Zahlen, bitte! – 110.000 Briefkästen für analoge Kommunikation

Postbriefkästen sichern hierzulande seit über 200 Jahren schnell und unkompliziert die Briefkommunikation. Napoleons Truppen schleppten sie ein.

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Zum Jahreswechsel von 1823 nach 1824 wurden von den Postämtern im gesamten Königreich Preußen auf Anweisung des General-Postmeisters Postbriefkästen aufgestellt, in die die Bürger ihre Inlandspost einwerfen konnten. Briefe ins Ausland, etwa in das Königreich Hannover, mussten weiterhin zwecks Kontrolle einem Postbeamten im Postamt übergeben werden.

Die Zahl der Postkästen richtete sich nach dem Briefaufkommen. Köln bekam zwei Kästen, das kleine, aber kommunikationsfreudige Magdeburg mit 36.000 Einwohnern sechs, während Berlin mit einem einzigen Postbriefkasten auskommen musste. Dort war die innerstädtische Kommunikation durch Boten geregelt, die Fernbriefe aufs Postamt brachten.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Allgemein zugängliche Postbriefkästen im modernen Sinne sind eine französische Erfindung. In dem stark zentralisierten Land war das Schreiben und Empfangen von Briefen zunächst den Adeligen vorbehalten, doch bereits ab 1603 konnte das Bürgertum Post verschicken. 1627 wurden einheitliche Posttarife zwischen den Großstädten eingeführt, 1653 die "Billets de port payé" als Gebühr für die Post. Briefe konnten vorab bezahlt werden und mussten nicht mehr vom Empfänger freigekauft werden. Entsprechend wurden in Paris die ersten Briefkästen aufgestellt.

Als Napoleon mit der Revolutionsarmee zu seinen Feldzügen aufbrach, gingen die Briefkästen zusammen mit den eminent wichtigen Feldpostdiensten für seine Soldaten auf die Reise. Frankreich besetzte die linksrheinischen deutschen Provinzen von 1794 bis 1814 und so gewöhnte sich die Bevölkerung in Aachen, Jülich oder Mainz an diese praktische Einrichtung. Nach 1815 sollten im preußisch gewordenen Rheinland die Kästen abgebaut werden, doch regte sich hier heftiger Widerspruch. In einer Eingabe an den Postmeister hieß es: "Der Briefkasten ist eine gar herrliche Einrichtung. /../ Derselbe steht zu jeder Stunde der Nacht wie des Tags dem korrespondierenden Publikum, dem Reisenden und jedem Vorübergehenden zum sicheren Empfang der Briefe und Briefpakete bereit; das Publikum glaubt wirklich durch die 24 Jahre, das diese Einrichtung in den hiesigen Landen besteht, eine Art von Recht dazu erworben zu haben."

Preussischer Postbiefkasten um 1850 herum. Natürlich darf die genaue Anleitung nicht fehlen.

(Bild: CC BY-SA 3.0, Kandschwar)

Aufstände konnte Preußen nicht gebrauchen und so wurden – Ordnung muss sein – auf Antrag des General-Postmeisters Karl Ferdinand Friedrich von Nagler im ganzen preußischen Königreich Postbriefkästen aufgestellt. Nagler war freilich auch geheimer Staatsminister und für die polizeistaatliche Überwachung des Postverkehrs verantwortlich. Alle Briefe ins Ausland waren verdächtig, die "Demagogen" zu unterstützen, wie die ersten Demokraten in Deutschland genannt wurden.

"Ich genehmige auf Ihren Antrag vom 13. d. Mts., dass die am Rhein bestehende Einrichtung der Briefkasten zur Bequemlichkeit des Publikums allgemein gemacht, die Anordnung aber, nach welcher in den von Ihnen angezeigten Fällen die Briefe nur im Post-Comtoir abgegeben werden dürfen, unverändert beibehalten" [i] wird, ordnete König Friedrich Wilhelm von Preußen im Oktober 1823 an. Immerhin war Preußen damit Vorreiter. Das Königreich Baden-Württemberg und die Bayerische Post folgten 1830 installierten jedoch aus Sicherheitsbedenken keine außen angebrachten Briefkästen, sondern Einwurfschlitze in den Postämtern.

