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Wurden Ermittlungen gegen Landesdatenschützerin Marit Hansen verschleppt?

Christiane Schulzki-Haddouti
Datenschutzbeauftragte Marit Hansen

Die erste Hausdurchsuchung beim Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz (ULD) wurde im Dezember 2015 durchgeführt. Seitdem stand Marit Hansen auch öffentlich unter Verdacht.

(Bild: dpa, Carsten Rehder/Archiv)

Schleswig-Holsteins Landesdatenschützerin Marit Hansen wurde 2015 mit dem Vorwurf des Abrechnungsbetrugs konfrontiert. Nun wurde das Verfahren eingestellt.

Die Staatsanwaltschaft Kiel hat das im Dezember 2015 eingeleitete Ermittlungsverfahren [1] gegen die schleswig-holsteinische Landesdatenschützerin Marit Hansen nach dreieinhalb Jahren ohne Feststellung einer Schuld eingestellt. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Behörde hatte Anzeige wegen mutmaßlichen Abrechnungsbetrugs gestellt.

Marit Hansen sagte: "Es freut mich, dass dieses langwierige Verfahren zu Ende geht. Jeden konkreten Vorwurf, der mir genannt wurde, konnten wir schnell aufklären – die Behauptungen des Ex-Mitarbeiters waren aus der Luft gegriffen." Sie kritisiert, dass sich die Staatsanwaltschaft mit den Ermittlungen "sehr viel Zeit gelassen" habe. Sie habe wiederholt darum gebeten, dass die Ermittlungen vorangebracht werden. Hansen: "Vier Verzögerungsrügen habe ich eingereicht, doch jedes Mal blieben sie ohne Antwort und vor allem anscheinend ohne Effekt."

Die Staatsanwaltschaft Kiel hatte Anfang der Woche mitgeteilt, dass das Verfahren gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 StPO eingestellt werde, weil "die Schuld der Beschuldigten nach den bislang durchgeführten umfangreichen Ermittlungen als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der weiteren Verfolgung besteht." Den Verdacht, dass Projektstunden falsch abgerechnet wurden, bestätigten die Ermittlungen "weitestgehend" nicht. 2015 sah die Staatsanwaltschaft das noch anders. Damals sagte die Kieler Oberstaatsanwältin Birgit Hess, dass Mitarbeiter aufgefordert worden sein sollen, Zeiten und Auslagen falsch zu erfassen.

Udo Vetter, Fachanwalt für Strafrecht, erklärte gegenüber heise online: "Eine Einstellung nach § 153 StPO ist mit keiner Schuldfeststellung verbunden." Der Paragraf sei die am häufigsten angewandte Vorschrift im Strafrecht und besage: Selbst wenn etwas an den Vorwürfen wäre, wäre die Schuld so gering, dass kein öffentliches Interesse an der weiteren Verfolgung bestehe. Vetter: "Ich kann als Anwalt meinem Mandanten guten Gewissens dann sagen: Die Schuldfrage bleibt damit offen und keiner kann danach sagen, dass an den Vorwürfen doch etwas wäre." Es gibt auch die Einstellungsmöglichkeit nach § 170 Abs. 2 mangels Tatverdacht. Vetter: "Das aber setzt voraus, dass die Staatsanwaltschaft näher in die Sachprüfung eingestiegen ist."

Marit Hansen weist darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft bei der Einleitung des Verfahrens und Feststellung des Anfangsverdachts von den Förderbedingungen für private Unternehmen ausgegangen war. Hier dürfen Stellen zuordenbare Kosten, ggf. mit Zuschlägen, abrechnen. Entsprechend dürften in diesen Förderprogrammen etwa die Arbeitszeiten für die Teilnahme an Betriebsausflügen oder an Verabschiedungen des Chefs nicht abgerechnet werden. Anders stellt sich das bei der Förderung auf Ausgabenbasis [2] dar, nach denen öffentliche Stellen abrechnen. Hier werden die tatsächlichen Ausgaben für die Person mit ihrem spezifischen Entgelt in einem Projekt in Ansatz gebracht. Da die zu fördernden Personen zwangsläufig immer mit einer Stelle im organisatorischen Sinn verbunden sind, sind auch die sachlichen und persönlichen Verteilzeiten [3] bei der Projektförderung umfasst. Entsprechend dürfen auch Arbeitszeiten für Betriebsausflüge oder interne Fortbildungen auf den Stundenzettel geschrieben werden. Voraussetzung dafür ist, dass die dafür notwendigen Arbeitszeiten üblicherweise für alle Mitarbeiter in vergleichbaren Fällen anfallen.

