Netzgebühren zwingen Twitch zu Schließung in Südkorea
Südkoreanische Netzbetreiber verrechnen doppelt: Anschlussinhaber müssen zahlen, große Serverbetreiber ebenso. Damit rechnet sich Streaming für Twitch nicht.
"Die Betriebskosten in Südkorea sind prohibitiv hoch", klagt Dan Clancy, CEO des Streamingdienstes Twitch. Die hohe Datenmaut der südkoreanischen Netzbetreiber führe zu "erheblichen Verlusten" in dem Land. Dort müssen nicht nur die Anwender, die Daten herunterladen, dafür bezahlen, sondern auch Betreiber großer Server. Weil sich das nicht rechnet, sperrt Twitch dort zu. Stichtag ist der 27. Februar 2024.
Die Entscheidung, den südkoreanischen eSport-Markt aufzugeben, ist auch ein Signal an die Europäische Union: Die EU-Kommission würde gerne Netzgebühren für große Inhalteanbieter einführen; Kommissar Thierry Breton, einst Chef der France Télécom, nennt das gerne "Fair Share". Netzbetreiber lieben die Idee, weil sie damit ein zweites Mal kassieren können, ohne dass Verbraucher erfahren, wie viel sie versteckt in höheren Preisen der Online-Dienste wirklich bezahlen. Verbraucherschützer, Regulierungsbehörden und natürlich die großen Inhalteanbieter halten nichts von solchen Netzgebühren.
Geringere Auflösung spart nicht genug
Twitch gehört Amazon.com und wird insbesondere für die Live-Übertragung von Computerspielen genutzt. Aber auch die #heiseshow streamt auf Twitch. Wer viele Zuschauer anzieht, kann durch Beteiligung an den Werbeeinnahmen sowie durch Abogebühren und andere Zuwendungen seiner Fans Geld verdienen. Nach eigenen Angaben verzeichnet das Angebot 35 Millionen Zuschauer täglich, davon mehrere hunderttausend in Südkorea.
Das Unternehmen hat versucht, seine Kosten zu reduzieren. Zunächst experimentierte es mit P2P (peer to peer), bei dem die Streams direkt zwischen Teilnehmern in Südkorea übertragen werden, anstatt stets über Twitch-Server geroutet zu werden. Dann reduzierte Twitch die maximale Auflösung der Streams in Südkorea auf 720p. Das missfiel den Usern, aber Twitch zog das durch. Außerdem ermöglicht es südkoreanischen Streamern nur noch Livestreams; Aufzeichnungen können sie nicht mehr bereitstellen.
"Obwohl wir (dadurch) unsere Kosten gesenkt haben, sind unsere Netzgebühren in Korea immer noch zehnmal teurer als in den meisten anderen Ländern", schreibt Clancy. "Twitch war in Korea mit signifikanten Verlusten tätig, und unglücklicherweise gibt es keinen Weg, unser Geschäft in dem Land nachhaltiger zu betreiben."
Sperre trifft auch Ausländer
Netflix hat versucht, die südkoreanischen Netzgebühren durch eine Klage abzuwenden. Dieser Versuch ist gescheitert. Im September ist Netflix schließlich eine Partnerschaft mit dem größten Internet-Provider des asiatischen Landes eingegangen. Das Ergebnis sind Bündelangebote aus Internetzugang und IPTV des Netzbetreibers samt Netflix-Abo – also sehr ähnlich der Kabel-TV-Abos, von denen Netflix Verbraucher eigentlich befreien möchte.
Für Twitch ist das kein gangbarer Weg. Ab 27. Februar erhalten in Südkorea ansässige Twitch-Streamer keine neuen Ausschüttungen mehr. Zuschauer in dem Land können auf Twitch dann kein Geld mehr ausgeben. Bestehende Abos werden zum Stichtag so umgestellt, dass sie sich nicht erneuern. Sie können schon jetzt gekündigt werden. Auch etwaige Guthaben erstattet Twitch auf Antrag (bis 27. März) zurück.
Also betrifft die Schließung auch Streamer außerhalb Südkoreas: Sie verlieren alle Einnahmen aus Südkorea, sei es durch Abos oder andere Zuwendungen. Ob User in Südkorea nach dem Stichtag noch Zugriff auf gebührenfreie Twitch-Kanäle erhalten, ist bislang unklar. heise online hat Twitch um Auskunft gebeten.
Hilfe für den Umstieg
Twitch-Chef Clancy betont, die Entscheidung sei "sehr schwierig" gewesen. Er verspricht, betroffene Streamer in Südkorea zu unterstützen. Bereits aufgehoben ist das Verbot, Live-Übertragungen gleichzeitig auch auf anderen Plattformen zu streamen. Auch dürfen südkoreanische Streamer auf Twitch Links zu alternativen Webseiten posten – Twitch empfiehlt diese Maßnahmen sogar, und geht aktiv auf südkoreanische Streaming-Anbieter zu, damit auch diese den Umstieg der Streamer aktiv unterstützen. Einheimische Anbieter sind offenbar nicht gezwungen, Netzgebühren im selben Ausmaß zu bezahlen.
Für betroffene Streamer ist diese neue Offenheit nett, aber keine vollständige Wiedergutmachung. Durch den Wechsel zu südkoreanischen Streamingplattformen werden sie nämlich ausländische Fans verlieren, die auf Twitch bleiben, weil sie dort zahllose Computerspieler aus dem Rest der Welt bei der Arbeit beobachten können.
(ds)