Vor 80 Jahren: Sensationserfolg des Tonfilms "The Jazz Singer"

Der wirtschaftliche Erfolg des Films trat eine Mulitmedia-Revolution los und katapultierte den Kleinbetrieb Warner Brothers in die erste Liga der Medienunternehmen.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Georg Immich
  • Johannes Endres

Heute vor achtzig Jahren feierte in New York der Warner-Brothers-Film The Jazz Singer Premiere, eine Mischung aus Stummfilm und Musikszenen mit dem größten Broadway-Star seiner Zeit, Al Jolson, in der Hauptrolle und produziert im Vitaphone-Tonverfahren der Warner Brothers. In den Wochen nach der Premiere entwickelte sich die Geschichte des Kantorensohnes, der anfängt weltliche Lieder und Jazz zu singen, zu einem sensationellen Erfolg und Wendepunkt in der Geschichte des Films und des Studios Warner Brothers. Zusammen mit dem ersten reinen Tonfilm Lights of New York von 1928 und dem nächsten Al-Jolson-Musical The Singing Fool katapultierte dieser Tonfilmerfolg die Firma der vier Warner-Brüder von einem regional ausgerichteten Verleiher, Kinobesitzer und Filmproduzenten zu einem großen Player unter den Hollywoodstudios. Der "Jazz Singer" spielte beim Umbruch vom Stumm- zum Tonfilm weniger die Rolle eines prototypischen Films für die zukünftige Tonfilmzeit. Vielmehr zeigte er den Verantwortlichen der Filmindustrie, die mit Tonexperimenten bisher in der Regel schlechte Erfahrungen gemacht hatten, auf welches Zuschauerinteresse und Marktpotential für Spielfilme mit sprechenden Darstellern vorhanden war.

Zwar markiert "The Jazz Singer" den Anfangspunkt der Übergangsphase vom Stumm- zum Tonfilm, er war aber weder der erste Tonfilm, noch der erste Film im Vitaphone-Verfahren oder der erste Langfilm mit Ton, für den er oft gehalten wird. Bereits über ein Jahr zuvor im August 1926 hatten die Warner Brothers mit "Don Juan" den erste Langfilm mit Musikbegleitung im Vitaphone-Verfahren erfolgreich in die Kinos gebracht. Aber selbst das Vitaphone-System mit einer Kombination aus Filmprojektor und Schallplattenspieler war keine Neuheit, denn dieses Prinzip wurde bereits gut 27 Jahre vorher bei Filmvorführungen eingesetzt. Erste Laborexperimente mit einer Verbindung von Grammophon und Kinetoscope durch den Edison Mitarbeiter Laurie Dickson reichen sogar bis ins Jahr 1893 zurück. Die erste bekannte öffentliche Vorführung von Tonfilmen fand im Jahre 1900 auf der Weltausstellung in Paris statt.

In der Folgezeit wurden von unterschiedlichen Herstellern immer wieder ähnliche Systeme auf den Markt gebracht. Entgegen der landläufigen Meinung waren manche der Systeme relativ erfolgreich und wurden als spezielle Attraktionen eingesetzt. Ein bezeichnendes Beispiel aus dem Jahre 1908 ist der erste Filmauftritt des späteren "Casablanca"-Komparsen und "Himmel über Berlin"-Darstellers Curt Bois. Wenige Tage nach der Premiere der Operette "Der fidele Bauer" im Theater des Westens waren seine Auftritte als Heinerle auch in mehreren Tonbildern in den Berliner Kinos zu sehen. Diese frühe Form der "Cross Media Promotion" machten den damals Siebenjährigen zu einem berühmten Kinderstar der Kaiserzeit.

Spätestens nach längerem Betrieb offenbarten sich bei diesen frühen Tonverfahren systembedingte Probleme, denn bei getrennten Trägern für Ton und Bild kommt es recht leicht zu Synchronisationsprobleme. Was zunächst häufig zur Erheiterung des Publikums führt, aber sehr schnell in Missfallen umschlägt. Verantwortlich für asynchronen Vorführungen waren auf der einen Seite Bedienungsfehler, aber auch Filmrisse und schon der Verlust weniger Filmbilder brachten die Systeme aus dem Takt. Abhilfe sollte später das Lichttonverfahren bringen, bei dem sich sowohl Bild als auch Ton auf ein und dem selben Filmstreifen befinden, so dass man zumindest bei der Vorführung nicht mehr mit Synchronisationsproblemen zu kämpfen hat. Ab Anfang der 20er Jahre waren mehrere Forschergruppen mit der Entwicklung des Lichttons beschäftigt. In den USA waren dies unter anderem Lee De Forest und Joseph Tykociner und in Europa die Dänen Axel Petersen und Arnold Poulsen und die deutsche Tri-Ergon-Gruppe. Die eigentliche Durchbruch des Tonfilms erfolgte allerdings noch mit Nadeltontechnik und kam nur auf Umwegen und dank einiger Zufälle in Gang.

Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete man bei der AT&T Tochter Western Electric an einer Verbesserung der Musikaufnahme und -wiedergabe und entwickelte ein komplett neues System mit neuem Mikrofon, Verstärkern und Aufnahme auf speziellen Schallplatten. Nachdem man die neuen Anlagen in der Musikindustrie bei Firmen wie Columbia und Victor untergebracht hatte, dachte man über weitere Anwendungsgebiete nach und wandte sich 1925 an die Filmstudios und Kinoketten. Die großen Firmen zeigten aber kein Interesse an einem Tonsystem. Nur der technikbegeisterte Sam Warner, mit seinen drei Brüdern einer der Gründer und Gesellschafter der noch kleinen und wagemutigen Firma Warner Brothers, konnte sich eine spezielle Anwendung des Systems vorstellen.

Seine ursprüngliche Idee bei dem Vorhaben die eigenen Kinos mit einer Tonausrüstung zu versehen, lag darin auch in kleineren Theatern fern ab von New York den Zuschauern berühmte Opernsänger und Vaudeville-Künstler (auf Film) im Vorprogramm bieten zu können. Zusätzlich wollte man den Hauptfilm in voller Orchesterbegleitung (von der Schallplatte) präsentieren, anstatt wie sonst üblich in Klavierbegleitung, ohne jedoch an jedem Ort ein ganzes Orchester bezahlen zu müssen. Auf die damals abwegige Idee, Tonfilme mit Dialogen zu produzieren, ist man zunächst nicht verfallen. Selbst beim "Jazz Singer" wird der Hauptstrang der Geschichte in typischer Stummfilmmanier mit Zwischentiteln und Musikbegleitung erzählt. Nur bei der Aufnahme der Gesangsnummern improvisierte Al Jolson kurze einführende Worte, die seinen Bühnenüberleitungen sehr ähnlich waren. Nach zeitgenössischen Berichten sollen aber gerade diese Dialogfetzen die Zuschauer fast noch mehr elektrisiert haben, als die Gesangsdarbietungen selber.

"The Jazz Singer" ist ein Beispiel dafür, dass nicht unbedingt das fortschrittlichste Verfahren für den wirtschaftlichen Erfolg einer Technik verantwortlich ist. Vitaphone war zwar das technisch rückständigere Verfahren, kostete die Kinobesitzer jedoch weniger. Und dieTonstrategie der Warner Brothers war wohl eher wegen des Filminhalts werfolgreich. "The Jazz Singer" war die Verfilmung eines Broadway-Musicalhits von 1925 und mit Al Jolson engagierte man den erfolgreichsten Broadwaystar der Zehner und Zwanziger Jahre. Jolson war der Elvis Presley oder Robbie Williams seiner Zeit.

Die Relevanz der Inhalte bestätigen auch die Ereignisse ein halbes Jahr zuvor: Im April 1927 hatte das Fox-Studio mit Hilfe eines eigenen Lichttonverfahrens in einem New Yorker Kino mit der Vorführung von tönenden Wochenschauen (Fox Movietone News) begonnen. Nach einer ersten, kurzen Erfolgsphase aufgrund der Neuheit des Systems waren die Zuschauerzahlen aber wieder stark zurückgegangen.

Der dauerhaft große Erfolg des "Jazz Singers" traf die Führungsetagen der Hollywoodstudios, bis auf das Studio von William Fox, recht unvorbereitet. Im März 1928 trafen sich die Bosse von vier Studios und beschlossen gemeinsam die Umstellung ihrer Filmproduktion auf Tonfilm. Um sich nicht von dem Konkurrenten und Newcomer Warner Brothers, der im Besitz der Vitaphone-Patente war, abhängig zu machen, beschlossen sie, nicht auf dieses System zu setzen. Sie entschieden sich für das auch in der Anwendung einfachere und sichere neue Lichttonsystem von Western Electric. In den nächsten Monaten schloss auch der größte Teil der restlichen Studios Verträge mit Western Electric ab.

Zumindest in den Anfangsjahren war das Vitaphone-Verfahren aber nicht nur im Preis sondern auch in Bezug auf Dynamikumfang und die Wiedergabe von tiefen Tönen den konkurrierenden Lichttonverfahren überlegen. Allerdings waren die Vorteile der Systeme aus kombiniertem Bild und Lichtton und die Fortschritte des Lichttonverfahrens so immens, dass sich 1930 selbst Warner Brothers dazu entschlossen, umzusteigen. Da sich aber im ersten Tonfilmrausch viele Kinos für das günstigere Vitaphone-Verfahren entschieden hatten, wurden noch bis ins Jahre 1937 Vitaphone-Schallplatten gepresst – von Filmen, die eigentlich eine Lichttonspur hatten.

Vom "Jazz Singer" wurden bisher zwei Kinoremakes (1952, 1980) produziert, die aber an den Erfolg der ersten Verfilmung nicht anknüpfen konnten. Einzig zwei Biopics über Al Jolson liefen Ende der 40er Jahre, kurz vor seinem Tod 1950, recht erfolgreich. Im Jahre 1996 wurde der Originalfilm in die Liste des zu schützenden amerikanischen Filmerbes aufgenommen. Seit 5.00 Uhr MESZ (5.10. 20:00h lokaler Zeit) begeht in Los Angeles die International Al Jolson Society zusammen mit der Academy of Motion Picture Arts and Sciences das 80-jährige Jubiläum des "Jazz Singer" mit der Vorführung einer restaurierten Kopie. Die Abendveranstaltung im Samuel Goldwyn Theater ist dabei der Auftakt eines Gedenkwochenendes zu Al Jolson und den Pioniertagen des Tonfilms. (Georg Immich) (je)