Wirecard-Skandal: Scholz verteidigt sich, Marsalek soll in Russland sein

Finanzminister Scholz weist Kritik an seinem Vorgehen in Sachen Wirecard zurück. Und der Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek soll in Russland untergetaucht sein.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 49 Kommentare lesen
Wirecard-Skandal: Scholz verteidigt sich, Marsalek soll in Russland sein

(Bild: Plateresca/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat Kritik der Opposition im Zusammenhang mit dem Skandal um den inzwischen insolventen Dax-Konzern Wirecard zurückgewiesen. "Ich glaube, jeder muss in dieser Situation immer die Bereitschaft haben, alles aufklären und identifizieren zu wollen, was notwendig ist. Das haben wir gemacht", sagte der SPD-Politiker am Sonntagabend im Heute-Journal des ZDF.

Seit zehn Jahren sei Wirecard von einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft geprüft worden, "die einen guten Ruf hat, aber in den zehn Jahren nicht rausgefunden hat, was los ist", betonte Scholz. Er verwies darauf, dass es seit Frühjahr 2019 eine von der Finanzaufsicht veranlasste Prüfung durch die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung gegeben habe, "und seit dem Ende des letzten Jahres auch noch eine weitere forensische Prüfung durch eine weitere Wirtschaftsprüfungsgesellschaft". Das habe dazu geführt, dass man Bescheid wisse.

"Und weil wir zu denen zählen, die sich nicht wegducken, haben wir dafür gesorgt, dass alles, was man an Informationen zusammentragen kann, auf den Tisch gelegt wird." Erneut kündigte Scholz auch eine Reform des Wirtschaftsprüferrechts an.

Der Zahlungsabwickler Wirecard hatte im Juni mutmaßliche Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt gegen mehrere ehemalige und aktive Manager. Die Opposition hatte in der Sache zuletzt Druck auf die Bundesregierung gemacht. Es geht unter anderem darum, ob es Fehler bei der Finanzaufsicht gab, ob Bundesfinanzminister Scholz Verantwortung trägt und ob die Bundesregierung - das Kanzleramt eingeschlossen - womöglich Wirecard unterstützten, obwohl der Verdacht von Unregelmäßigkeiten bereits im Raum stand.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Umfrage (Opinary GmbH) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Opinary GmbH) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Am Montag könnte eine Entscheidung für eine Sondersitzung des Finanzausschusses im Bundestag zur Sache Wirecard fallen. Die Linke fordert bereits einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. FDP und Grüne drohen ebenfalls damit, falls die Bundesregierung nicht ausreichend zur Aufklärung beitrage.

Derweil wurde bekannt, dass der wegen Bilanzbetrugs gesuchte Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek sich in Russland aufhalten könnte. Das Handelsblatt berichtet unter Bezug auf Unternehmer-, Justiz- und Diplomatenkreise, dass Marsalek auf einem Anwesen westlich von Moskau unter Aufsicht des russischen Militärgeheimdienstes GRU untergebracht sei. Davor soll er noch mittels des Kryptogelds Bitcoin erhebliche Geldsummen aus Dubai nach Russland geschafft haben. Marsalek war bei Wirecard für das Tagesgeschäft zuständig, unter anderem für das inzwischen als reichlich dubios geltende Asiengeschäft.

Zuvor hatte eine Recherche-Kooperation aus dem Spiegel und der Investigativplattform Bellingcat berichtet, dass Marsalek nach Weißrussland geflogen sei. So sei er noch am 18. Juni, dem Tag seiner Freistellung bei Wirecard, in einem gecharterten Privat-Jet von Klagenfurt über die estnische Hauptstadt Talinn in die weißrussische Hauptstadt Minsk geflogen. Wegen des politischen Konflikts zwischen russischer und weißrussischer Führung könnte es dem GRU wohl aber zu riskant gewesen sein, Marsalek dort zu belassen, schreibt das Handelsblatt.

Bellingcat zufolge sei seine Reiseaktivität nach Russland bemerkenswert gewesen: In den vergangenen 10 Jahren sei er 60 Mal in das Land gereist, seine Einwanderungsakte sei 597 Seiten lang, sechs verschiedene Pässe, darunter einen Diplomatenpass, habe er bei den Reisen verwendet.

Zuerst hatte es geheißen, dass Marsalek über die Philippinen nach China gereist sei. Das dürfte eine bewusst gelegte falsche Fährte gewesen sein: Die Daten, die die Einreise und Ausreise des früheren Vorstands Ende Juni dokumentieren sollen, seien gefälscht, erklärte der philippinische Justizminister Menardo Guevarra Anfang Juli. Dies habe eine Untersuchung der Aufnahmen von Überwachungskameras, Passagierlisten und anderem Material ergeben. Die Beamten der Einwanderungsbehörde, die die fiktiven Einträge vorgenommen hatten, seien ihrer Aufgaben entbunden und müssten mit Strafen rechnen, betonte Guevarra.

Marsalek soll sich Berichten nach wiederholt mit Geheimdienstkontakten gebrüstet sowie Informationen aus mutmaßlichen Geheimdienstquellen besessen haben. Der Financial Times zufolge habe er auch Investments im bürgerkriegsgeschüttelten Libyen getätigt sowie versucht, österreichische Offizielle für dortige Projekte etwa zur Einrichtung einer Grenzmiliz zu gewinnen. Eine mögliche Beteiligung russischer Sicherheitsspezialisten habe er dabei angedeutet. Ebenfalls soll er über einen Mittelsmann vertrauliche Informationen aus dem österreichischen Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) und dem Innenministerium an die FPÖ weitergegeben habe, wie die österreichische Zeitung Die Presse berichtete. (axk)