Wettbewerbsrechtler: Microsoft macht Millionen mit Aufschlag für fremde Cloud

Kunden, die Microsoft-Server oder Office 365 in einer unabhängigen Cloud laufen lassen, zahlen mehr als Azure-Nutzer. Laut einer Studie ist das richtig teuer.

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Gebäudeeingang, am Gebäude die Aufschrift "Microsoft"

(Bild: Denis Linine/Shutterstock.com)

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Unternehmen und Behörden in Europa entstehend jedes Jahr Mehrkosten von mehreren Milliarden Euro, weil sie gekaufte Microsoft-Programme in einer Cloud-Infrastruktur anwenden, die nicht zu dem US-Konzern gehört. Das geht einer Studie des US-Wettbewerbsrechtlers Frédéric Jenny hervor, die der europäische Cloud-Betreiberverband CISPE veröffentlicht hat.

Microsoft-Kunden können seit 2019 ihre alten Lizenzen nicht mehr einfach so zu anderen Cloud-Anbietern wie AWS, Google und Alibaba mitnehmen, sondern müssen dafür extra zahlen. Jenny schätzt, dass diese Änderung allein beim Bürosoftware-Paket Office 365 zu Mehrkosten von 100 bis 930 Millionen Euro in Europa geführt hat. Der "auf konservativen Annahmen basierende" Mittelwert liege bei 560 Millionen Euro.

Der emeritierte Wirtschaftsprofessor vergleicht diese Zahlen mit den europäischen Office-365-Umsätzen von Microsoft im Jahr 2019. Der europäische Markt für Bürosoftware war damals 4 Milliarden Euro groß, wovon etwa die Hälfte auf Office 365 entfiel. Die Zusatzbelastung entspreche also einem Aufschlag von etwa 28 Prozent.

Für die Untersuchung führte Jenny zunächst eine "Reihe von Interviews mit großen Cloud-Kunden" durch. Die Zahl der Befragten, denen generell Anonymität zugesichert wurde, belaufe sich auf "rund 20 große, meist börsennotierte Unternehmen aus verschiedenen Branchen in Europa", erklärte ein CISPE-Sprecher gegenüber heise online. Um Behauptungen über angebliche Missbrauchspraktiken zu untermauern, bat er die Befragten, ihre Arbeitsbeziehungen mit Cloud-Anbietern detailliert darzulegen und etwaiges unfaires oder wettbewerbswidriges Verhalten anzugeben.

Ferner sollten die Kunden "im Rahmen des Möglichen" quantitative Schätzungen der anfallenden Mehrkosten abgeben. Dabei kann es sich sowohl um direkte Gebühren wie Lizenzzuschläge als auch um indirekte Kosten handeln, wie die zu erwartenden Einsparungen, wenn ein Nutzer frei zwischen Cloud-Anbietern entscheiden könnte.

Die Kombination dieser qualitativen und quantitativen Elemente lieferten Jenny zufolge "wichtige Erkenntnisse über die individuellen Kostenauswirkungen, die diese potenziellen Missbräuche auf die Endkunden haben können". Insbesondere stellten die Befragten laut den Resultaten "erhebliche überhöhte Lizenzgebühren im Zusammenhang mit der BYOL-Richtlinie von Microsoft fest" ("Bring Your Own License"), die sich auf Nutzer von Office 365 und SQL Server auswirkte: Wer bereits Microsoft-Software erworben hat, kann die damit verknüpften Lizenzen in Clouds anderer Anbieter einbringen. Das hat seit 2019 aber seinen Preis. Die genannten Aufschläge nahm Jenny als "Input" und extrapolierte sie auf die gesamte Branche, um den Gesamtschaden abzuschätzen.

Der Vorsitzende des OECD-Wettbewerbsausschusses erläutert, dass die rund 560 Millionen Euro für Unternehmen gelten, die ihren Lizenzrückkauf um mindestens ein Jahr verschoben haben und dadurch genauso lang Mehrkosten hatten. "Da wir die Kosten nur für das erste Jahr berechnen und einigen Unternehmen möglicherweise über einen längeren Zeitraum zusätzliche Kosten entstanden", bewege sich die Summe an der unteren Grenze.

