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We Happy Few: Die Unfähigkeit zu bereuen

Das kanadische Studio Compulsion Games hat ein Survival-Rollenspiel mit bestürzender Geschichte in einem alternativ-historischen Szenario geschaffen: "We Happy Few" ist alles andere als Mainstream-Alltagsware.

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Joy-Junkies

Wer Joy-Pillen einwirft, wird bedingungslos froh und schert sich nicht um Anstand oder Moral – auch nicht um Menschlichkeit.

(Bild: Compulsion Games)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Peter Kusenberg

Das ungewöhnliche Survival-Rollenspiel "We Happy Few" beginnt mit einer Rahmenhandlung, die einem Kinofilm alle Ehre machen würde: Im Jahr 1964 sitzt ein Beamter in seinem Büro und zensiert Zeitungstexte in einer Redaktionsmaschine. Als er beginnt, sich unwohl zu fühlen, holt er eine sogenannte Joy-Pille hervor und überlegt, ob er sie einnehmen soll oder nicht.

Mit der Entscheidung, es nicht zu tun, startet die eigentliche Spielhandlung, denn die meisten Bewohner der dystopischen Welt von "We Happy Few" schlucken regelmäßig Joy-Pillen, um nicht den Horror der Wirklichkeit zu sehen und um moralisch höchst fragwürdige Handlungen ausführen zu können, ohne Ekel vor sich selbst zu empfinden. Hier hat ganz eindeutig Stanislav Lems Roman-Evergreen "Der futurologische Kongress" von 1970 Pate gestanden, in dem eine ausgefeilte "Psychemie" bereits einer ganzen Weltbevölkerung eine Scheinrealität vorgaukelt.

Der Spieler erlebt das Abenteuer aus der Ich-Perspektive und folgt dem roten Faden einer durchgängigen Geschichte, die ihn durch einen fiktiven britischen Ort namens Wellington Wells führt. Während der deutschen Besatzung, die in dieser alternativen Historie in den 1930er-Jahren stattfand, begingen die Bewohner des Ortes entsetzliche Verbrechen, die sie seitdem durch Einnahme der halluzinogenen und betäubenden Droge Joy zu vergessen suchen. Die Joy-Junkies erkennt man an ihren clownartig geschminkten und verzerrten Fratzen.

Die "Downer" erkennt man an ihren lumpigen Kleidern, den freudlosen Gesichtern und der lebensmüden Haltung.

(Bild: Compulsion Games)

In der längeren spielbaren Episode, die auf der Gamescom gezeigt wurde, sieht der Spieler erst dann, was die Joy-Junkies Schreckliches tun, als er selbst ohne Betäubung aus der Zensurbehörde entkommt und in einem heruntergekommenen Stadtteil landet. Hier leben die meisten der sogenannten Downer, also jene Menschen, die auf Joy verzichten. Einige von ihnen begehen Selbstmord, andere werden Opfer von Polizeigewalt oder geraten in Streit miteinander.

Ein Zankapfel sind Werkzeuge und Lebensmittel, die der Spieler suchen und verwenden muss, um in der Welt zu überleben. In dieser Hinsicht setzt die Demo den Spieler unter übertriebenen Druck. Man muss in sehr kurzen Abständen Wasser trinken und Äpfel essen, um nicht zu sterben. Das Verdursten kann sogar während eines Kampfes mit hungrigen Radaubrüdern geschehen, selbst wenn sich die Lebensanzeige vor dem Kampf noch im grünen Bereich befunden hat.

Das Basteln von Werkzeugen und Waffen wirkt unterhaltsam, zudem gibt es interessante Orte in der Spielwelt zu entdecken, etwa einen bewachten Apfelbaum. Erstaunlicherweise bleiben die drei dort postierten Polizisten passiv, wenn der Spieler recht plump alle Äpfel stibitzt. Im fertigen Spiel soll man den Entwicklern zufolge häufig anspruchsvolle Schleich-Einsätze erledigen, zudem soll sich die Story an markanten Punkten bemerkbar machen und den Spieler in neue Bereiche von Wellington Wells führen. Kleine Rätsel sind integriert; meist geht es um das Lösen einfacher Kombinationsaufgaben.

Etliche Szenen in "We Happy Few" transportieren Hoffnungslosigkeit und Entsetzen.

(Bild: Compulsion Games)

Die visuelle Gestaltung ist überzeugend, das Nachkriegs-Ambiente erinnert ein wenig an Bioshock. Das Bewegungsrepertoire der Figuren ist bislang noch stark begrenzt – daran sieht man deutlich, dass noch einige Arbeit in das Spiel investiert werden muss. Die Demo ließ noch keine echten Dialoge zu. Hier liefen die stattdessen automatische Gespräche ab, die allerdings die Verzweiflung der "Downer" gut zum Ausdruck brachten. Einige ausgesprochen grauenhafte Szenen machen eine künftige USK-Einstufung "ab 18" wahrscheinlich.

"We Happy Few" soll noch in diesem Jahr für Windows und Xbox One erscheinen. Verantwortlich zeiuchnet das in Kanada ansässige Entwicklerstudio Compulsion Games – es hat 2013 das Knobel-Schleichspiel "Contrast" als einen der originelleren Starttitel für die Playstation 4 veröffentlicht. Letztlich enttäuschte "Contrast" allerdings die hoch getriebenen Erwartungen.

Bei "We Happy Few" stört aktuell der ständige Zwang zum Ressourcen-Sammeln. Wenn es den Entwicklern gelingt, das Sammeln, Craften, Rätseln und Kämpfen harmonisch im Handlungsverlauf zu verteilen, könnte dies ein famoses und angenehm gruseliges Survival-Abenteuer werden. (psz)