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Zahlen, bitte! 2,75 Billiarden – vom Skat und dem Zufall

Andreas Stiller
Zahlen, bitte! 2,75 Billiarden - vom Skat und dem Zufall

Deutschlands liebstes Spiel (nach Fußball) ist seit 2016 Unesco-Kulturerbe und es gibt immer wieder Anlass für alle möglichen Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen.

Auf Hunderten von Skat- und Kombinatorik-Sites findet man sie, die Zahl der möglichen Verteilungen in einem Skatspiel: 2.753.294.408.504.640. Diese Zahl dient als Grundlage für alle möglichen Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen, etwa für vier Buben auf einer Hand, für einen Grand Ouvert, für das Wegstechen von blanken Assen und so weiter. Bei all diesen Fragen nimmt man immer eine Gleichwahrscheinlichkeit aller 2,75 Billiarden Verteilungen an, aber ist das im realen Spiel auch gegeben?

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Kaum zu glauben, wagte es doch neulich Mitspieler Axel der c't-Skatrunde einen unschlagbaren Grand Ouvert in der Vorhand vorzulegen. Hatte er den Geber irgendwie mit Weizenbier bestochen? Eher nicht, aber wie häufig kommt so ein Superblatt in der Realität vor? War es vielleicht eine Art Wiedergutmachung des Schicksals, denn wenige Wochen zuvor wurden ihm an einem Abend kurz nacheinander dreimal blanke Asse weggestochen.

Der Traum eines jeden Skatspielers: so ein narrensicheren Grand ouvert auf die Vorhand (real gespielt am 3.April 2019 in der c't-Skatrunde) sieht man nur alle 24.000 Spiele,  jedenfalls wenn die Karten gleichverteilt sind ..

Der Traum eines jeden Skatspielers: So einen narrensicheren Grand Ouvert auf die Vorhand (real gespielt am 3. April 2019 in der c't-Skatrunde) sieht man nur alle 24.000 Spiele, jedenfalls wenn die Karten gleichverteilt sind ...

(Bild: Axel Vahldiek)

Zum Warmlaufen aber kommen erst einmal ein paar Fingerübungen zu den 2,75 Billiarden möglichen Verteilungen des UNESCO-Kulturerbes. Das kann man leicht nachrechnen, wenn man nur weiß, wie man "wähle a unterscheidbare Elemente aus insgesamt b" ausrechnet. Mathematisch ist das die sogenannte Kombination, die üblicherweise als "b über a" bezeichnet wird. Im englischen Sprachraum benennt man das etwas treffender als "b choose a" oder zuweilen in Kurzform bCa. Dabei gilt: (b über a) = b!/(a!*(b-a)!) mit dem Ausrufezeichen für die Fakultät. In Excel heißt die entsprechende Funktion KOMBINATIONEN(b; a).

Beim Skatspiel hat man 32 Karten, wählt zunächst die 10 Vorhand-Karten, das macht also (32 über 10) Möglichkeiten, dann verbleiben für Mittelhand noch 22 Karten, also (22 über 10) Möglichkeiten, (12 über 10) für Hinterhand und (2 über 2) =1 für den verbleibenden Skat. Multipliziert man alles miteinander, so erhält man 32!/(2·(10!)3) und das ergibt obige 2.753.294.408.504.640.

Deutlich komplizierter verhält es sich da schon mit den Verteilungen beim Doppelkopf, denn dort hat man es mit paarweise ununterscheidbaren Karten zu tun – eine Vertauschung solcher Karten ändert also nichts an der Verteilung – und schon wirds kompliziert. Als Physiker würde man sagen, das ist wie der Übergang von der klassischen Maxwell-Boltzmann- zur quantenmechanischen Fermi-Dirac-Statistik. So eine einfache Formel wie bei Skat gibt es hier nicht, man muss mühsam Fallunterscheidungen machen, Teilsummen bilden und diese aufsummieren. Man kommt dann bei 4 × 12 Karten auf 2.248.575.441.654.260.591.964 Möglichkeiten (siehe auch die Folge A172660 in der On-Line Encyclopedia of Integer Sequences [2], wo man sogar Hyperastronomische Zahlen mit bis zu 49 Karten pro Spieler findet).

Obige Frage nach den unschlagbaren "revolutionssicheren" Grand Ouverts – die Gegenspieler dürften sogar Karten tauschen, würde aber auch nichts helfen – ist natürlich ebenfalls ein Klassiker im Skatspiel. Der deutsche Skatverband ging schon 1958 in Die mathematische Seite des Skatspiels [3] ausführlich darauf ein.

