Vor 25 Jahren: Pocket Monsters Rot & Grün legen Grundstein für den Pokémon-Hype

Am 27. Februar 1996 veröffentlicht Nintendo Pokémon Rot und Grün und löst weltweite "Pokémania" aus. Wie die Spiele von Japan über die USA nach Europa kamen.

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(Bild: Will Howe/Shutterstock.com)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Christian Liebel
Inhaltsverzeichnis

Es ist der 27. Februar 1996. Nintendo veröffentlicht das Spiel "Pocket Monsters" in zwei Editionen: "Aka" und "Midori", zu Deutsch Rot und Grün. Voraus gingen rund sechs Jahre Entwicklungsarbeit durch das Studio Game Freak. In Japan werden die Taschenmonster rasch zum Verkaufsschlager, bescherten dem Game Boy ein spätes Comeback, um schließlich weltweit "Pokémania" auszulösen.

Satoshi Tajiri lebt als Kind in einem Vorort von Tokio. Sein Hobby ist das Sammeln von Käfern. Die boomende Metropole breitet sich immer weiter aus und der natürliche Lebensraum für Insekten schwindet. 1989 veröffentlicht Nintendo den Game Boy, eine Handheld-Spielekonsole mit einem speziellen Feature: Zwei Game Boys können per Game-Link-Kabel miteinander verbunden werden, kompatible "Dialogspiele" erlauben eine Interaktion zwischen Spielern. Beim Spiel Tetris können so zwei Spieler gegeneinander antreten. Tajiri sieht in dieser Verbindung jedoch eine Möglichkeit, Kindern den Spaß am Fangen, Sammeln und Tauschen von Insekten näherzubringen. Unter diesen Vorzeichen beginnt 1990 bei seiner Firma Game Freak die Entwicklung der Pocket Monsters.

Pocket Monsters Aka und Midori spielen in der Kanto-Region, die der Gegend um Tokio nachempfunden ist. Der Spieler schlüpft in die Rolle eines zehnjährigen Jungen, der von zuhause auszieht, um Pokémon-Trainer zu werden. Pokémon sind Wesen, mit denen man sich anfreunden und Kämpfe austragen kann. Sie können von Menschen gehalten werden und sind in freier Wildbahn anzutreffen. Um wilde Pokémon ins eigene Team aufzunehmen, müssen diese per Pokéball eingefangen werden.

Die grüne Edition kam in Europa nicht auf den Markt, stattdessen veröffentlichte Nintendo hier Pokémon Blau.

(Bild: Nintendo)

Der Spieler hat unterschiedliche Ziele: So soll er der "allerbeste Trainer" (Champ) werden und muss dazu die anderen Pokémon-Trainer der Region besiegen. Getreu dem Slogan "Schnapp sie dir alle" sollen zudem sämtliche Pokémon gefangen werden: In den ersten Editionen insgesamt 151 Stück – inklusive Mew, das von den Entwicklern nach der Testphase in den durch das Entfernen der Debugging-Tools freigewordenen Platz eingeschleust wurde. Da pro Ausgabe nur bestimmte Pokémon auftauchen, sind Spieler zur Vervollständigung des sogenannten Pokédex darauf angewiesen, mit Freunden zu spielen, die die jeweils andere Edition besitzen und gefangene Pokémon per Game-Link-Kabel tauschen.

Am 27. Februar 1996 erscheinen die Spiele schließlich in Japan – zu einem Zeitpunkt, an dem das Interesse am sieben Jahre alten Game Boy bereits abzuklingen begann. Doch die Verkaufszahlen schlugen durch: Alleine in Japan wurden die Spiele der ersten Pokémon-Generation insgesamt über 10 Millionen mal verkauft; das raffinierte Spielkonzept machte sich bezahlt. Die originalen Spiele mussten auf 512 KB große Game Paks passen und sind in GBZ80-Assembler geschrieben. Bekannt sind die Spiele auch für ihre vielen Glitches, die durch unterschiedliche Exploits hervorgerufen werden können, bekanntester Vertreter ist der MISSINGNO.-Glitch. Eine ganze Speedrun-Szene auf Twitch und YouTube macht sich diese Programmierfehler zunutze. In Japan wurde wenige Monate später noch die Version Pocket Monsters Ao (Blau) veröffentlicht. Im Wesentlichen wurden dabei einige Fehler behoben und Pokémon-Sprites aufgehübscht. Die Übersee-Versionen, Pokémon Rot und Blau, farblich ausgerichtet an der US-amerikanischen Fahne Stars and Stripes, basierten auf dieser Ausgabe. Die grüne Edition wurde außerhalb Japans nicht veröffentlicht. Im September 1998 erschienen die Spiele schließlich in Nordamerika.

