Wenn Maschinen zu viel mauscheln

Jean-François Abramatic, Vorstandsvorsitzender des World Wide Web Consortium, will den Netzalltag durch Absprachen zwischen Maschinen erleichtern.

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Geht es nach Jean-François Abramatic, dem Vorstandsvorsitzenden des World Wide Web Consortium (W3C), läuft im multimedialen Teil des Internet ohne die permanente "Verständigung" zwischen Maschinen untereinander bald nichts mehr. Der Computerwissenschaftler, dessen Organisation über die Standards und Protokolle im Web wacht, glaubt fest daran, dass die ans Internet angeschlossenen Geräte über das Web in Zukunft zunächst komplexe Informationen über Datenschutzansprüche oder Inhaltsvorlieben von Surfern austauschen, bevor die eigentlichen Kommunikations- oder Handelspartner überhaupt miteinander in Kontakt kommen.

So wie heute Modems bei der Einwahl ins Internet einen virtuellen Handschlag mit ihrem maschinellen Kommunikationspartner beim Provider ausführen und sich beispielsweise auf eine Verbindungsgeschwindigkeit einigen, würde dann vor dem Besuch einer Website zunächst ein automatisiertes "Hintergrundgespräch" zwischen Client und Server stattfinden. Dabei würde ausgehandelt, ob die zwei Parteien überhaupt zueinander passen.

Abramatic, der seine Visionen heute während einer Pressekonferenz im Berliner Nobelhotel Adlon ausführte, schwärmt in diesem Zusammenhang vom "semantischen Web". Darunter fasst er ein von "Maschinen verstehbares Rahmenwerk", um Wissen mit Hilfe von Computern austauschen und verarbeiten zu können. Immer vor Augen steht dem Techniker dabei die ursprüngliche Vision des Web-Erfinders Tim Berners-Lee. Der Engländer, der das W3C im Oktober 1994 gegründet hatte und heute als Direktor das Konsortium leitet, sieht in seinem langsam in die Pubertät kommenden Kind "ein Universum der über Netzwerke zugänglichen Information", in dem aus Daten Wissen entstehen.

Um auf dem Weg zu diesem Ziel gut zehn Jahre nach der Geburt des Webs weiter voranzukommen, sieht Abramatic den verstärkten Einsatz der Maschine-zu-Maschine-Kommunikation als unerlässlich an. Anders sei die Komplexität des "Wissensmediums" schon heute nicht mehr zu managen. Dabei erreiche das Web trotz seines unglaublichen Erfolgs heute erst fünf Prozent der Weltbevölkerung. Die Herausforderungen beim Vorantreiben einer globalen Informationsgesellschaft, in der die Menschen außer über PCs auch über Mobilgeräte, Fernseher und Toaster mit dem Web verknüpft sind, und die damit verbundenen Skalierbarkeitsprobleme ließen den Aufbau neuer Verständigungsebenen zwischen den vernetzten Maschinen daher umso dringender erscheinen.

Praktisch lebt die Vision der W3C-Manager von der Implementierung von immer mehr Metadaten in Webseiten. Die Informationen über Informationen entsprechen für Abramatic den semantischen Sprachen, die Maschinen und Software-Agenten interpretieren können. Solche Sprachen sind vor allem XML, mit der sich Strukturen innerhalb von Webdokumenten festlegen lassen, und RDF. In diesem erst anderthalb Jahre alten Resource Description Framework, durch das sich Anmerkungen in den Code des Webs einfügen lassen, sieht Abramatic gar "die Basis fürs Knowledge-Management der Zukunft".

Eine konkrete Anwendung für die maschinenvermittelte Webkommunikation ist nach Abramtics Ansicht P3P, die Platform for Privacy Preferences. Server und Client überprüfen dabei automatisch, ob die vom Nutzer eingegebenen Datenschutzpräferenzen mit den Praktiken eines Informationsdienstes oder Webhändlers übereinstimmen. "Das spart viel Zeit", glaubt Abramatic. Außerdem stelle eine solche Verfahrensweise eine Verbesserung zum Status quo da, bei dem zwar immer mehr Shopping-Sites ihre Datenschutzbestimmungen irgendwo auf ihrer Homepage präsentierten, diese aber eh kaum jemand lese. Wichtig sei allerdings, dass sich wie im realen Leben auf einem Marktplatz auch im Internet erst ein "Web of Trust" entwickle. P3P selbst könne zumindest eine Basis dafür bieten.

Der Mathematiker, der seit September auch die Entwicklungsabteilung des französischen E-Commerce-Enablers Ilog leitet, baut bei seinen Visionen voll auf die Technik als Lösungsmittel für soziale Probleme. Doch vielen Menschen dürften die "Mauscheleien" im Maschinen-Space nicht ganz geheuer sein. Bestätigt werden die Ängste durch Vorhaben wie den gerade verkündeten Zusammenschluss zahlreicher amerikanischer E-Commerce-Anbieter, die einen Standard für den Austausch von Kundenprofilen entwickeln wollen. Datenschützer kritisieren derartige Vorstöße als Einladung zum ungehinderten Austausch persönlicher Verbraucherinformationen – und P3P könnte solche Verletzungen des "Web of Trust" trotz gegenteiliger Zielsetzung gerade erleichtern.

Nicht unumstritten ist zudem, dass Abramatic Protokolle für die Auswertung von Metadaten auch für die inhaltliche Regulierungsvorhaben nutzbar machen will. "Wir sollten den Menschen Werkzeuge in die Hand geben, mit denen sie auch vor Seiten gewarnt werden, die ihren religiösen oder politischen Vorstellungen nicht entsprechen", glaubt der W3C-Vorstandsvorsitzende. Die Erfindung solcher Systeme müsse aber einhergehen mit einer gesellschaftlichen, demokratischen Debatte über die Regulierung von Inhalten. (Stefan Krempl) / (jk)