Je nach Fallkonstellation dürfen die Verteilzeiten sowohl nach europäischem wie auch nach nationalem Förderrecht abgerechnet werden. Dies wurde vom ehemaligen Mitarbeiter bestritten. Er vermutete hinter der Abrechnungspraxis Betrug und brachte sie deshalb zur Anzeige. Dabei berief er sich auf eine Auskunft einer Mitarbeiterin im EU-Büro des BMBF. "Ich konnte nach einem Telefongespräch und einer schriftlichen Auskunft fest davon ausgehen, dass die Eintragung des Betriebsausflugs, der Sommerakademie und der Verabschiedung des Dienstherrn in den Stundenzettel als produktive Projektarbeitsstunden rechtswidrig war. Diese Auskunft hat auch andere Mitarbeiter verängstigt", sagte der Mitarbeiter heise online. "Die Strafanzeige war angezeigt, weil ich nach anwaltlicher Beratung der Überzeugung war, mich von der Mitwirkung am mutmaßlich Betrug exkulpieren zu müssen."

"Die von der Mitarbeiterin des BMBF genannte Lösung ist aber nicht die einzige Möglichkeit," sagt Marit Hansen. Wesentlich sei, dass die Verteilzeiten äquivalent zur Stelle abgerechnet werden. Bei einer 100%-Stelle könnten sie in den vorliegenden Förderprogrammen vollumfänglich in Ansatz gebracht werden. Der Mitarbeiter war in der Probezeit entlassen worden. Er sagte heise online, dass er unmittelbar nach seiner Verdachtsäußerung mit der Kündigung konfrontiert worden war und dass ein aufklärendes Gespräch nicht zu Stande kam. Der anschließende arbeitsgerichtliche Prozess endete mit einem Vergleich von mehreren Monaten Gehaltsweiterzahlung. Marit Hansen hingegen betont, dass er keine Aussprache zu Abrechnungsfragen gesucht habe: Es gab kein Gespräch mit ihr, sondern der Gekündigte wandte sich direkt mit seiner Strafanzeige an einen Bekannten bei der Kieler Staatsanwaltschaft.

Innerhalb der Staatsanwaltschaft wechselte viermal die Zuständigkeit für das Verfahren. Die Staatsanwaltschaft teilte heise online mit, dass "zu keinem Zeitpunkt die Erforderlichkeit der Hinzuziehung externer Sachverständiger" bestanden habe, da sie im Rahmen der Ermittlungen "durchgehend in unmittelbarem Kontakt mit den in Rede stehenden Fördermittelgebern", insbesondere dem BMBF gestanden sei. Marit Hansen hingegen weist darauf hin, dass ihr dank Einsicht in die Ermittlungsakten eine Übersicht der gesamten Kommunikation der Staatsanwaltschaft vorliege. Diese habe überhaupt nur mit einem einzigen Fördermittelgeber, dem BMBF, Kontakt gehabt und diesem im Nachgang zur Durchsuchung auch nur eine einzige förderrechtliche Frage gestellt. Die Antwort, in der die Abrechnungsmodalitäten des ULD bestätigt wurden, sei aber über fast ein Jahr "nicht zu den Akten gelangt".

Außerdem habe die Staatsanwaltschaft vor der Durchsuchung das BMBF angefragt, aber dabei nicht mitgeteilt, dass es um das für öffentliche Stellen geltende Förderrecht ging. So wurde die Terminologie aus der gewerblichen Förderung verwendet, in der etwa von Personalkosten statt Personalaufwände die Rede war. Das BMBF hat deshalb die Muster für Stundennachweise und Abrechnungen für die gewerbliche Wirtschaft bereitgestellt. Hansen: "Das gehört zu den Fehlern, die zur ungerechtfertigten Bejahung des Anfangsverdachts führten."

