Zypries gegen Festschreibung des Datenschutzes im Grundgesetz

Die Bundesjustizministerin hat den Vorschlag der Grünen, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie auf die Vertraulichkeit und Integrität von IT-Systemen verfassungsrechtlich zu normieren, als symbolische Politik abgetan.

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Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat den Vorschlag der Grünen, die Rechte auf informationelle Selbstbestimmung sowie auf die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systemen verfassungsrechtlich zu normieren, als symbolische Politik abgetan. "Ich habe erhebliche Zweifel, ob das ein kluger Weg wäre", sagte die Sozialdemokratin am heutigen Dienstag auf der Konferenz Innovationen für den Datenschutz (PDF-Datei) der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung entfalte auch ohne eine Kodifizierung im Grundgesetz "seit Jahren eine enorme Wirkung". Die Hauptaufgabe sieht sie deswegen darin, die neuen Vorgaben aus dem Grundsatzurteil zu heimlichen Online-Durchsuchungen "im einfachen Recht umzusetzen". Es sei zudem unwahrscheinlich, dass die von den Grünen beabsichtigte Grundgesetzänderung die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Bundestag bekäme.

Bundesdatenschützer Peter Schaar befürwortete dagegen eine Verankerung von Datenschutzprinzipien und der Kerninhalte einschlägiger Urteile aus Karlsruhe im Grundgesetz. Das habe den Mehrwert, "dass der Verfassungsgesetzgeber sagt, das ist ein entscheidendes Grundrecht". Politik sei zudem immer symbolisch und in dem konkreten Fall könnte man den Datenschutz auch in der Wahrnehmung der Menschen und in der Rechtsauffassung voranbringen. Es gebe zudem keine Garantie dafür, warnte Schaar, dass Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts immer denselben Tenor hätten. Sie seien laufend Änderungen unterworfen.

Auch Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, war entschieden anderer Auffassung als seine Parteikollegin im Justizressort. Es sei sinnvoll, über die grundrechtliche Verortung des Datenschutzes zu diskutieren. Die Politik müsse aber noch um eine knappe Formulierung ringen, die auch "die Gefühle erhebe". Der virtuelle Raum und die neue Welt des Internet bedürften generell eines besonderen Schutzes, damit die Nutzer dort ihre Freiheiten wahrnehmen könnten. Wiefelspütz will die aufgeworfene Frage daher nicht als "reine Symbolikdebatte abqualifiziert sehen". Bis eine tragfähige Lösung gefunden werde, könne aber "fünf bis acht Jahre dauern".

Der vor kurzem aus dem Amt geschiedene Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem stimmte Wiefelspütz zu. Er bezweifelte, ob es schon an der Zeit sei, die von ihm mit aufgestellte neue Schutzdimension für Computer und die vernetzte Welt im Grundgesetz zu verankern. Die Dinge seien noch derart im Fluss, dass sich auch die Verfassungsrichter schwer getan hätten, die gesamten Bedeutungszusammenhänge zu klären. Wenn man das Urteil aber auf einen knappen Nenner bringen könnte, hätte das seiner Ansicht nach "viel mehr als symbolische Bedeutung". Die gesamte Agenda für die Argumentation um den Datenschutz würde in eine bestimmte, rationalere Richtung gelenkt.

Zypries erkannte an, dass "wir eine neue Wertschätzung des Datenschutzes brauchen. Wir müssen wieder lernen, dass Privatheit etwas wertvolles ist." Sie beobachte mit großer Sorge, dass in der Debatte geplante Maßnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit im Vordergrund stünden. Gleichzeitig würden die neue einheitliche Steuernummer, der elektronische Einkommensnachweis (ELENA) mit einer gesonderten Abrufkarte für Sozialleistungen oder ein Bundesmelderegister unter dem Aspekt des Bürokratieabbaus vorangetrieben, obwohl die informationelle Selbstbestimmung dabei ebenfalls unter die Räder zu kommen drohe. So sei etwa zu klären, ob "wir nicht mit der Verknüpfung bestehender Datenbanken genauso weit kommen".

Dirk Heckmann vom Lehrstuhl für öffentliches Recht, Sicherheits- und Internetrecht an der Universität Passau las aus dem Karlsruher Urteil derweil den Appell an die Politik ab, eine Art "IT-Sicherheitsgesetz" zu erlassen. Die Rechtswissenschaft müsse zudem eine "IT-Sicherheitsdogmatik" entwickeln. Leitbilder dafür sah er etwa im Straßenverkehrswesen oder in der Vorstellung des "schutzbedürftigen Nutzers" im Verbraucherschutzrecht mit seinen Haftungsregeln.

Hersteller und Entwickler von IT-Geräten und Dienstleistungen müssten nicht nur mehr Transparenz schaffen, sondern auch bereits im Auslieferungszustand ihrer Produkte eine Kontrollierbarkeit einzelner Anwender ausschließen, griff Schaar die Anregung auf. Mobile Geräte dürften etwa nicht von sich aus Standortdaten preisgeben. Den Gesetzgeber sieht er zudem in der Pflicht, die Vorgaben aus Karlsruhe nicht nur Eins zu Eins umzusetzen, sondern "mehr zu machen". Sonst würden die geplanten zusätzlichen Befugnisse für das Bundeskriminalamt etwa auch für die Länderpolizeien kommen. Der Gesetzgeber stehe daher in der Verantwortung, das Startfenster für den Datenschutz in der öffentlichen Wahrnehmung zu nutzen. (Stefan Krempl) / (vbr)