Zu dieser Zeit wartet Patrick Roman Fabri auf sein erstes Projekt bei Nintendo of Europe in Großostheim. "Ich bin gerade dorthin gewechselt und wollte als begeisterter Spieler eigentlich lieber an Titeln wie Mario oder Zelda arbeiten", sagt Fabri. "Mein Chef sagte aber: Pokémon wird ein großes Thema. Das solltest du machen." Durch die Beschäftigung mit den Spielen wuchs auch die Motivation: So gehörte Fabri dem Kernteam zur Lokalisierung der Spiele auf Deutsch, Französisch, Italienisch und Spanisch an, das auch die Übersetzung des Animes, des Spieleguides und der Spin-off-Titel wie Pokémon Stadium für den Nintendo 64 koordinierte.

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Auch die Erstellung der Werbematerialien für die europäische Markteinführung, die Betreuung von Merchandising-Partnern und die Organisation von Events zur Verteilung spezieller, nicht im Spielablauf erhältlicher Pokémon, wurden in seiner damaligen Einsatzabteilung koordiniert. "Am Ende bin ich sehr stolz auf die geleistete Arbeit, die Spiele wurden hervorragend angenommen."

An den Lokalisierungsprozess erinnert sich Fabri wie folgt: "Los ging es mit der Lokalisierung der Pokémon-Namen. Das dauerte fast genau so lange wie die Lokalisierung der Spieltexte." Von den Entwicklern erhielt das Team eine Beschreibung, die ungefähr den Pokédex-Einträgen glich. "So gibt es ein Pokémon, das als weich, elastisch und fluffig beschrieben wurde. Wir haben es Pummeluff genannt. Bei Treffen mit dem Team in Japan mussten wir dann teilweise jede Wortsilbe der von uns gewählten Namen erklären." Einige Pokémon durften nicht lokalisiert werden, so etwa das Flaggschiff-Pokémon Pikachu. "Auch Pikachus Stimme in der ersten Staffel der deutschen Pokémon-Serie musste nachsynchronisiert werden, da diese nicht den Vorstellungen des Teams aus Japan entsprach. Das zeigt, wie wichtig Nintendo dieses Projekt war."

Parallel zur Namensfindung in Europa lief die Lokalisierung der Bildschirmtexte in Nordamerika. Als diese abgeschlossen wurde, konnte das Team auf die englischsprachige Übersetzung und dank japanischer Dolmetscher auch auf den Originaltext zurückgreifen. "Man unterschätzt leicht, was für ein Aufwand das war. Die Bildschirmtexte nahmen über 100 Seiten ein. Auch mussten wir auf den Speicherplatz schauen, da Texte auf Englisch oder Deutsch viel länger ausfallen als in japanischen Schriftzeichen. Aufgrund der begrenzten Game-Boy-Auflösung durfte eine Textzeile höchstens 18 Zeichen lang sein, in manchen Menüs sogar nur vier. Das englische 'use' mussten wir zwangsläufig als 'ben.' übersetzen."

Die Übersetzer mussten wegen der begrenzten Zeichenzahl der Original-Spiele kreativ werden.

(Bild: Nintendo)

Die deutsche Übersetzung von Pokémon Rot und Blau übernahm Fabri selbst, die französische leisteten zwei Kollegen, die spanische und italienische Edition wurden an externe Übersetzer vergeben. Die beiden letzteren Editionen erhielten keine lokalisierten Pokémon-Namen, wodurch sich qualitative Unterschiede zwischen den europäischen Übersetzungen ergaben. Am Anfang wurde noch per Excel-Sheet lokalisiert, was aufgrund abweichender Encodings aber fehleranfällig war. Später konnte das Team direkt mit den Quelldateien arbeiten.