Die Staatsanwaltschaft hatte die Behörde durchsucht und kistenweise Unterlagen beschlagnahmt. Marit Hansen hält dieses Vorgehen für "unverhältnismäßig", da jede Abrechnung von Fördermitteln auf überprüfbaren Belegen basiere, die auch ohne Razzia zur Einsicht vorlagen. Sie weist darauf hin, dass verschiedene Fördermittelgeber wie Bundesministerien oder die EU die Projektabrechnungen immer wieder überprüfen. Nach der Durchsuchung konnte die Förderung bestehender Projekte fortgesetzt werden und neue Förderprojekte konnten eingeworben werden. Hansen: "Die Staatsanwaltschaft Kiel hat sich vom Anzeigenden, der selbst allenfalls oberflächliche Kenntnisse vom Förderrecht hatte, auf die falsche Fährte setzen lassen." Gegen den ehemaligen Mitarbeiter stellte Hansen bereits vor 27 Monaten Strafanzeige wegen falscher Verdächtigung. Erst jetzt soll diese Strafanzeige behandelt werden.

Die lange Ermittlungsdauer begründete die Staatsanwaltschaft Kiel gegenüber heise online mit der Komplexität des Verfahrens. Man habe "eine größere Anzahl von Zeugen" vernehmen und die beschlagnahmten Beweismittel auswerten müssen. Marit Hansen hingegen sagt: "Vor der aufwendigen Vernehmung von Zeugen hätte man doch zunächst feststellen müssen, welche Förderbedingungen jeweils anzulegen sind. Hier hätte die Sachkunde von Rechnungshöfen, Fördermittelgebern, Projektträgern oder Finanzauditoren, die täglich mit solchen Sachverhalten zu tun haben, im Sinne zielführender Ermittlungen abgefragt werden können."

Die Staatsanwaltschaft wies außerdem darauf hin, dass während des gesamten Ermittlungszeitraums "durchgehend eine unmittelbare Kommunikation mit den mandatierten Verteidigern der Beschuldigten sowie dem Bevollmächtigten des ULD" bestanden habe. Marit Hansen hingegen verweist auf die Aktenlage, aus der hervorgehe, dass "auf keine der eingelegten Verzögerungsrügen reagiert" wurde. Weder habe es eine Antwort noch eine schriftliche Eingangsbestätigung gegeben. Hansen: "Auch auf unsere Angebote zur Darlegung des Förderrechts oder auf andere Erklärungen der Sachverhalte oder der Förderbestimmungen wurde nicht geantwortet."

Inzwischen wird die Staatsanwaltschaft für ihr Vorgehen auch seitens der Politik kritisiert. Der grüne Innen- und Justizpolitiker Burkhard Peters sagte den Lübecker Nachrichten [4]: "Eine in kontroversen öffentlichen Debatten stehende, herausgehobene Person dreieinhalb Jahre lang schmoren zu lassen, obwohl sie selber bei den Ermittlungen absolut kooperativ war und mit den Ermittlern zusammengearbeitet hat, das ist in der Tat schwer zu fassen." Der CDU-Justizpolitiker Claus Christian Claussen betonte die Absicht, "die Justiz in Zukunft sowohl materiell wie auch personell besser auszustatten, damit Verfahren in angemessener Zeit abgeschlossen werden könne."

Die Zeitung berichtete auch [5], dass die Staatsanwaltschaft Kiel in den letzten Jahren immer wieder in die Schlagzeilen geraten war. So stellte sie ein Ermittlungsverfahren gegen die ehemalige Bildungsministerin Wara Wende erst Jahre nach einer Durchsuchungsaktion im Ministerium und der Staatskanzlei ergebnislos ein. Eine Kieler Staatsanwältin landete selbst vor Gericht, weil sie Tierhaltern wiederholt unberechtigt Tiere entzogen und zum Verkauf freigegeben haben soll. (kbe [6])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-4456815

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/news/Hausdurchsuchung-Verdacht-auf-Abrechnungsbetrug-beim-Unabhaengigen-Datenschutzzentrum-in-Kiel-3034628.html
[2] https://vdivde-it.de/de/foerderprojekte-des-bmbf-zuwendung-auf-ausgabenbasis-azaazap
[3] https://www.orghandbuch.de/OHB/DE/Organisationshandbuch/5_Personalbedarfsermittlung/51_Grundlagen/513_Basisdaten/5134%20Verteilzeiten/verteilzeiten-node.html
[4] https://www.ln-online.de/Nachrichten/Norddeutschland/Rueckendeckung-fuer-die-Datenschutzbeauftragte-Politiker-ruegen-Staatsanwaltschaft-Kiel-fuer-schleppende-Ermittlungen
[5] https://www.ln-online.de/Nachrichten/Norddeutschland/Staatsanwaltschaft-Kiel-stellt-Ermittlungen-gegen-die-oberste-Datenschuetzerin-ein
[6] mailto:kbe@heise.de