Vor 10 Jahren: So sollte KI den Journalismus übernehmen

Selten kann ein 10 Jahre alter Artikel unverändert noch einmal veröffentlicht werden. Wie schlägt sich eine Serie zum KI-Journalismus von 2014?

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Gemälde in einem Museum, Bild zeigt Roboterhand und Menschenhand

(Bild: iX)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Zehn Jahre dem KI-Hype voraus: Unter dem Titel "Blechkollegen" erschien in iX 8/2014 ein Artikel über das automatisierte Erstellen von Artikeln, begleitet von einem Interview, ob es überhaupt noch eine Zukunft für "Bio-Redakteure" gibt. Dieser Artikel könnte auch 2024 erscheinen, wie die vielen aktuellen Artikel über ChatGPT und das Ende des Journalismus der letzten Monate zeigen.

Eine Analyse von Detlef Borchers

(Bild: 

Berliner Gazette

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Detlef Borchers ist freier Journalist in Berlin. Er arbeitet für heise online, c't und iX und schreibt unter anderem gelegentlich für Tageszeitungen. (Foto: Berliner Gazette)

Zwei um 2010 an US-Universitäten gestartete Softwareprojekte waren der Anlass, sich in iX mit der Zukunft des Journalismus zu beschäftigen. StatsMonkey generierte aus Baseballergebnissen automatisch Spielberichte, StatSheet nahm Börsendaten und produzierte aus ihnen Marktberichte. Aus beiden Projekten wurden Start-ups, die 2014 erste Erfolge hatten. Narrative Science – die mit den Baseballergebnissen – entwickelte die KI Quill, die angeblich bei der CIA aus Daten Lageberichte verfasst. Jedenfalls bekam das Start-up Geld von In-Q-Tel, dem Beteiligungsfonds der CIA (und von SAP). Aufsehen erregte die Firma mit der großspurigen Ankündigung, bis spätestens 2017 einen Pulitzer-Preis gewinnen zu wollen – was nicht passierte. Heute ist die Firma eine Tochter von Salesforce und ihre Software überführt beim britischen National Health Service medizinische Fachinformationen in allgemein verständliche Texte.

Automated Insights – die mit den Börsendaten – entwickelte die KI-Plattform Wordsmith, mit der die Nachrichtenagentur Associated Press bereits 2014 aus den Finanzmitteilungen börsennotierter Firmen automatisch Finanznachrichten erstellte. Studien von Wirtschaftswissenschaftlern ergaben, dass dieser Service die Sichtbarkeit kleinerer Firmen erhöhte, für die sich "Bio-Redakteure" nicht interessierten. 2014 wurde die Zukunft des Journalismus übrigens nicht so düster gezeichnet wie heute: Ironie und Sarkasmus konnten die Texttools noch nicht.

Womit wir beim Pulitzer-Preis 2024 sind. In der Kategorie Lokaljournalismus gewann die Artikelserie "Missing in Chicago", bei der ein KI-Tool namens Judy mit den Protokolldaten vermisster Personen der Polizei von Chicago trainiert wurde. Aus Tausenden von Berichten destillierte Judy 54 Fälle vermisster Frauen, an denen die Lokalreporterinnen Sara Conway und Trina Reynolds-Tyler das systematische Fehlverhalten der Polizei beschreiben konnten. In der Kategorie Auslandsjournalismus gewann das Datenteam der New York Times mit einer Mustererkennungssoftware, die Luftbilder von Bombenkratern im Gazastreifen analysierte und so nachweisen konnte, dass das israelische Militär im November 2023 Hunderte von Bomben in südlichen Gebieten abgeworfen hatte, die als sicher für die Zivilbevölkerung ausgewiesen waren.

Dieser Artikel erscheint ebenfalls in der neuen iX 8/2024. Jeden Monat wirft Detlef Borchers einen Blick in die Vergangenheit und berichtet in der Rubrik iX vor 10 Jahren von Entwicklungen, die uns noch heute begleiten oder immer noch Fragen aufwerfen. iX-Abonnenten können die Beiträge im Archiv als Teil ihres Abos lesen.

(odi)