Auch hierfür gibt es keine einfache Formel, man muss die Möglichkeiten zudem getrennt nach Vor- (V), Mittel- (M) und Hinterhand (H) betrachten. Bekanntlich hat der Grand-Spieler in der Vorhand deutliche Vorteilte. Klar, wenn alle vier Buben in einer Hand sitzen und im Beiblatt alle Farben "dicht" sind, ist es egal, ob man V, M oder H ist. Wie sich das im Einzelnen verhält und wann eine Fehlfarbe "dicht" ist, kann man der genannten Veröffentlichung des 1899 in Altenburg gegründeten Deutschen Skatvereins entnehmen. Vorhand hat jedenfalls weitaus mehr Chancen, nämlich 2707/64.512.240, Mittelhand 292/64.512.240 und Hinterhand 296/64.512.240. Insgesamt ist die Chance also etwa 1:20.000 Spiele. Bei unser 14-täglichen Runde wäre das also etwa alle 16 Jahre – oder auf einen einzelnen Spieler mit ähnlichem Spielrhythmus bezogen vielleicht einmal im Skatleben ...

Leichter ist die Frage zu beantworten, wie hoch denn die Chance für vier Buben auf der Hand ist, die ist nämlich für jeden Spieler einfach (28 über 6) / (32 über 10) ungefähr 0,58 % oder 1:171. Bei turnierüblichen 48 Spielen kann man davon ausgehen, dass es einmal am Abend vorkommt.

Was, Sie haben das Gefühl, das ist bei Ihrer Runde häufiger? Das kann durchaus sein. Denn diese wie all die anderen zahlreichen veröffentlichten Wahrscheinlichkeiten gehen von einer Gleichwahrscheinlichkeit aller obigen 2,8 Billiarden Verteilungen aus. Doch ist das bei durchschnittlichen deutschen Skatspielen, sei es in der Kneipe oder in Turnieren, wirklich der Fall? Das kommt ganz aufs Mischen an. Bevor es hier in medias res geht, erst einmal ein kleiner Überblick über die häufigsten Mischtechniken.

Der durchschnittliche deutsche Skatspieler mischt schon seit Generationen per "Überhand" – und die Mathematiker, die diese Mischtechnik schon vor Jahrzehnten erforscht und simuliert haben, pinseln seitdem regelmäßig aus informationstheoretischer Sicht ein klares "mene tekel upharsin" an die Wand: gewogen und zu leicht befunden!

Um beim Überhand-Mischen eine zufriedenstellende Durchmischung aus mathematischer Sicht zu bekommen, müsste man schon 10.000-mal mischen, so hat es schon vor dreißig Jahren Persi Diaconis, Mathematik-Professor an der renommierten Stanford University, für ein Poker-Deck mit 52 Karten abgeschätzt. Diaconis kennt sich mit Karten und Kartentricks aus, er hatte zuvor nämlich professionell als Zauberkünstler gearbeitet und viele neue Kartentricks ausgetüftelt. Sein Kollege von der Pennsylvania University, der amerikanische Kombinatorik-Professor Robin Pemantle hat dann das Überhandmischen mathematisch noch genauer untersucht [4]. Mit seinem Modell mit einer angenommenen diskreten Binomialverteilung der Schnittpunkte kam er bei einem feinkörnigen Mischen von etwa 2 Karten pro Paket (p=1/2) auf 1000 bis 3000 Mal, bis eine zufriedenstellende Durchmischung erreicht war.

Das müsste doch all die Leute am Skattisch verstummen lassen, die immer wieder was von "totmischen" oder "dem Denkmal in Altenburg" einwerfen. Skatfreunde mit ihren 32 Karten haben es zwar ein bisschen leichter als die Poker-Kollegen, aber auch hier bräuchte man mindestens 300 Mischvorgänge, denn die mathematisch gesicherte Untergrenze geht beim Pemantle-Modell mit n2log(n).

