Whistleblower-Schutz: "Ein deutscher Snowden wäre nicht erfasst"

Forscher warnen vor einer Schmalspur-Umsetzung der EU-Richtlinie zum Whistleblower-Schutz in Deutschland. Der Bereich innere Sicherheit bliebe außen vor.

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(Bild: Lightspring / shutterstock.com)

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Seit Monaten warten Beobachter auf einen Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium, mit dem die 2019 vom EU-Parlament beschlossene Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern umgesetzt werden soll. Ende November sollte das Papier nach mehrfachem Aufschub an Verbände und andere Interessensvertreter gehen, doch daraus wurde wieder nichts. Die Gründe: Die Materie ist komplex und vor allem zwischen den Ressorts für Justiz und Wirtschaft tobt ein Kampf über den Kurs.

"Der sachliche Anwendungsbereich ist hierzulande besonders umstritten", erklärte Simon Gerdemann, Rechtsberater des Whistleblower-Netzwerks, am Sonntag nach einer europäischen Online-Konferenz zur Gesetzgebung rund um Hinweisgeber. Die Kernfrage laute, ob eine Eins-zu-Eins-Umsetzung der EU-Vorgaben ausreiche oder auch Verstöße gegen deutsches Recht integriert werden sollten.

Die Instrumente der Richtlinie gehen zwar weit. Damit verknüpft ist etwa ein Anti-Diskriminierungsrecht mit einem weiten persönlichen Anwendungsbereich. Dieser umfasst neben Arbeitnehmern auch Selbständige und Vertragsfirmen, Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder, Beamte, Unterstützer wie Betriebsräte und persönlich verbundene Dritte wie Verwandte. Dazu kommt ein umfassender Schutz vor Repressalien wie Kündigung, Mobbing, Rufschädigung oder "anderweitigen Benachteiligungen".

Anders als in der deutschen Rechtsprechung muss ein Hinweisgeber einen Missstand auch nicht zunächst intern in der eigenen Firma oder Behörde melden. Er kann sich auch unmittelbar an übergeordnete Whistleblower-Stellen wenden oder bei irreversiblen Schäden, drohenden konkreten Repressalien und beim Ausbleiben einer zeitnahen Rückmeldung an die Medien. Für Gerdemann ist damit offensichtlich, dass auf Übeltäter ein "nicht unerheblicher Druck ausgeübt werden soll". Ziel sei es, dass Missstände nicht mehr einfach unter den Teppich gekehrt werden könnten.

Bislang müssen Whistleblower hierzulande kausal nachweisen, dass ihnen im Arbeitsleben entstandene Nachteile mit ihrem Einschreiten verknüpft sind. Die Richtlinie sieht hier eine Beweislastumkehr vor. Die Prüfung, ob sie aus ehrenwerten oder altruistischen Gründen gehandelt haben, fällt ebenfalls weg. Firmen und Institutionen müssen ferner spezielle interne Kanäle für einschlägige Hinweise einrichten und einen speziellen Beauftragten bestellen.

Die Richtlinie ist naturgemäß aber nur auf Verstöße gegen EU-Recht ausgerichtet. Das betrifft etwa Finanzdienstleistungen und Ausschreibungen, die Produkt- und Lebensmittelsicherheit, die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sowie die Bereiche Umwelt- und Gesundheit. Nicht dabei sind unter anderem der Arbeitnehmerschutz, Verschlusssachen und die innere Sicherheit. Ob das nationale Strafrecht darunter fällt, ist umstritten.

Geheimdienstmitarbeiter hätten auf jeden Fall keine Chance, sich auf die EU-Bestimmungen zu berufen, erläuterte Gerdemann. "Ein deutscher Snowden wäre nicht erfasst", spielte er auf den wohl bekanntesten Whistleblower an, der die NSA-Massenüberwachung ins öffentliche Bewusstsein rückte. Die von ihm aufgedeckten Missstände hätten zudem im Großen und Ganzen nicht formal gegen das US-Recht verstoßen. Diskutiert werde daher vielfach, ob auch Hinweise auf unethisches Handeln öffentlich gemacht werden dürften.

Das Justizministerium strebe nun ein breites eigenes deutsches Whistleblowing-Recht an, berichtete Gerdemann, der auch als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der SPD-Bundestagsabgeordneten Nina Scheer tätig ist. Diese Linie unterstützten zahlreiche Bürgerrechtsorganisationen und etwa auch der DGB. Das Wirtschaftsressort hatte dagegen ein Eckpunktepapier der federführenden Kollegen im Frühjahr zusammengestrichen. Es setzt auf eine Minimallösung.

Eine solche wäre aber auch für die Wirtschaft nicht erstrebenswert, argumentiert Gerdemann. Diese müsste dann zwei Meldesysteme aufsetzen, eins nach europäischen und eins nach deutschem Recht. Laut dem Juristen hätten schwere Vergehen wie der Wirecard-Skandal und die Abgasaffäre auch viel früher auffliegen können, wenn Rechtssicherheit für Whistleblower bestanden hätte. Die Angst vor Denunziantentum und vermehrten Durchstechereien habe sich in anderen Staaten wie Schweden, Norwegen oder den USA, wo Hinweisgeber schon viel länger gesetzlich geschützt seien, zudem verflüchtigt, weiß der Forscher.

Zeit für die Umsetzung haben die Mitgliedsstaaten bis 17. Dezember 2021. Sollte Deutschland es bis dahin nicht schaffen, könnten die Normen zumindest gegenüber dem Staat direkt geltend gemacht werden, führte die frühere Richterin am Europäischen Gerichtshof Ninon Colneric aus. In der Privatwirtschaft gehe das nicht. Generell hafte der Staat aber für Schäden, die dem Einzelnen durch Verstöße gegen das EU-Recht entstanden sind. Zugleich drohe der Bundesrepublik ein Vertragsverletzungsverfahren.

(axk)