Vorratsdatenspeicherung: Mahnung aus Brüssel auf Berliner Wunsch?

Die FDP-Justizministerin sieht die EU-Kommission in der Pflicht, rasch Vorschläge zur Reform der entsprechenden Richtlinie zu unterbreiten. Zugleich wirbt der CSU-Innenminister mit Nachdruck für das anlasslose Datensammeln.

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Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger sieht im Streit um die anlasslose Protokollierung von Nutzerspuren die Europäische Kommission in der Pflicht, rasch Vorschläge zur Reform der heftig umstrittenen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zu unterbreiten. Die überfällige Änderung der EU-Vorgaben dürfe nicht auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben werden, sagte die FDP-Politikerin der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Während die Kommission mit "Brachialgewalt die Umsetzung eines Auslaufmodells" fordere, komme sie mit der angekündigten Überarbeitung der Direktive "keinen Schritt voran". Dies sei erklärungsbedürftig.

Die EU-Kommission hatte Deutschland am vergangenen Donnerstag eine Frist von vier Wochen gesetzt, um einen mit dem EU-Recht vereinbaren Gesetzesvorschlag zur Vorratsdatenspeicherung vorzulegen. Unterstützung erhielt die Ministerin in ihrem Kurs aus der Opposition. Die bisherige Linie Brüssels sei "alles andere als überzeugend", erklärte der innenpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Konstantin von Notz. Zum jetzigen Zeitpunkt gerichtlich gegen die Bundesrepublik vorgehen zu wollen, sei angesichts der erwarteten grundlegenden Novelle der einschlägigen Richtlinie "Symbolpolitik mit der Brechstange".

Die Kommission wäre laut von Notz stattdessen gut beraten, "zunächst die eigenen Hausaufgaben zu erledigen". Der Nachweis der Notwendigkeit beziehungsweise Nützlichkeit der verdachtsunabhängigen Aufbewahrung von Telekommunikationsdaten und eine Vereinbarkeit dieser mit EU-Grundrechten stehe bis heute aus.

Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hat derweil die Behauptung des Innenexperten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl, zurückgewiesen, wonach die Ermittlung des Todesschützen von Toulouse nur dank der französischen Regeln zur einjährigen Vorhaltung von IP-Adressen durch die Provider möglich gewesen sei.

Laut der Darstellung Breyers habe sich die französische Justiz erst zum Zugriff auf die Wohnung des Täters entschlossen, nachdem ein Motorradhändler angegeben habe, dass sich der Gesuchte bei ihm nach Möglichkeiten zum Entfernen eines Ortungschips erkundigt hatte. Da der Schütze seit Jahren Kunde des Geschäftsmanns gewesen sei, habe dieser aus seiner Kundendatei den Namen des Beschuldigten heraussuchen und der Polizei übergeben können.

Der Jurist der Bürgerrechtsvereinigung riet der Bundesregierung, kühlen Kopf zu bewahren, eine Befreiung von der Umsetzungspflicht zu beantragen und die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über die Vereinbarkeit der Richtlinie mit den Grundrechten abzuwarten.

Rätselraten herrscht weiter darüber, warum die Mahnung der EU-Kommission ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt erfolgte: Von Seiten der FDP gab es bereits Spekulationen, dass Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich als Befürworter der Vorratsdatenspeicherung das Brüsseler Ultimatum quasi selbst bestellt habe. Auf netzpolitik.org tauchte nun ein Schreiben (PDF-Datei) des CSU-Politikers an die federführende EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström vom 28. Februar auf. Friedrich beklagt darin, dass aufgrund eines Grundsatzurteils des Bundesverfassungsgerichtes "keine statistisch belastbaren Erfahrungen zu den Auswirkungen der Vorratsdatenspeicherung" vorlägen. Parallel lieferte er eine Statistik des Bundeskriminalamts (BKA) mit, wonach dieses auf rund 85 Prozent aller Anfragen nach Verbindungs- und Standortdaten keine Angaben von den Providern erhalten habe. Eine aktuelle Studie des Max-Planck-Instituts für Strafrecht geht dagegen nicht davon aus, dass das Kippen der Vorratsdatenspeicherung zu Schutzlücken führen würde.

Friedrich selbst hatte in einem Interview (MP3-Datei) mit dem Deutschlandfunk vergangene Woche erklärt, dass sich die Kommission von niemandem drängen lasse, etwas zu unternehmen. Natürlich gebe es eine "heftige Korrespondenz" zwischen der Bundesregierung und Brüssel, und dort werde das Vorgehen Berlins genau beobachtet. Es stehe daher außer Frage, dass sich auch das Innenministerium trotz der Federführung des Justizressorts geäußert habe. Druck aus Brüssel entstehe durch das Drängen von Sicherheitsbehörden aller europäischen Länder. Diese wüssten, wie wichtig es sei, über IP-Adressen und Kontaktdaten Kriminellen auf die Spur zu kommen. (ssu)