Tatsächlich variierte das bis heute immer wieder herangezogene Pemantle-Modell zum Überhandmischen für ein 52-Karten-Deck zwischen der Untergrenze von 35 und der Obergrenze von 370.000.000.000 Durchgängen. Obige Zahlen entstammen dann auch nicht den mathematischen Abschätzungen, sondern einer numerischen Computer-Simulation mit Millionen von Mischungen. Mathematiker wie der schwedische Professor Johan Jonasson arbeiten hart daran, mit neuen Erkenntnissen über die sogenannten Markow-Ketten die mathematisch gesicherten Grenzen weiter zu präzisieren. Laut Jonasson liegt die Untergrenze von n Karten mit Schnittpunktwahrscheinlichkeit p bei

Zahlen Bitte! Skat und der Zufall

Der erwähnte Persi Diaconis schaffte es 1990 sogar auf die Titelseite der New York Times [5]mit seinen Ergebnissen zum Riffle Shuffle, wie es beim Pokerspiel üblich ist. Denn beim normalen Riffeln reichen nach seinen Ergebnissen schon 7 Durchgänge für eine hinreichend gute Durchmischung des 52-Karten-Decks. Das ist die Mindestzahl, besser sind aber 8 oder 9 Durchgänge oder genauer: 3/2*ld(n) Durchgänge. Das zugrundeliegende Riffle-Misch-Modell wurde schon in den 50er-Jahren von Gilbert, Shannon (ja, der berühmte Vater der Informationstheorie), und Reeds entwickelt, es heißt seitdem GSR-Modell. Bei diesem Modell ändert sich die Wahrscheinlichkeit, dass beim Verzahnen die nächste Karte aus der gleichen Hand kommt, in Abhängigkeit von den verbleibenden Größen a und b der beiden Teilstapel zu a/(a+b) beziehungsweise b/(a+b) für einen Wechsel.

Als Maßstab für ein gutes Durchmischen nehmen die Mathematiker zumeist den Variationsabstand zur Gleichverteilung, den man aus der Anzahl aufsteigender Sequenzen in der Verteilung bestimmen kann. Ein Abstand von weniger als 1/2 gilt als Maximalwert für eine gute Durchmischung. Wer es genauer wissen will, kann das in den Veröffentlichungen von Pemantle [6], Diaconis [7] oder Jonasson [8] nachlesen, doch die sind nur mathematisch recht gut vorgebildeten Lesern zu empfehlen. Es gibt jedoch einen schönen Bericht zu diesem Thema [9] der Didaktiker an der Humboldt-Universität, der die Grundlagen bis hin zu den Markow-Ketten gut erklärt und nebenbei sogar zeigt, wie man das Riffle-Mischen für Kartentricks gebrauchen kann.

Der Varianzabstand beschreibt die Qualität einer Durchmischung. Beim Riffeln liegt er nach 7 Durchgängen unter dem maximal akzeptierten Wert von 1/2.

Der Varianzabstand beschreibt die Qualität einer Durchmischung. Beim Riffeln liegt er nach 7 Durchgängen unter dem maximal akzeptierten Wert von 1/2.

Auf Skat reduziert ergibt das dann ebenfalls mindestens 7 Riffle-Durchgänge. Für Skatspieler sind aus meiner Sicht allerdings eher zwei andere Kriterien der Durchmischung bedeutsamer als der Variationsabstand, nämlich die "Klebrigkeit" und die "Farbverteilung", beides im Vergleich zum Ausgangsstapel. Die Klebrigkeit gibt an, wie viele benachbarte Karten des Ausgangsstapels am Ende des Mischens immer noch benachbart sind. Und die Farbe der Kartenverteilung gibt Aufschluss über die allgemeine Lage der Karten, etwa ob Karten, die weiter unten liegen, nach einer geraden Zahl von Überhandmischungen immer noch unten liegen.

Der Informatiker Rick Wicklin hat nicht nur übersichtlichen Sourcecode für die Simulation von Überhand und Riffle (in SAS/Iml) in seinem Do-Loop-Blog [10] veröffentlicht, sondern die erwähnten Farbverteilungen schön übersichtlich in Heatmaps dargestellt. Da sieht man auf den ersten Blick, dass Karten, die anfangs in der unteren Stapelhälfte lagen, selbst nach vielen, vielen (aber einer geraden Anzahl von) Mischvorgängen immer noch mit großer Wahrscheinlichkeit unten sind. Bei ungeraden Anzahlen wärs genau invers.

Abheben und Geben beim Skat bringen das zwar noch etwas durcheinander, für einen geübten Profi aber durchaus nachvollziehbar. Dessen Job ist aber nicht gerade einfach: Er oder sie müsste das Einsammeln der Karten beobachten, das Mischen (gerade oder ungerade Anzahl der Mischdurchgänge, grob oder feinkörnig), das Abheben abschätzen und anhand der eigenen Karten dann die Wahrscheinlichkeiten bei den anderen bestimmen.

