" habe man sie im Land belassen. Die Station Stockholm dürfte deshalb weiterhin aktiv sein.

Auch in Berlin steht eine eher kleine solche Station auf dem Dach der Botschaft der Russischen Föderation. Wie es um die Antennenfeeds dort bestellt ist, ist bislang nicht bekannt.

(mki)