Am 8. Oktober 1999 erschienen die Spiele schließlich in Deutschland, flankiert von einer im Nachmittagsprogramm von RTL II ausgestrahlten Anime-Serie und einem Kinofilm. Schnell eroberten die Taschenmonster die Schulhöfe hierzulande. Daran erinnert sich auch Katharina Stratmann von der rund 80.000 Mitglieder starken Fanpage Bisafans.de: "Ich war zu dieser Zeit noch in der Grundschule. Mein erster Kontakt mit Pokémon war die Serie bei RTL II. Das Anime-Genre wurde dadurch in Deutschland erst so richtig bekannt. Pokémon war natürlich schnell Gespräch in der Klasse und hat sich dann durch Mundpropaganda schnell verbreitet."

Schnell waren die Mitschüler auch mit Game Boy und den Pokémon-Spielen ausgestattet. Tajiris ursprüngliche Idee der Kommunikation scheint Anklang gefunden zu haben: "Der Kontakt zu echten Freunden war natürlich wichtig. Man ist darauf angewiesen, einen Freund mit der jeweils anderen Edition zu haben", sagt Stratmann. An den ersten Spielen schätzt sie besonders, dass diese noch sehr simpel gehalten wurden: "Diese waren noch nicht besonders ausgeschmückt, wie durch Mega-Formen oder besondere Story-Elemente, sondern definierten das bis heute unveränderte Kernkonzept: Kämpfen, sammeln, trainieren, tauschen."

Anlässlich des Jubiläums befragte die Community Bisafans auch ihre Mitglieder, was diese mit der ersten Pokémon Spielgeneration verbinden. Spieler Stefan schreibt: "Ich verbinde mit beiden Editionen sehr viele schöne Stunden meiner Kindheit. Ob mit meinen Geschwistern zu Hause oder mit Linkkabel auf dem Pausenhof." Userin Roxana erinnert sich daran, dass dank Zubehör-Lupe mit eingebauter Lampe (die Game-Boy-Modelle seinerzeit hatten keine Hintergrundbeleuchtung) auch lange Autofahrten nicht langweilig geworden seien. Spieler "Rivale Blau" schreibt: "Rot und Blau hatte damals in meiner Stadt jüngere Menschen zusammen gebracht […], die sich vermutlich sonst nie kennengelernt hätten."

Der Erfolg des milliardenschweren Pokémon-Franchises setzte sich nach den ersten Spielen in sieben weiteren Spielgenerationen fort. Mittlerweile gibt es 898 verschiedene Pokémon. 2016 kam durch das von Niantic entwickelte Pokémon Go noch einmal ein größerer Pokémon-Hype auf. Dass die erste Generation einen besonderen Platz in der Pokémon-Geschichte einnimmt, zeigt sich auch in den Remakes. Keine andere Generation wurde bisher zweimal neu aufgelegt: Pokémon Feuerrot und Blattgrün für den Game Boy Advance erschienen im Jahr 2004 und Pokémon Let’s Go Pikachu und Evoli für die Nintendo Switch im Jahr 2018.

Das Konzept der Hauptspiele hat sich in 25 Jahren nicht wesentlich geändert. Noch immer gibt es sechs Teampokémon mit jeweils vier Attacken. Erst Let’s Go änderte die Spielmechanik zuletzt behutsam ab: Beim Fangen von Pokémon ist – wie bei Pokémon Go – auch das Geschick des Spielers ausschlaggebend. Der Spieler muss dazu mit dem Joy-Con oder Pokéball Plus (ein eigens für diesen Zweck eingeführter Controller in Form eines Pokéballs) zum passenden Zeitpunkt in die richtige Richtung schwingen. Im Handheld-Modus muss der Spieler die Konsole in die richtige Richtung neigen und dann einen Knopf drücken.

Tastenkombinationen und Geklicke waren bei den ersten Spielen der Pokémon-Serie hingegen nur Mystik: Gerüchte, etwa durch Drücken der B-Taste die Chancen beim Fangen von Pokémon zu erhöhen, sind falsch. Und trotzdem dürfte sie jeder kennen, der heute oder vor 25 Jahren versucht hat, doch endlich dieses Mewtu zu schnappen.

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