Die Heatmap zeigts deutlich, beim Überhandmsichen ist nach einer geraden Anzahl von Durchgängen selbst nach 40 Durchgängen von einer echten Durchmischung nichts zu sehen.

Die Heatmap zeigts deutlich, beim Überhandmsichen ist nach einer geraden Anzahl von Durchgängen selbst nach 40 Durchgängen von einer echten Durchmischung nichts zu sehen.

(Bild: Mit freundlicher Genehmigung von Rick Wicklin [11] )

Beim Riffle-Mischen sieht es schon nach wenigen Durchgängen schön durchmischt aus.

Beim Riffle-Mischen sieht es schon nach wenigen Durchgängen schön durchmischt aus.

(Bild: Mit freundlicher Genehmigung von Rick Wicklin [12] )

Weit einfacher verhält es sich mit der Klebrigkeit, die durch Abheben und Geben nur mäßig verändert wird. Gute Skatspieler wissen, dass Karten, die im letzten Spiel in einem Stich lagen, mit höherer Wahrscheinlichkeit wieder in einer Hand liegen. Beim Grand etwa fallen relativ häufig drei Buben aufeinander. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Spieler im nächsten Spiel mit drei oder mehr Buben gesegnet ist, je nach Mischart mitunter deutlich höher. So erhöht ein Grand mit positiver Kooperativität die Wahrscheinlichkeit für einen Folge-Grand.

Riffelt oder wuselt aber der Geber, kann sich der aufmerksame Beobachter diese Arbeit im Regelfall schenken. Es sei denn, er gibt selbst, dann sind noch diverse andere Tricks möglich. Richtig gute Kartenkünstler etwa können wie ein Uhrwerk so präzise riffeln, dass ein Skatstapel nach 5 Durchgängen genau invertiert ist und sich nach 10 wieder in der Ausgangslage befindet. Ähnliches Scheinmischen können Geübte auch mit anderen Mischverfahren hinbekommen. Bekannt ist etwa Clumsy False Shuffle – so heißt eine Schummeltechnik mit größeren verzahnten Paketen, die man sich auf Youtube in verschiedenen Clips anschauen kann.

Johan Jonasson hat inzwischen das GSR-Modell dahingehend erweitert [13], dass die Wahrscheinlichkeit, dass aufeinanderfolgende Karten aus verschiedenen Händen kommen, größer wird (Dealer Shuffle) oder wegen zunehmender Klebrigkeit der Karten geringer (Clumsy Shuffle).

Dann gibt es noch die Mischmaschinen, allen voran die Computer, sei es in den Skat-Programmen oder in den Skat-Servern. Zumeist wird hier mit mehr oder weniger guten Zufallsgeneratoren gearbeitet.

Der Online-Anbieter spiele-palast [14] hat sein Mischverfahren vom TÜV Rheinland analysieren lassen [15] und ging dabei kein Risiko ein, denn er verwendet gut erforschte Algorithmen: den Pseudo-Zufallsgenerator Mersenne-Twister 19937 [16] und den einst von Donald Knuth publik gemachten Fisher-Yates-Algorithmus [17] zum Erzeugen zufälliger Permutationen. Da hatte es der TÜV einfach: Diese Algorithmen gelten nicht nur informationstheoretisch als unbedenklich, sie ermöglichen auch weit schnellere Mischungen als die mitunter aufwendige Simulation menschlicher Mischtechniken.

Auf der anderen Seite kann das mathematisch unvollkommene Mischen ja gerade einen zusätzlichen Reiz des Skatspielens ausmachen. Manches Skat-Programm, etwa die Android-App Skat-App [18] bietet daher auch eine realistische Simulation des Überhandmischens an. Das gehört nicht nur zu einem echten Skatspiel dazu, sondern hat zudem den positiven Seiteneffekt, so Jan Heppe, Betreiber von Skat-Spielen.de [19], dass es prozentual mehr "spielbare" Spiele erzeugt, also weniger eingepasste oder Null-Spiele. Und so fährt Skat-Spielen.de ebenfalls eine Simulation des klassischen Überhandmischens und ermöglicht sogar, wenn auch etwas eingeschränkt, das anschließende Abheben. Auch Heppe hat sich die Unbedenklichkeit des Verfahrens und der Implementierung vom TÜV Rheinland bescheinigen [20] lassen. Dieser hat noch kleinere Mängel beim Abheben, überflüssige Zeilen im Code sowie ein paar andere Kleinigkeiten moniert, aber letztlich bescheinigt, dass das hier verwendeten Verfahren einem realen Mischen von Karten durch Skat-Spieler möglichst nahe kommt.

