Wikileaks enthüllt die kritische Sicht der USA

Die Veröffentlichung der ersten von rund 250.000 Depeschen von US-Diplomaten auf der Whistleblower-Plattform sorgt für Diskussionsstoff – unter anderem zum Thema Datenschutz.

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Von
  • Detlef Borchers

Nach der Veröffentlichung von Depeschen von US-Diplomaten auf der Whistleblower-Plattform Wikileaks hat Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) am Sonntagabend in der ARD-Fernsehsendung Anne Will die immer wichtiger werdende Rolle des Datenschutzes betont. Er machte darauf aufmerksam, dass die Sammelwut von Daten auch für den Bürger schlimm sein kann, wenn "Patientendaten irgendwann auch so veröffentlicht werden wie diese Berichte".

Mit dieser Einschätzung entsprach Niebel dem Urteil der US-Diplomaten, die in ihren Berichten aus Deutschland immer wieder die Rolle der FDP beim Datenschutz betonen und von einer "verhängnisvollen Fixierung" auf das Thema sprechen, die den Kampf gegen den Terror behindere. Niebel persönlich wurde von den US-Amerikanern als "schräge Wahl" bezeichnet. Ähnlich problematisch wurde aus US-amerikanischer Sicht die Ernennung von Thomas de Maizière zum Innenminister beurteilt: Er sei nicht der richtige Mann, in Deutschland ein allgemeines Fingerabdrucksystem einzuführen.

Im Unterschied zu Niebel meinte der Blogger Sascha Lobo am Sonntag, dass die Tragweite der Wikileaks-Aktion gar nicht hoch genug eingeschätzt werden könne. Sie sei "Ausdruck einer neuen digitalen Gesellschaftsordnung". Die Enttarnung der Depeschen sei ein kleiner Teil des Kontrollverlusts, den die Gesellschaft in den nächsten Jahren erleben werde.

In den Depeschen wird Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bescheinigt, "selten kreativ" zu sein und das Risiko zu meiden. Sie sei bekannt für ihren Widerwillen, sich in aggressiven politischen Debatten zu engagieren. Auch Außenminister Guido Westerwelle und CSU-Chef Horst Seehofer kommen nicht gut weg.

Die chinesische Regierung hat Agenturberichten zufolge allen Inlandszeitungen verboten, Details des Wikileaks-Coups zu veröffentlichen. Geschockt wurde in arabischen Ländern auf die von der britischen Tageszeitung The Guardian entdeckte Depesche reagiert, nach der der saudische König Abdullah den ihn besuchenden Diplomaten empfahl, die Gefangenen in Guantánamo Bay mit RFID-Chips zu taggen. Er habe mit seinen Pferden und Falken gute Erfahrungen mit dieser Technik gemacht. (In der Depesche ist allerdings fälschlicherweise von "Bluetooth-Chips" die Rede.) Die Details dieser Verhandlungen und die Tatsache, dass ein Moslem empfiehlt, Moslems zu taggen, bezeichnete der Blogger Arabist als beschämend.

In Israel sorgte ein Diplomatenbericht über ein russisches Angebot für Aufregung: Demnach wollte Russland Kampfdrohnentechnik im Werte von 1 Milliarde US-Dollar in Israel bestellen und im Gegenzug zusagen, keine Langstreckenraketen an den Iran zu liefern. Dieser Handel ist offenbar nicht zustande gekommen.

Insgesamt soll Wikileaks 251.287 US-Depeschen aus den Jahren 2004 bis 2010 besitzen, die in den nächsten Tagen peu à peu veröffentlicht werden sollen, jeweils mit einem anderen Themenschwerpunkt. Für Dienstag sind Berichte über Nord- und Südkorea angekündigt, danach sollen Pakistan, Afghanistan, Kanada, Jemen und China im Mittelpunkt stehen. Per Twitter hat Wikileaks unterdessen angekündigt, dass weitere Medien an der Berichterstattung über "Cablegate" beteiligt werden sollen.

Siehe dazu auch auf Telepolis:

(anw)