World Wide Anarchy: Netz ohne Kontrolle

Ein Projekt des Briten Ian Clarke betreibt den Aufbau eines parallelen Internets, in dem Zensur unmöglich und Anonymität garantiert ist.

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Ein Projekt des Briten Ian Clarke dürfte einigen Vertretern aus Industrie und Politik den Schweiß auf die Stirn treiben. Er betreibt den Aufbau eines parallelen Internets, in dem Zensur unmöglich und Anonymität garantiert ist und sich die Verbreitung von Informationen selbst nach den Gesetzen der Nachfrage regelt. "Freenet ist die fast perfekte Anarchie", behaupten dessen Erfinder. Nicht einmal sie selbst hätten die Möglichkeit, Kontrolle über das gesamte System auszuüben.

Clarke baut das Freenet aus der Überzeugung heraus auf, dass echte Demokratie den ungehinderten Zugang zu jeglicher Art von Informationen erfordert. Selbst pornographische oder rassistische Inhalte seien davon nicht ausgenommen. "Es ist unmöglich, Kategorien von Inhalten zu bestimmen, bei denen eine Zensur unproblematisch ist." Im Zweifelsfall entschieden dann die jeweiligen Regierungen, ob gewisse Veröffentlichungen nun pornographisch, rassistisch oder neonazistisch sind. Dadurch entstünde viel Spielraum, den Informationsfluss unter staatlicher Kontrolle zu halten und die Meinungsbildung in der Bevölkerung zu manipulieren. Die Nachteile seines Ansatzes, der optimale Bedingungen für kriminelle Organisationen, die Verbreitung von Kinderpornographie oder Copyright-Verletzungen schaffen würde, nimmt Clarke dabei bewusst in Kauf. Die Misshandlung von Kindern sei bereits illegal und werde verfolgt. Es gebe keinen Grund anzunehmen, dass kinderpornographisches Material Männer dazu animieren werde, Kinder zu misshandeln. "Der Wunsch eines Menschen, solches Material zu sehen, ist eher ein Symptom dafür, dass dieser bereits einen kranken Geist hat."

Clarkes so genanntes Freenet besteht aus einer Vielzahl gleichberechtigter Knoten, an denen Informationen gespeichert sind. Eine spezielle Software erlaubt es jedem Nutzer, seinen Computer in das Netz einzubinden und damit beliebige Inhalte einzuspeisen. Das Netz ist als binärer Suchbaum organisiert. Jeder Knoten vereinigt dabei mehrere Computer, um das Netz stabiler und weniger anfällig gegen Störungen zu machen. Ein Knoten besteht sowohl aus Inhalten als auch aus verschlüsselten Informationen darüber, wo eventuell andere Inhalte im Netz zu finden sind. Eine Anfrage durchläuft dann eine Anzahl von Knoten, die Aufschluss über den wirklichen Aufenthatltsort des gesuchten Materials geben könnten, bis dieser schließlich erreicht ist. Das Material nimmt den gleichen Weg zurück zum Empfänger und wird zudem als Kopie für eine gewisse Zeit lokal an diesem Ort abgelegt, sodass die nächste identische Anfrage ohne Suchprozess auskommt. Häufig abgerufene Informationen verbreiten sich dabei schnell über das ganze Netz, wodurch das System selbst dann noch stabil bleibt, wenn eine bestimmte Anfrage sich häuft. Hingegen konzentriert sich Material, das nur lokale Popularität genießt, etwa an einer bestimmten Universität, in einem Land oder Kontinent, auf Knoten in deren näherer Umgebung. Die einzelnen Knoten nehmen dabei nur eine limitierte Anzahl an Inhalten auf (Stapelverarbeitung), so dass selten oder nie angeforderte Informationen mit der Zeit vollkommen aus dem Netz oder einem bestimmten Teil des Netzes verschwinden.

Siehe dazu auch Ein Netzwerk, das Zensur unmöglich machen soll in Telepolis. (atr)