Wirbel um Zukunft des Europäischen Patentamtes

Mehrere EU-Mitgliedsstaaten fordern eine Entmachtung der Münchner Behörde, während das Bundespatentgericht einen neuen Präsidenten erhält, der dem softwarepatentfreundlichen Kurs der Institution wohl gesonnen ist.

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Auf das Europäische Patentamt (EPA), das in letzter Zeit vor allem wegen seiner weiten Vergabepraxis im Zusammenhang mit Softwarepatenten immer wieder in die Kritik geraten ist, könnten gravierende Umstrukturierungen zukommen. Geht es nach dem Willen von EU-Mitgliedsstaaten wie Finnland, Österreich, Schweden, Ungarn, Dänemark und Spanien sollen grundsätzliche Aufgaben der im Rahmen der Europäischen Patentorganisation (EPO) tätigen Behörde an nationale Patentämter rückverlagert werden. Das Reformvorhaben käme einer teilweisen Entmachtung der Münchner Institution gleich. Die entsprechenden Planungen gehen aus Protokollen des EPA-Verwaltungsrates und aus einer Vielzahl an Strategiepapieren von Länderdelegationen hervor, welche die Behörde auf ihrer Website dokumentiert hat.

Der Prozess der Neudefinition der Rolle des EPA zieht sich bereits über zwei Jahre hin. Im Kern geht es um die Frage, inwiefern nationale Patentämter wieder eine verstärkte Rolle bei der Vergabe gewerblicher Schutzrechte spielen sollen und wie weit sie etwa über die Kriterien zur Einschätzung der für eine Patenterteilung erforderlichen Erfindungshöhe entscheiden können. Die Verfechter einer Dezentralisierung und einer teilweisen Rückkehr zum Status vor dem 1974 erfolgten Ausbau der Stellung des EPA möchten dabei unter anderem die Erteilung von Patenten auf gewissen technischen Gebieten wie dem Computerbereich stärker unter nationaler Kontrolle wissen. Gegner fürchten jedoch einen Rückfall in die Zeiten der Kleinstaaterei. Ihrer Ansicht nach beruht das Europäische Patentübereinkommen, das die Basis für die Arbeit des EPA darstellt, zudem auf einem Souveränitätstransfer an eine konkrete Behörde. Die Vollmachten könnten nicht beliebig von nationalen Ämtern übernommen werden.

Seit Ende 2005 hat sich der Streit laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung deutlich zugespitzt. Im Dezember erhielt der EPA-Verwaltungsrat auf Geheiß von 31 EPO-Mitgliedsstaaten auf seiner Sitzung den für die Behörde heiklen Auftrag, die gewünschte Verlagerung von Zuständigkeiten an nationale Patentämter selbst zu prüfen. Auf einem außerordentlichen Folgetreffen im März kam es zu einem Eklat aufgrund von Protesten zahlreicher Behördenmitarbeiter. Eine Einigung über die zu führenden Untersuchungen blieb aus. Der nächste Anlauf soll im Rahmen der kommenden Verwaltungsratssitzung im Juni erfolgen.

Die Bundesregierung will dabei den Befürwortern des Status Quo den Rücken stärken. Das Kerngeschäft der Patentprüfung und -erteilung soll ihrer Ansicht nach vollumfänglich beim EPA belassen werden. Dafür sprächen sowohl rechtliche, als auch wirtschafts- und forschungspolitische Erwägungen. Ähnlicher Ansicht sind Frankreich, Italien und Belgien. Doch allein schon die Umsätze des EPA haben bei anderen Staaten Begehrlichkeiten geweckt: 2004 nahm das Europäische Patentamt aus der Erteilung von 60.000 neuen Monopolansprüchen und den Jahresgebühren für ältere Schutzrechte eine Milliarde Euro ein.

Mit Raimund Lutz hat Bundesjustizministerin Brigitte Zypries derweil am Montag einen neuen Präsidenten am Bundespatentgericht eingeführt, der den Kurs des EPA bislang prinzipiell für gut befunden hat. Der bisherige Leiter der für den Schutz des geistigen Eigentums zuständigen Unterabteilung im Haus der SPD-Politikerin vertrat in öffentlichen Diskussionen die Ansicht, dass man die Datenverarbeitung nicht von der Patentierbarkeit ausschließen könne. Er stützte somit die umstrittene Linie des Europäischen Patentamtes, das seit Jahren in einer weiten Auslegung des Europäischen Patentübereinkommens Softwarepatente in Form von Schutzansprüchen auf so genannte computerimplementierte Erfindungen vergibt. Der von Zypries als "fachlich exzellent" gelobte Lutz ist auch Präsidiumsmitglied des Verwaltungsrats der Europäischen Patentorganisation.

Auf EU-Ebene gehen gleichzeitig die Streitigkeiten um die künftige Patentstrategie weiter. Die EU-Kommission hat dazu bis Mitte April eine Konsultation durchgeführt, deren Ergebnisse im Juni in Brüssel bei einer Anhörung erörtert werden sollen. Ihr schwebt ein letzter Anlauf zum Gemeinschaftspatent vor, während mehrere Mitgliedsstaaten wie Deutschland auf die Einführung eines neuen Streitregelungsabkommen in Form des European Patent Litigation Agreement (EPLA) setzen. Softwarepatentgegner warnen vor beiden Vorhaben, da diese ohne den klaren Ausschluss von Computerprogrammen von der Patentierbarkeit eine Hintertür für die rechtliche Sanktionierung der Vergabepraxis des EPA öffnen könnten.

Zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente unter anderem in Europa und um die die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (jk)