Jenny ging zunächst von der Anzahl der europäischen Betriebe aus, die Office 365 im Jahr 2019 auf Cloud-Diensten jenseits von Microsofts Azure implementierten. Das seien geschätzt 506.673 gewesen. Er berücksichtigte dann den Anteil davon, der 2018 generell Cloud-Computing nutzte (23,9 Prozent), die Quote der Drittdienstleister-Kunden (73,5 Prozent) und den Marktanteil der Konkurrenten von Microsoft Azure (83 Prozent). Weiter geht er davon aus, dass nur 66,7 Prozent der Firmen Lizenzen zurückkauften. Weiter heißt es: "Multipliziert man diese vier Anteile mit der Anzahl der Unternehmen, die über Office-Lizenzen verfügen, ergibt sich 49.274". Das sei die Menge der Firmen, die sich mit den Aufschlägen konfrontiert gesehen hätten.

Um die durchschnittliche Anzahl der Office-Lizenzen pro Unternehmen abzuschätzen, hat Jenny den Anteil der Arbeitnehmer mit Hochschulabschluss in der EU (35,1 Prozent) mit der durchschnittlichen Größe von Firmen, die Office 365 verwenden (131,8 Mitarbeiter), multipliziert. Da er auch "digital fortschrittlichere" Unternehmen einschließen wollte, geht er letztlich davon aus, dass Office-Lizenzen für 51,3 Prozent der Arbeitnehmer erworben werden. Die Spanne der Zusatzkosten erhöhe sich so auf 140 bis 1360 Millionen Euro.

Ferner setzt der Forscher eine Office-365-Enterprise-Lizenz (E3) an, für die Microsoft 2022 331,2 US-Dollar berechnete. Für die niedrigeren und höheren Schätzungen bezieht er zudem die "günstigsten und teuersten verfügbaren" Office-Lizenzvarianten ein, "um eine angemessene Kostenspanne darzustellen". Durchschnittliche Großkundenrabatte in Höhe von 11,2 Prozent zieht er ab. So kommt er – unter Berücksichtigung der anteiligen Kosten für den Rückkauf der Lizenz für die Cloud-Nutzung bei Drittanbietern – auf die endgültige Schadensschätzung. Ähnlich berechnete Jenny auch die Mehrkosten für die Lizenzierung von Microsofts SQL-Server in einer unabhängigen Cloud und kommt dabei auf gut eine Milliarde Euro.

Die Befragten wiesen laut der Untersuchung insbesondere darauf hin, dass Microsoft seine Kontrolle über den Markt für Unternehmenssoftware nutze, um das Wachstum Azures voranzutreiben. Ein Nutzer, der durch ein bestimmtes geschäftskritisches Produkt in das Ökosystem hineingezogen werde, sehe sich genötigt, immer mehr Lizenzen zu erwerben, und werde so in der Microsoft-Cloud insgesamt gefangen. Jenny kommentiert: "Die Abhängigkeit von Microsoft-Produkten kann so groß sein, dass einige Befragte die Beziehung zum Software- und Cloud-Anbieter als eine 'Ehe' bezeichnen, aus der sich nur schwer entfliehen lässt." Ein anderer Teilnehmer beklagte: "Wir haben es hier mit einem Markt zu tun, der dem des organisierten Verbrechens sehr ähnlich ist."

Die an Microsoft zusätzlich abzuführenden Summen würden von Wachstum, Innovation und einer schnelleren und effektiveren digitalen Transformation abgezweigt, moniert CISPE. Im auch betroffenen öffentlichen Sektor handle es sich um eine ungerechtfertigte Umleitung von Steuergeldern. Amit Zavery, Hauptgeschäftsführer von Google Cloud, beschwerte sich jüngst ebenfalls über die "Microsoft-Steuer". Die Cloud stehe für "Offenheit, Auswahl und Transparenz". All dies führe Microsoft mit seiner Herangehensweise ad absurdum. Europäische Cloud-Anbieter werfen Microsoft seit Langem vor, die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Markt stark einzuschränken. Die EU-Wettbewerbshüter haben mittlerweile Untersuchungen eingeleitet.

Microsoft hat nach eigener Auffassung dagegen schon bewiesen, "dass wir bereit sind, auf alle berechtigten Bedenken bezüglich unserer Cloud-Lizenzierungsbedingungen einzugehen." Eine Anfrage von heise online für eine Stellungnahme zu den präsentierten Zahlen und Summen beantwortete der Konzern zunächst nicht.

(mho)