Zahlen, bitte! 60 dB(A) als Fluglärm-Grenze für mehr Anwohnerschutz

Mit dem Fluglärmgesetz von 1971 wurden erstmals Grenzwerte für Fluglärm und Zonen zum Schutz der Anwohner nahe Flughäfen festgelegt.

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Inhaltsverzeichnis

Erstmals stieß der Fortschritt an Grenzen: Der Lärm des aufkommenden Flugverkehrs belastete seit den 1950er-Jahren besonders die Anwohner an Flughäfen und in der Nähe der Start- und Landebahnen. Um die Anwohner vor Belastungen durch Fluglärm zu schützen, wurden im entsprechenden Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm 1971 Grenzwerte und Schutzzonen festgelegt.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Bereits der deutsche Seuchenforscher Robert Koch erkannte im Jahr 1910: "Eines Tages wird der Mensch den Lärm ebenso unerbittlich bekämpfen müssen wie die Cholera und die Pest". Vermutlich war er nicht einmal besonders visionär, sondern nur ein aufmerksamer Beobachter seiner Zeit. Die industrielle Revolution war zu dem Zeitpunkt knapp 100 Jahre alt, und die Entwicklung berücksichtigte bis dahin kaum die Gesundheit der Arbeiter, darunter die durch Lärmbelastung.

Der Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg sorgte neben Auto- und Bahnverkehr auch für einen massiven Anstieg von Flugbewegungen. Insbesondere die erste Generation von Strahltriebwerken erzeugte noch eine erhebliche Lärmentwicklung. Obwohl bereits damals schon nach und nach bekannt wurde, dass durch Lärm hervorgerufener Stress gesundheitliche Schäden wie psychische, sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen hervorrufen kann, wurde der Flugverkehr mit Blick auf den Lärm kaum reguliert.

Eine Boeing 747 der Lufthansa, hier während der ILA 1972 in Hannover. Der "Jumbo" sorgte einerseits für weniger Flugbewegungen da er mehr Passagiere befördern konnte, war andererseits damals aber auch recht laut.

(Bild: Peter Will)

Das führte zu kuriosen Konflikten wie dem Pasinger Knödelkrieg: Der Werbegrafiker Helmut Winter aus dem Münchener Stadtteil Pasing wurde durch die Überflüge der Starfighter am benachbarten Fliegerhorst Fürstenfeldbruck so gestört, dass er aus Versehen sogar durch eine schreckhafte Pinselbewegung eine Auftragsarbeit ruinierte. Sämtliche Beschwerden gegenüber der Bundesluftwaffe blieben ungehört, sodass er in der Abendzeitung ein ganz spezielles Gesuch inserierte: "Flugabwehrgeschütz mit ausreichender Munition zur Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung im westlichen Luftraum Münchens".

Winter sorgte damit für eine enorme überregionale Aufmerksamkeit, sodass er später vor vielen Pressevertretern sein Abwehrkatapult im Einsatz gegen die anfliegenden Jäger demonstrierte: ein Knödelkatapult. Diese heitere, Karl-Valentin-hafte Abwehr sorgte nicht nur für Berichterstattung bis in die Vereinigten Staaten, sondern auch dafür, dass Luftwaffe sowie US-Air Force ihre Landeanflüge anpassten beziehungsweise auf Überschallflüge über dem Münchener Stadtgebiet verzichteten.

Inwieweit der Knödel-Zwischenfall den Gesetzgeber zu Gesetzesverschärfungen animierte, ist nicht überliefert. Vermutlich sind es eher die medizinischen Erkenntnisse auf der einen und die enorme Zunahme der Flugbewegung auf der anderen Seite, die die Politik zu Regulierungen im Sinne des Bevölkerungsschutzes bewegten.