So ganz tief eingedrungen ist der TÜV allerdings nicht. Weder hat er die Qualität des verwendeten Java-Zufallsgenerators (einfach lineare Kongruenz) untersucht, noch die Tatsache problematisiert, dass hier der Überhand-Algorithmus von einer Gleichverteilung der jeweiligen Paketgrößen zwischen 1 und 11 ausgeht. Das ist eher unüblich, die Mathematikerschar sieht zumeist Binomialverteilungen vor. Mit der komplexen mathematischen Theorie hielt es der TÜV ohnehin nicht so, jedenfalls wenn er das O bei O(n² log(n)) aus der Arbeit von Jonasson [21]schlichtweg übersieht und einfach von "mindestens 32²*log(32) = 3550" Mischdurchgängen ausgeht. Gabs da nicht noch einen konstanten Faktor? Eben den oben beschriebenen von der Wahrscheinlichkeit abhängigen Faktor für die Untergrenze? Mit p=1/2 wären es dann mathematisch beweisbar 22 Mischdurchgänge.

Aber so wirklich interessiert haben sich die Spieler für den TÜV-Bericht bislang offenbar ohnehin nicht. Laut Aussage von Jan Heppe war ich jedenfalls der erste, der seit 2011 das Angebot angenommen hat, den Bericht offline einzusehen.

Die anderen Skatserver-Betreiber verlieren über die verwendeten Mischverfahren oft gar kein Wort, so zum Beispiel Skat24.de [22]. Veröffentlichte Statistiken werfen jedoch Fragezeichen auf, etwa bei der eingangs behandelten Frage nach der Wahrscheinlichkeit eines Grand Ouvert. Bisher wurden auf Skat24.de alles in allem 48.443.859 Skat-Online-Spiele erfasst und nur 1.258 Spiele davon als Grand Ouvert gewonnen! Und diese Zahl enthält auch noch rund ein Drittel hasardeurische Spiele, also solche, die nicht völlig narrensicher waren, aber dennoch glücklich für den Alleinspieler endeten. 795 weitere Hasardeure mussten gar äußerst schmerzliche Niederlagen einstecken. Aber selbst mit 1258 liegt der Anteil mit 1:38.509 ungewöhnlich weit weg von dem statistisch zu erwartenden Wert 1:20.000. Ich hab meinen uralten Skat-Mischgenerator (noch in Delphi 7 kodiert) etliche Male mit jeweils 48.443.859 Spielen angeworfen und kam mit MT19937 und Fisher-Yates immer auf Werte zwischen 2400 bis 2500 narrensichere Grand Ouverts. Der ungewöhnlich schlechte Wert bei Skat24 muss aber nicht ein Problem des Mischgenerators sein, vielleicht gibt es dort nur so viele blöde Spieler, die ein unschlagbares Grand Ouvert nicht erkennen und stattdessen Karo mit einem oder so spielen ...

Mein alter Mischgenerator beherrscht auch Überhandmischen, damals mit meiner eigenen Variante mit normalverteilten Paketgrößen mit Mittelwert und Standardabweichung je nach Mischverhalten. Inzwischen sind das Pemantle-Modell und Riffle (GSR) hinzugekommen.

Geht man von einem wohlgeordneten neuen Spiel als Ausgangsstapel (Karo 7 ... Kreuz Ass) aus, so verdreifacht sich beim Überhandmischen mit nur 7 Durchgängen bei P=1/8 die Quote für ein Grand Ouvert auf etwa 1:6000, nach 12 Durchgängen ist sie immer noch doppelt so hoch. Lagen zuvor 3 Buben in einem Stich, wie es nach einem Grand oft der Fall ist – der in Turnieren immerhin mit 30 Prozent der Spiele vorkommt –, so ist die Quote bei 7 Mischdurchgängen sogar 5- bis 6-fach höher als rein statistisch. Beim Riffeln mit 7 hingegen bleibt es bei 1:20.000, so wie beim Zufallsgenerator.

Waren drei Buben im letzten Stich im Ausgangsstapel ganz unten, so bekommt man beim Überhandmischen nach 12 Durchgängen (p=1/4, ohne Abheben) folgende Wahrscheinlichkeiten für vier Buben auf die Hand in Relation zur Gleichverteilung: V: 75 %, M: 200 %, H: 400 %.