Großbritannien war spät dran. Der Saga nach arbeitete der junge aufstrebende Dichter Anthony Tollope als Postbote, um seinen Unterhalt zu verdienen. Auf einer Europareise entdeckte er in Frankreich und Belgien die Postkästen und brachte die Idee zu seinen Vorgesetzten nach England, wo nach einigen Testläufen der erste Postbriefkasten im April 1855 in London installiert wurde. Zusammen mit der bereits 1840 eingeführten One Penny-Briefmarke als frühes "Prepaid-System" waren die Kästen bald sehr beliebt. Sie waren ursprünglich grün, wurden aber mit der Warnfarbe Rot lackiert, nachdem Spaziergänger mit den in Säulen eingelassenen Kästen kollidiert waren.

Das bringt uns zu den berühmten blauen Briefkästen, die in den USA lange Zeit das Bild der Städte und Dörfer bestimmten. Die Erfindung und Patentierung der "Street Letter Box" gelang dem Afroamerikaner Philip B. Drowning im Oktober 1891. Bis zur Einführung dieser Box, die mit einer doppelten Tür zur Sicherung vor Diebstahl und Unwettern funktionierte, mussten alle Amerikaner mit ihren Briefen zum Postamt.

Heute gibt es in Deutschland rund 110.000 Briefkästen der Deutschen Post (basierend auf der gesetzlichen Vorgabe, dass in erschlossenen Gebieten der Weg zu einem Briefkasten maximal einen Kilometer lang sein darf) und ca. 6.000 der "privaten" Versender und Zusteller. Berühmt ist der höchste Briefkasten Deutschlands auf der Zugspitze und die Briefboje im Steinhuder Meer auf Position 52° 29,715' Nord und 009° 21, 008' Ost, die viele Hannoveraner angesegelt haben, sofern sie nicht die Post von der Insel Wilhelmstein abschickten. Das erinnert an eine viel ältere Tradition, als Seefahrer ihre Briefe unter einem Stein deponierten, in der Hoffnung, dass Segler in der Gegenrichtung sie mitnehmen.

Wenn in Deutschland von Briefen die Rede ist, dürfen die berühmtesten Briefe Deutschlands nicht fehlen, zumal sie im anstehenden neuen Jahr 2024 eine wichtige Rolle im Kulturbetrieb spielen werden. Es sind die Briefe eines jungen Werther, aufgeschrieben und ausgedacht von Johann Wolfgang von Goethe, erschienen im Herbst 1774. Am 12. Januar 2024 startet im Romantik-Museum in Frankfurt am Main "Werthers Welt", eine Ausstellung über die Briefe und ihre ungeheure Wirkung.

Ebenso wenig darf freilich Franz Kafka, der größte Briefkritiker deutscher Sprache nicht fehlen. Er beklagte sich in einem Brief an Milena Jesenka darüber, dass die leichte Möglichkeit des Briefeschreibens eine schreckliche Zerrüttung in die Welt gebracht habe, weil sich "Gespenster" dazwischenschalten und die Kommunikation ausschlürfen und entseelen.

Er erwies sich als echter Visionär: [i]"Die Menschheit fühlt das und kämpft dagegen, sie hat, um möglichst das Gespenstische zwischen den Menschen auszuschalten, und den natürlichen Verkehr, den Frieden der Seelen zu erreichen, die Eisenbahn, das Auto, den Aeroplan erfunden, aber es hilft nichts mehr, es sind offenbar Erfindungen, die schon im Absturz gemacht werden, die Gegenseite ist so viel ruhiger und stärker, sie hat nach der Post den Telegraphen erfunden, das Telephon, die Funkentelegraphie. Die Geister werden nicht verhungern, aber wir werden zugrundegehen."

Wir wünschen einen Guten Rusch ins Werther-Jahr!

(mawi)