Am 30. März 1971, also vor genau 50 Jahren, wurde der Erlass des Fluglärmgesetzes veröffentlicht, der am 3. April 1971 in Kraft trat. Darin wurden zwei Lärmschutzzonen definiert mit Grenzwerten beispielsweise von 75 dB(A) für die Zone 1. In der aktuellen Fassung des Gesetzes sind die Grenzwerte weiter abgesenkt worden:

  • In Zone 1, in der der äquivalente Dauerschallpegel einen Wert von 65 dB(A) für bestehende Zivilflugplätze übersteigt, gilt ein Bauverbot für Wohnungen. Für neu zu errichtende Flughäfen gilt hier ein Dauerschallpegel von 60 dB(A) als Grenze.
  • In Zone 2, in dem der äquivalente Dauerschallpegel einen Wert von 55 dB(A) für neue und 60 dB(A) für bestehende Zivilflugplätze übersteigt, galten Einschränkungen in Bau und Besiedelung.

Für militärische Flughäfen gelten leicht höhere Grenzwerte. In beiden Zonen dürfen unter anderem keine Schulen, Altenheime, Kindergärten errichtet werden. Das Gesetz wurde zuletzt 2007 angepasst und um eine Nachtschutzzone erweitert.

Zudem konnten durch Fortschritte in der Flugzeugentwicklung die Lärmbelastung (z. B. durch die Abkehr von Einstromtriebwerken und Zuwendung zu geräuschärmeren Mantelstromtriebwerken) pro Flugzeug erheblich gedrosselt werden.

Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) wurden seit Auftreten des Gesetzes bis 2016 über 1,1 Milliarden Euro in Schallschutzmaßnahmen investiert. Dennoch bleiben die Interessenskonflikte zwischen der in immer verdichteter lebenden Anwohnerm einerseits und den Flugbetreibern andererseits. Auch wenn die Corona-Krise und der damit rapide gesunkene Flugverkehr hier für eine temporäre Verschnaufpause sorgt.

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Das jüngste prominente Opfer des Lärmschutzes: der FC Bayern München. Die Mannschaft musste kürzlich aufgrund einer zu späten Startposition der Maschine, des zwischenzeitlich in Kraft getretenen Nachtflugverbots und der deshalb verweigerten Starterlaubnis das Schicksal der Anwohner des Flughafen BER teilen: die Nachtruhe weitgehend ohne Fluglärm.

Zahlen, bitte! Auszug aus dem Fluglärmschutzgesetz

§ 2 Einrichtung von Lärmschutzbereichen

(1) In der Umgebung von Flugplätzen werden Lärmschutzbereiche eingerichtet, die das Gebiet der in demnachfolgenden Absatz genannten Schutzzonen außerhalb des Flugplatzgeländes umfassen.

(2) Der Lärmschutzbereich eines Flugplatzes wird nach dem Maße der Lärmbelastung in zwei Schutzzonen fürden Tag und eine Schutzzone für die Nacht gegliedert. Schutzzonen sind jeweils diejenigen Gebiete, in denen derdurch Fluglärm hervorgerufene äquivalente Dauerschallpegel L(tief)Aeq sowie bei der Nacht-Schutzzone auch derfluglärmbedingte Maximalpegel L(tief)Amax die nachfolgend genannten Werte übersteigt, wobei die Häufigkeitaus dem Mittelwert über die sechs verkehrsreichsten Monate des Prognosejahres bestimmt wird (Anlage zu § 3):

Werte für neue oder wesentlich baulich erweiterte zivile Flugplätze im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2:Tag-Schutzzone 1:L(tief)Aeq Tag = 60 dB(A),

Tag-Schutzzone 2: L(tief)Aeq Tag = 55 dB(A),

Nacht-Schutzzonea)bis zum 31. Dezember 2010:L(tief)Aeq Nacht = 53 dB(A),

L(tief)Amax = 6 mal 57 dB(A),b)

ab dem 1. Januar 2011:L(tief)Aeq Nacht = 50 dB(A),L(tief)Amax = 6 mal 53 dB(A);2. Werte für bestehende zivile Flugplätze im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2:

Tag-Schutzzone 1:L(tief)Aeq Tag = 65 dB(A),

Tag-Schutzzone 2: L(tief)Aeq Tag = 60 dB(A),

Nacht-Schutzzone:L(tief)Aeq Nacht = 55 dB(A),L(tief)Amax = 6 mal 57 dB(A);

(mawi)