Zahlen, bitte! 400 Jahre in die Zukunft geplant

Die Erbauer des New Colleges in Oxford schienen weit in die Zukunft zu planen. Angeblich pflanzten sie die Eichen für die Erneuerung eines Dachstuhls selbst.

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Nachhaltigkeit ist in der Technik eine große Herausforderung – nicht erst, seitdem Hersteller darauf schielen, Geräte nicht zu lange aktuell zu halten. In der Bautechnik rechnen die Architekten mit ganz anderen Zeiträumen - und selbst da sind mehrere hundert Jahre ein Fabelwert. Von den Zimmerern behauptete einmal der Kybernetiker Gregory Bateson, sie wüssten, dass Eichenholz im Innenbereich eine Lebensdauer von etwa 400 Jahren hat. Deshalb hätten sie in der Universität von Oxford Eichen für den dann anstehenden Austausch des Gebälks gepflanzt. Es wäre ein beachtliches Beispiel für eine Langzeitplanung über viele Generationen hinweg. Leider stimmt es nicht ganz.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Seinem Namen zum Trotz ist das New College im englischen Oxford eines der ältesten Colleges der Stadt. Es wurde 1379 von William von Wykeham, dem reichen Bischof von Winchester gegründet und 1386 fertiggestellt. Zentrales Gebäude des Colleges ist bis heute The Hall (die Große Halle), deren mächtige Dachbalken aus Eichenholz gezimmert wurden. Batesons Erzählung wurde vor allem durch Stewart Brand und sein Buch "How Buildings learn" popularisiert, aus dem eine mehrteilige Dokumentation der BBC entstand.

Richtig an der Geschichte ist die Zeitspanne von 400 Jahren, die der Dachstuhl der großen Halle fast unbeschadet überstand. Erst im Jahre 1786 wurde er im Auftrag James Pears erneuert. Seine Leute nutzten jedoch kein Eichenholz, sondern zimmerten den Dachstuhl aus Pechkiefernholz und nutzten zum Bedachen Dachschindeln aus Westmorelandschiefer. Gegenüber der Haltbarkeit früherer Zeiten war das ein gewaltiger Rückschritt: Der morsche Dachstuhl musste schon 1865 wieder erneuert werden und erinnerte einen damaligen Chronisten an ein umgedrehtes (chinesisches) Tee-Tablet.

Diesmal übernahm der renommierte Architekt Georg Gilbert Scott die Überwachung der Arbeiten. Er ist in Deutschland als der Architekt der Hamburger Nikolaikirche bekannt, die nach den Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg als Mahnmal St. Nikolai die zentrale Gedenkstätte für die Opfer des NS-Regimes ist. Scott beharrte darauf, dass der Dachstuhl wieder aus Eichenholz errichtet wurde. In den umfangreichen Wäldern, die das College besaß, begann die Suche nach geeigneten Eichen. Fündig wurde man in der Grafschaft Buckinghamshire um die Orte Great Horwood, Akeley und Whaddon Chase, in einem Waldgebiet, das der Verwalter des New Colleges erst 1441 gekauft hatte. Immerhin: Die Bäume waren über 350 Jahre alt.

Die große Halle, die als Essenssaal genutzt wird.

(Bild: CC BY-SA 4.0, -wuppertaler )

Die Geschichte der nachhaltigen Planung über Generationen hinweg ist damit nicht zu Ende, sondern sie begann erst. Im Jahre 1516 verbot das V. Laterankonzil allen Christen, den Zeitpunkt des Weltendes vorherzusagen oder zu berechnen. Der Letzte, der es versuchte, war Martin Luthers Freund, der Mathematiker Michael Stifel, der in diesem Zahlen, Bitte! erwähnt wird. Der Erste, der über die Konsequenzen für die Holzwirtschaft nachdachte, war der Architekt John Evelyn, der 1664 die Abhandlung "Sylva, or Discourse on Forest Trees and the Propagation of Timber in His Majestys Dominions" veröffentlichte.

Die Abhandlung dürfte der sächsische Adlige Hans Carl von Carlowitz gelesen haben, als er während seiner Grand Tour nach dem Großen Brand von London 1666 dort ins Gefängnis musste – alle Ausländer wurden verdächtigt, den Brand gelegt zu haben. Nach Sachsen zurückgekehrt brachte er es bis zum Oberberghauptmann von Sachsen und verfasste 1713 die Schrift "Sylvicultura oeconomica, oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht". Carlowitzens Wort von der "nachhaltenden Nutzung", mit der die Forstwirtschaft betrieben werden muss, erinnert an die "environmentail sustainability", die die Menschheit nach Gregory Bateson entwickeln muss.

Bei Bateson ist die halbwegs erfundene Geschichte vom New College in Oxford ein Beispiel einer mehrere Generationen übergreifenden Mitteilung außerhalb des Körpers: "Die kybernetische Erkenntnistheorie, die ich ihnen vorgelegt habe, würde einen neuen Zugang nahelegen. Der individuelle Geist ist immanent, aber nicht nur dem Körper. Er ist auch den Bahnen und Mitteilungen außerhalb des Körpers immanent; und es gibt einen größeren Geist, von dem der individuelle Geist nur ein Subsystem ist."

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"Der größere Geist lässt sich mit Gott vergleichen, und er ist vielleicht das, was einige Menschen mit Gott meinen, aber er ist doch dem gesamten in Wechselbeziehung stehenden sozialen System und der planetaren Ökologie immanent," schrieb er 1972 in seiner "Ökologie des Geistes". In diesem Sinne findet sich Batesons Geschichte auch auf den Seiten der von Steward Brand und Danny Hillis gegründeten Long Now Foundation. Die von dem Musiker Brian Eno und dem Lotus-Gründer Mitch Kapor finanzierte Stiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Menschen das Denken in Zeiträumen von 10.000 Jahren und mehr zu vermitteln. Dieses Denken wird durch eine mächtige Uhr symbolisiert, die einstmals in der Wüste von Nevada in einer Höhle ticken soll. Bislang existiert nur ein etwa ein Meter hoher Prototyp, der im Science Museum in London ausgestellt ist.

Sein Konstrukteur, der Computeringenieur Danny Hillis, bezeichnet ihn als "langsamsten Computer der Welt". Zu der durch Temperaturunterschiede angetriebenen Uhr soll einmal eine Bibliothek gehören, die die Geschichte der ersten zehntausend Jahre der Menschheit erzählt, wenn in fünftausend Jahren die ersten Besucher in die Höhle geführt werden. Dagegen sind die 400 Jahre Nutzungsdauer des Dachgebälks der Großen Hallen im New College ein kurzes Intermezzo.

(mawi)