Wichtiges Mittel oder Totgeburt? Streit über Gesichtserkennung bei RAF-Fahndung​

Journalisten soll es gelungen sein, die mutmaßliche RAF-Terroristin Daniela Klette vor der Polizei aufzuspüren. Das weckt Begehrlichkeiten bei den Ermittlern.​

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(Bild: TimmyTimTim/Shutterstock.com)

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Die Polizei feierte die Festnahme der mutmaßlichen RAF-Terroristin Daniela Klette Ende Februar in Berlin nach 30 Jahren im Kreuzberger "Untergrund" als "spektakulären Fahndungserfolg". Doch die Ermittler wurmt zugleich, dass es so lange dauerte und sie auf "Hinweise aus der Bevölkerung" angewiesen war. Denn ARD-Journalisten hatten die mit Hochdruck Gesuchte schon wenige Monate vorher dank der Unterstützung eines Bellingcat-Reporters nach dessen 30-minütiger Recherche mit der umstrittenen Gesichtserkennungssoftware PimEyes zumindest online auf der Webseite eines Berliners Capoeira-Vereins ausfindig gemacht. Die Schuld an der Verzögerung gibt die Gewerkschaft der Polizei (GdP) auch "rechtlichen Restriktionen bei der Anwendung solcher Tools" durch die Strafverfolger.

Dass die Polizei im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz (KI), Automatisierung und Digitalisierung "solch hilfreiche Software nicht nutzen darf", sei in den eigenen Reihen "nicht mehr vermittelbar", kritisierte der GdP-Vorsitzende Jochen Kopelke so am Freitag. Biometrische Gesichtserkennung sei bereits "erfolgreich an Brennpunkten und gefährdeten Orten getestet", aber nicht in den Alltag der Polizeiarbeit zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung überführt worden. Mittlerweile habe sich die Technik weiterentwickelt und sei "noch sicherer und professioneller geworden". Deutschland drohe daher "den Anschluss an moderne einfache Verbrechensbekämpfung" zu verpassen. Nicht zuletzt mit Blick auf die anstehende Europameisterschaft fordert die GdP die Bundesregierung auf, das einstige Pilotprojekt am Berliner Bahnhof Südkreuz "schnellstmöglich zu reaktivieren" und automatisierte Gesichtserkennung "an Bahnhöfen, Flughäfen und auch Fußballstadien" zu nutzen.

Der Chaos Computer Club (CCC) warf den Beteiligten am Südkreuz-Testbetrieb Schönfärberei vor. Unter anderem die Zahlen zur Falscherkennungsrate seien frisiert. Bei einer Anzahl von etwa 90.000 Reisenden pro Tag an dem Bahnhof bedeute dies, dass täglich rund 600 Passanten fälschlich ins Visier der biometrischen Installation gerieten und die Beamten mit einer Flut an Falschmeldungen konfrontiert wären. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) warnt daher erneut vor einer anlasslosen und unterschiedslosen Massenüberwachung der Bevölkerung und einem "schweren Angriff auf die informationelle Selbstbestimmung" der Bürger. Biometrische Gesichtserkennung sei der von den Ermittlern präferierte "Untote des Tages".

Nach DAV-Ansicht gibt es derzeit keine Rechtsgrundlage, die das Nutzen der Technik an öffentlichen Orten rechtfertige. Dass eine solche geschaffen werden könne, sei angesichts der hohen Hürden des Bundesverfassungsgerichts auch zweifelhaft: Die Karlsruher Richter hätten in mehreren Entscheidungen etwa zur Vorratsdatenspeicherung oder zum automatisierten Erfassen von Kfz-Kennzeichen vor einem nicht hinnehmbaren Gefühl des Überwachtwerdens und der Einschüchterung gewarnt. Unbeantwortet geblieben seien bis dato auch die Fragen: "Wie fehleranfällig ist das System? Können Missbrauch und Manipulation der Technik verhindert werden? Für wie lange, durch wen und wo werden biometrische Daten gespeichert?"

"Biometrische Gesichtserkennung im öffentlichen Raum, aber auch durch Apps und Geräte gefährdet die Privatsphäre" der Bürger, betont auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber immer wieder. Wer etwa bei Demonstrationen befürchten müsse, trotz gesetzestreuem Auftreten identifiziert und gespeichert zu werden, gehe möglicherweise zur Ausübung eines seiner Grundrechte nicht mehr auf die Straße. Hierzulande ist der Abgleich mit dem Gesichtserkennungssystem (GES) beim Bundeskriminalamt etwa im Rahmen einer richterlich angeordneten Öffentlichkeitsfahndung bereits zulässig. Die neue KI-Verordnung öffnet zudem breite Türen für die Anwendung solcher Technologien durch die Polizei. Der EU-Rat strich auch noch den eigentlich vereinbarten Straftatenkatalog und den Richtervorbehalt. Die Ampel-Koalition will auf diesen Kurs bislang aber nicht einschwenken.

(mki)