Zahlen, bitte! Die Reise zum Mond in 13.375 Bildern
Filmpionier Georges Méliès begeisterte 1902 die Massen mit "Die Reise zum Mond" - dem ersten Science-Fiction Film überhaupt.
"Die Reise zum Mond" – ein Kurzfilm von einer knappen Viertelstunde zeigte vor 118 Jahren auf, welch fantastischen Möglichkeiten die in den Kinderschuhen steckende Filmkunst bot, um Geschichten zu erzählen. Dabei war die erste Filmvorführung gerade erst einmal sieben Jahre her, als Georges Méliès 1902 den wegweisenden Film drehte. Der erste Motorflug der Gebrüder Wright stand sogar noch bevor. Méliès nutzte geschickt seine Kenntnisse als Zauberer, um mit vielen Spezialeffekten einen der ersten Science-Fiction-Filme zu schaffen – 67 Jahre vor der echten Mondlandung.
Schuhfabrikant statt künstlerischem Studium
Georges Méliès, am 8. Dezember 1861 in Paris als jüngster von drei Brüdern geboren, erlangte 1880 das Baccalauréat (in etwa mit dem deutschen Abitur vergleichbar) und wollte eigentlich in der École des Beaux-Arts ein künstlerisches Studium aufnehmen. Sein Vater – ein Schuhfabrikant – war allerdings dagegen: Sein Sohn sollte lieber im väterlichen Betrieb arbeiten.
1884 schickte Vater Jean-Luis-Stanislas Méliès daher den 22-jährigen Georges für ein praktisches Jahr nach London, damit er bei einem Geschäftskollegen Praxiserfahrungen sammeln und seine englischen Sprachkenntnisse verbessern konnte. Nebenher ging Georges in der britischen Metropole auch seinem künstlerischen Interesse nach, indem er Zaubervorführungen des britischen Illusionisten John Nevil Maskelyne besuchte.
Erste Heirat und Produktionsverantwortung
Nach der Rückkehr 1885 heiratete Georges Méliès seine Verlobte Eugénie Genin und übernahm im väterlichen Betrieb die Verantwortung und Wartung der Produktionsmaschinen. In seiner Freizeit werkelte er an Unterhaltungsautomaten des 1871 verstorbenen französischen Magiers Jean Eugène Robert-Houdin und trat erstmals selbst auf die Bühne: Im Musée Grévin sowie in der Galerie Vivienne veranstaltete er erste Auftritte als Zauberkünstler.
1898 übergab sein Vater den Betrieb an die Söhne und zog sich aus der Geschäftsleitung zurück. Für Georges war es die Gelegenheit: Er verkaufte seinen späteren Erbanteil an seine Brüder und kaufte aus den Einnahmen das Théâtre Robert-Houdin, ein kleines Theater mit 225 Plätzen. Das Inventar bestand unter anderem aus den Maschinen, an denen Méliès bereits arbeitete.
Keine Gewinne
Dort führten diverse Zauberkünstler ihre Tricks vor, unter anderem Buatier de Kolta oder Duppery und Legris. Die Vorstellungen hatten jedoch nur überschaubaren Erfolg: Gewinn machte Georges Méliès dadurch nicht. Etwas anderes musste her. Zwei weitere Mieter des Hauses boten eine Lösung: Die Brüder Lumière zogen über dem Theater ein und boten in ihrem Atelier ab Ende 1895 Vorführungen ihres Cinematographen an – Kamera, Schnittgerät und Filmprojektor in Einem.
Georges Méliès war begeistert und wollte den Apparat kaufen, um ihn für seine Zwecke zu nutzen. Die Brüder verweigerten das allerdings. Ihnen war nicht klar, ob sich die Form der Unterhaltung durchsetzen würde, und wollten daher so lange wie möglich selbst davon profitieren. Auch sahen sie die Verwendung des Gerätes außerhalb von dokumentarischen, zeitgeschichtlichen Zwecken kritisch.
Neueröffnung als Kinotheater
Daher musste Georges eine Alternative suchen. Die fand er in England: Erneut nach London gereist erwarb er einen US-amerikanischen Projektor der Edison Manufacturing Company, mitsamt Edison-Filmen und einigen unbelichteten Negativen. Im April 1896 eröffnete sein Théâtre Robert-Houdin – diesmal als Kino. Zur gleichen Zeit kaufte er einen weiteren Projektor und baute diesen zur Kamera um, damit er eigene Filme kreieren konnte.
