Wer wird Chef im "rollenden Computer"?

Über das Auto als zukünftige Kommunikationsplattform sowie die Koexistenz verschiedener Systeme und Anbieter tauschten sich Experten auf einer Tagung des Münchner Kreises aus.

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Von
  • Monika Ermert

Das Auto als rollende Kommunikationsplattform – in diesem Markt drängen neben den Herstellern klassischer Bordnavigationssysteme auch die mobiler Lösungen, Netzbetreiber oder Konzerne wie Nokia. Wer das Rennen als persönlicher "virtueller Reisebegleiter" des Autofahrers 2.0 macht, ist offen. Bei einer Fachkonferenz des Münchner Kreis stellten die Vertreter der verschiedenen Branchen Ideen vom teil-autonomen Fahren und Community-gefütterten Navigationssystemen vor. Der Autohersteller werde nicht mehr nur Autos verkaufen, sondern auch neue Dienste, prognostizierte Peter Stolte von T-Systems. "Eigene Daimler-Nachrichten wird es aber nicht geben", versicherte Ralf Herrtwick von Daimler. Der Fahrzeughersteller und die Telekom gehören zu den Partnern eines groß angelegten, vom Bund geförderten Testprogramms zur sicheren und intelligenten Mobilität (SIM-TD), eines von rund einem Dutzend Forschungsprojekten.

Aus Sicht eines großen Automobilherstellers wie Daimler steht neben den substanziellen Einsparpotenzialen der Gewinn an Sicherheit ganz oben bei der Entwicklung künftiger Car-to-Car (C2C) und Car-to-Infrastructure-Systeme (C2X). Bessere Sensoren sollen Autofahrern künftig Bremseingriffe an Stau-Enden oder in Gefahrsituationen abnehmen, indem der "telematische Horizont" erweitert wird. Apropos Sicherheit: Schon jetzt lassen sich mit einem von der Rettungsorganisation Björn Steiger Stiftung geförderten System nach einem Crash Informationen an die Rettungszentrale übermitteln, etwa über die Zahl der Insassen oder die Frage, ob sich das Fahrzeug überschlagen hat – vorerst allerdings nur bei Fahrzeugen der Luxusklasse.

Für C2C- und C2X-Kommunikation zur Unfallvermeidung soll künftig ein Nahbereichsradar-System (Dedicated Short Range Communication, DSRC) genutzt werden. "UMTS oder GPRS sind in der Verbindung viel zu langsam", sagte Bharat Balasubramanian, Vice President Group Research bei Daimler. In den USA wurden die notwendigen Frequenzen für den Bereich 5,8 GHz bereits zugeteilt. "In Europa dauert es immer etwas länger", so Balasubramanian. In einer aus Sicht der Forscher idealen Welt sollen am Ende alle Bereiche integriert sein, von der Bremswarnung des Vordermanns über die Information vom Roadside Unit über das Stauende in zwei Kilometern bis zur Meldungen zentraler Verkehrseinrichtungen übers Internet. Zunächst, sagt Ralf Herrtwich, Direktor Infotainment and Telematics bei Daimler, "wird man den Umweg über die C2X-Strecke nehmen, einfach weil man für C2C eine bestimmte Penetration braucht."

Bei dem von TomTom in den Niederlanden eingeführten HD Traffic System, das vor Staus und hohem Verkehrsaufkommen warnt, werden zwar jede Menge Daten verarbeitet. Die gesammelten Daten über die Bewegung der Kunden seien aber erst mal TomTom-Daten. "Unsere Kunden sind die besten Scouts", sagte Wolfgang Reelitz, Vice President Automotive Sales bei TomTom. Millionen TomTom-Nutzer, deren Geräte automatisch mit einer SIM-Karte ausgestattet sind – "die Leute wissen das gar nicht" – hätten dem anonymisierten Auslesen ihrer Daten zugestimmt. Um die Daten noch anzureichern, greift man schließlich auch noch auf Daten von Vodafone-Kunden zurück, die mit Mobiltelefon im Auto unterwegs sind. Diese Daten würden verschlüsselt überliefert, versicherte Reelitz auf Nachfragen zum Datenschutz. Für TomTom zählten nur die Verkehrsströme, nicht das individuelle Verhalten.

Ebenfalls in den Navigationsmarkt möchte ganz gerne der bisherige Hardwareexperte Nokia. Nokia Maps und das demnächst startende Maps on OVI soll sich einerseits der Navigation im Auto, andererseits auch der von Fußgängern widmen. Christof Hellmis, Direktor Navigation and Routing bei Nokia gate5, warb insbesondere mit dem "Plattformcharakter", der neben dem eigenen Premiumdienst Navigation auch die Einbindung zahlreicher neuer, kleiner Applikationen bieten soll. Hellmis berichtete wie Reelitz von der Unbekümmertheit der Kunden, Orts- und mehr persönliche Daten preiszugeben. Datenschutz, versicherten alle, sei ein wichtiges Thema.

Wer das Rennen macht bei der Navigation, ob Newcomer wie TomTom oder Nokia, oder die "Dinosaurier"-Systeme von Unternehmen wie Blaupunkt-Bosch, muss sich zeigen. Mobilität und geringere Kosten für die Handheld-Lösungen sprechen den Massenmarkt an. Die Nutzer wollten so wenig Geräte wie möglich, so Hellmis. Eine Koexistenz von All-in-one-Geräten und spezialisierten Geräten prophezeite Reelitz.

Bernd Schuster vom hessischen Wirtschaftsministerium, Partner im SIM-TD-Projekt, warnte vor einer Unübersichtlichkeit der verschiedenen Informationssysteme, die in aktuellen Tests unterschiedliche Routen empfehlen und empfahl einen Abgleich privater und der in den Verkehrsleitstellen vorhandenen Daten. (Monika Ermert) / (vbr)