"Zuhause, allein und anonym"

Eine Befragung über die Auswirkungen der Internetbenutzung in den USA konstatiert wachsende Vereinsamung und Ausdehnung der Arbeitszeit.

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Von
  • Florian Rötzer

Eine breit angelegte Befragung der Stanford University unter der Leitung von Norman Nie, Direktor des Institute for the Quantitative Study of Society, und Lutz Erbring von der FU Berlin dürfte den Befürwortern der Vernetzung nicht gerade willkommen sein. "Wir bewegen uns von einer Welt, in der man alle seine Nachbarn kennt, seine Freunde trifft und jeden Tag vielen verschiedenen Menschen begegnet, zu einer funktionalen Welt, in der die Interaktion aus der Entfernung stattfindet", kommentiert Nie die Studie. Je mehr die Menschen ihre Zeit im Internet verbringen, desto weniger Zeit haben sie für den Kontakt mit "wirklichen" Menschen. Immer mehr würden alleine und anonym Zuhause sein.

Schon 1998 kam eine Befragung der Carnegie Mellon University zu einem ähnlichen Ergebnis. Die repräsentative Befragung der Stanford University, die im Dezember 1999 durchgeführt wurde, stellt freilich auch banalere Dinge fest. 55 Prozent der Befragten hatten Zuhause oder im Büro einen Internetzugang, und 43 Prozent der Haushalte waren online. Zwei Drittel der Befragten benutzen das Internet noch immer weniger als 5 Stunden in der Woche. Bei diesen habe sich das Verhalten kaum geändert. Doch je länger die Menschen Zugang zum Internet hatten, desto mehr Zeit würden sie auch in ihm verbringen, was bei 20 Prozent der Befragten der Fall war, die länger als 5 Stunden in der Woche online sind. Das geht zunächst offenbar auf Kosten der herkömmlichen Massenmedien. 60 Prozent der regelmäßigen Internetbenutzer sagten, sie würden weniger Zeit vor dem Fernseher verbringen, ein Drittel sagte, dass ihre Lektüre von Zeitungen abgenommen habe. Durch die Möglichkeiten des Interneteinkaufs würden die regelmäßigen Nutzer - 25 Prozent der Befragten - aber auch weniger in Geschäften einkaufen gehen, sich mit Freunden oder Bekannten treffen oder überhaupt ausgehen. Und ein Viertel der regelmäßigen Internetnutzer, die als Angestellte beschäftigt sind, gaben an, dass sie mehr Zeit mit der Arbeit Zuhause verbringen, während die Büroarbeitszeit nicht weniger wurde.

Die meisten Internetbenutzer machen primär von Emails und Chats Gebrauch. Im Gegensatz zum Fernsehen, das man in den Hintergrund drängen könne, verlange das Internet jedoch eine höhere Aufmerksamkeit und Beteiligung: "Das Internet könnte die neueste Isolationstechnologie sein, die unsere Beteiligung an sozialen Gruppen noch stärker reduziert, als dies bereits mit dem Fernsehen geschehen ist." Gegenüber den kommunikativen Möglichkeiten des Internet und der Beschäftigung mit Spielen fällt bislang der kommerzielle Aspekt noch sehr zurück. Nur ein Viertel der Internetbenutzer haben bereits online eingekauft, zwischen 40 und 60 Prozent verwenden das Medium, um sich Informationen über Waren oder Reisen zu verschaffen. Gerade einmal 10 Prozent beteiligen sich online an Auktionen, Telebanking oder Handel mit Aktien. Ansonsten ist das Internet für die Nutzer eine "riesige öffentliche Bibliothek mit einer kommerziellen Neigung".

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