In der Höhe seines Schaffens
Nun ließ er seine Kreativität und seinem Pioniergeist in seinen Kurzfilmen ihren freien Lauf. War sein erster Film "Une partie de cartes" im Jahr 1896 noch ein eher dokumentarischer Film im Stile der Lumière-Brüder, inszenierte der Perfektionist Georges Méliès spätere Kurzgeschichten zum Teil mit für das damalige Auge unglaublichen Spezialeffekten, die die neuen Möglichkeiten des Kinos demonstrierten. Insgesamt drehte er von 1896 bis 1913 über 500 Stummfilme verschiedenster Art.
Sein bekanntester Film und für viele auch der erste echte Science-Fiction-Streifen ist der am 1. September 1902 uraufgeführte Film "Die Reise zum Mond", erkennbar inspiriert von den Romanen "Von der Erde zum Mond" von Jules Verne und H. G. Wells Buch "Die ersten Menschen auf dem Mond". In knapp 16 Minuten zeigte der Film wie sich mehrere Forscher mit einem Projektil zum Mond schießen ließen und auf der Mondoberfläche in turbulente Begegnungen mit kampflustigen Außerirdischen gerieten.
(La Voyage dans la Lune)
Hohes finanzielles Risiko
In diesem Film, der in der Produktion 100.000 Francs kostete und damit für ihn ein hohes finanzielles Risiko barg, zog Georges Méliès als Perfektionist alle Register seines Könnens. Mit allen Tricks die Theaterbühne zu bieten hatte und speziellen Effekten, die nur durch Kamerabilder möglich waren, wie Mehrfachbelichtungen, Stopp-Motion-Technik, Split-Screens erzählte Georges Méliès eine kurzweilige Geschichte.
In Verbindung mit einem fantasievollen Bühnenbild schuf Georges Méliès nicht nur ikonenhafte Bilder, aus denen sich spätere Künstler wie Queen [3] oder The Smashing Pumpkins [4] bedienten oder inspirierten. Er zeigte auch auf, zu welchen starken Erzählungen die Kinotechnik fähig ist und schuf damit die Grundlage für die später so dominierende Filmindustrie.
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Kolorierte Fassung wiederentdeckt
Georges Méliès experimentierte zudem in Farbdarstellungen. Er ließ eine komplett handcolorierte Fassung anfertigen, die später verschwand und erst 2002 – also 100 Jahre nach der Uraufführung – in Frankreich wiederentdeckt wurde. Der Film wurde für 400.000 € Kosten aufwendig restauriert. Insgesamt wurden 13.375 Einzelbilder bearbeitet. Was zu sehr beschädigt war, wurde aus der schwarz-weiß-Fassung entnommen.
Die Vertonung übernahm das bekannte französische Synthiepop-Duo AIR, die nach eigener Aussage innerhalb von vier Wochen einen Soundtrack schaffen mussten, damit es der Film noch zum Filmfest nach Cannes 2011 schafft – pünktlich zum 150. Geburtstag des Filmmagiers. 2012 erschien die Fassung auf DVD, inklusive 65 minütiger Doku über die Entstehung von Film und Restauration.
Cineastische Pioniertaten waren kein finanzieller Erfolg
Wie so viele Pioniere ihrer Zeit war auch Georges Méliès das Glück nicht immer hold. Zwar wurde "Die Reise zum Mond" ein voller Erfolg, aber in den USA nahm er damit kein Geld damit ein. Ein Edison-Mitarbeiter kopierte den Film unbemerkt und verbreitete ihn in Nordamerika, sodass der dort unter anderen Namen verbreitet wurde, ohne das der Urheber dafür Tantiemen sah.
Während des Ersten Weltkriegs versuchte sich Georges Méliès als Varietekünstler, jedoch ohne Erfolg. Er musste Bankrott anmelden und 1923 seine Filmsammlung verkaufen. Einen Teil der Bühnenausstattung und Filmkopien verbrannte er zudem aus Frust über seine Erfolglosigkeit. Daher sind heute nur noch etwa 200 Filme erhalten geblieben.
Er geriet in Vergessenheit – bis 1929 Journalisten über ihn und sein Werk berichteten. Dank dieser Publicity wurde ihm 1932 ermöglicht, seine letzten Lebensjahre bis zu seinem Tod 1938 in einer Altersresidenz in Oly zu verbringen. Im 2012 erschienenen 3D-Film Hugo Cabret [6], wurde Georges Méliès ein liebevoll inszeniertes und würdiges Denkmal gesetzt: der Film, der fünf Oscars abräumte, galt als eine hervorragende Umsetzung der zu dem Zeitpunkt neuen 3D-Technik. (mawi [7])
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[6] https://www.heise.de/tp/article/Die-fabelhafte-Welt-des-Martin-Scorsese-3393033.html
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