Insgesamt liegt die Wahrscheinlichkeit, dass in einem Spiel irgendwer vier Buben auf die Hand bekommt, mathematisch bei 1,7 Prozent. Sie kann aber real unter der Annahme, dass zuvor drei Buben in einem Stich waren, selbst bei zehn Überhandmischdurchgängen samt Abheben mehr als doppelt so hoch sein.

Berücksichtigt man den Ausgangsstapel und die Mischmethode, ändern sich die Wahrscheinlichkeitswerte schon erheblich.

Berücksichtigt man den Ausgangsstapel und die Mischmethode, ändern sich die Wahrscheinlichkeitswerte schon erheblich.

In unserer Skatrunde dominiert jedenfalls das Überhandmischen, nur einer, Lutz, riffelt gelegentlich. Christian wuselt meist erst eine Weile, bevor er die Karten feinkörnig mit kleinen Päckchen von 2 bis 3 Karten überhand in etwa 12 Durchgängen mischt. Denis mischt ähnlich feinkörnig. Die beiden Grobmotoriker der Runde, Axel und ich, schichten im Schnitt nur mit schlappen vier Päckchen einen Stapel um, immerhin ebenfalls in 12 Durchgängen. Dann gibts noch den aus der Nähe von Altenburg stammenden Martin, der chaotisch durcheinander mit drei bis sieben Paketen umschichtet. Ansonsten habe ich festgestellt, dass viele menschliche Überhandmischer abweichend vom Pemantle-Modell in einem recht konstanten Misch-Rhythmus grooven, also nahezu immer gleich viele, wenn auch ungleich große Pakete in einem Durchgang umstapeln.

Solche Erkenntnisse fehlen den Skat-Apps oder dem Online-Skat, insbesondere denen, die mathematisch mischen. Schließlich kann man hier dem Geber nicht zuschauen, weder beim Einsammeln der Karten noch beim Mischen. Mischt er überhand mit einer geraden oder ungeraden Anzahl von Paketen? Wird abgehoben? Grobmotoriker lassen auch gern mal ein paar Karten fallen und schieben sie wieder rein. Zuweilen verschwinden die entgegen aller Wahrscheinlichkeiten sogar in irgendwelchen Fußbodenritzen ...

Gewiefte Skatspieler achten zudem auch darauf, woher die Mitspieler ihre Karten ziehen, kriegen spitz, wie der jeweilige Mitspieler seine Karten sortiert und können dann ihr eigenes Spiel danach optimieren. Also zumindest auf Turnieren: nicht sortieren – oder jedes Mal anders! Und so verbleibt als Fazit: Das reale Spiel mit realen Mitspielern am realen Tisch (und klar, mit Contra, Re und so) ist eben durch keinen Computer zu ersetzen. (as [23])


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[1] http://www.heise.de/thema/Zahlen-bitte!
[2] https://oeis.org/A172660
[3] http://www.vg42.de/Schon_Gewusst/Mathematische_Seite/mathematische_seite.html
[4] https://www.math.upenn.edu/~pemantle/papers/overhand2.pdf
[5] https://www.nytimes.com/1990/01/09/science/in-shuffling-cards-7-is-winning-number.html
[6] https://www.math.upenn.edu/~pemantle/papers/overhand2.pdf
[7] https://statweb.stanford.edu/~cgates/PERSI/papers/aldous86.pdf
[8] https://arxiv.org/pdf/math/0501401.pdf
[9] http://didaktik.mathematik.hu-berlin.de/files/bericht_mischen.pdf
[10] https://blogs.sas.com/content/iml/2018/09/19/overhand-shuffle-riffle.html
[11] https://blogs.sas.com/content/iml/2018/09/19/overhand-shuffle-riffle.html
[12] https://blogs.sas.com/content/iml/2018/09/19/overhand-shuffle-riffle.html
[13] http://www.math.chalmers.se/~jonasson/dealer.pdf
[14] http://www.spiele-palast.de
[15] https://www.spiele-palast.de/2016/12/12/tuev-gepruefte-kartenverteilung/
[16] https://de.wikipedia.org/wiki/Mersenne-Twister
[17] https://en.wikipedia.org/wiki/Fisher%E2%80%93Yates_shuffle
[18] http://www.skat-app.de/
[19] http://www.skat-spielen.de
[20] https://www.skat-spielen.de/tuev_analyse.php
[21] https://arxiv.org/pdf/math/0501401.pdf
[22] http://www.skat24.de/
[23] mailto:as@ct.de