c't 3003: Tröt statt Tweet – Mastodon besser als Musk-Twitter?
Open-Source-Mastodon statt Musk-Twitter: Ist das eine echte Alternative? c't 3003 war im Fediverse unterwegs.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes YouTube-Video (Google Ireland Limited) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Google Ireland Limited) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.
- Jan-Keno Janssen
Die Open-Source-Social-Media-Plattform Mastodon hyped gerade gewaltig. Schuld sind Elon Musk und seine Twitter-Kauf-Absichten. Hat Mastodon eine Chance?
Transkript des Videos:
Elon Musk hat Twitter gekauft, beziehungsweise ist kurz davor das zu tun. Warum macht er das? Was ändert sich dadurch? Was gibt es für Twitter-Alternativen? Das klären wir alles in dem Video und haben dafür unter anderem Mastodon ausprobiert. Und ey: Mastodon fühlt sich wirklich gerade so aufregend an wie früher Google+ oder die ersten Tage von Clubhouse. Richtig mit Prominenten zum Anfassen! Mal schauen, wie lange der Hype anhält! Wartet mal, moment, ich muss kurz einen Tröt sternen. Bleibt dran.
Lieber Hackerinnen, liebe Internetsurfer, herzlich willkommen hier bei… -- ds d das – ds
Gleich mal ganz zu Anfang: Ich will hier keine Elon-Musk-Diskussion vom Zaun brechen. Ich weiß, dass den Mann ganz viele von euch ganz toll finden und ganz viele ganz schrecklich. Ich selbst fühle mich da keinem Lager zugehörig. Ich habe sehr starken Respekt davor, wie er es geschafft hat, Elektroautos nicht nur cool zu machen, sondern Autos auch diesen komischen heiligen Ernst auszutreiben; ey, ich mein: Teslas haben eine Furzkissen-Funktion serienmäßig? Teslas haben richtig gute Spiele wie Cuphead oder Stardew Valley vorinstalliert? Sowas kann ich mir von deutschen Autobauern ehrlich gesagt nicht vorstellen.
Gleichzeitig bin ich mir aber nicht so sicher, ob er die richtige Person ist, das politisch wohl weltweit wichtigste soziale Medium quasi allein zu regieren. Ich weiß, Twitter wird von wenig „normalen Menschen“ außerhalb der Journalisten-und -Techbuden-Bubble genutzt. Aber dadurch, dass die Debatten, die auf Twitter geführt werden, von vielen Medien in die echte Welt gebracht werden, ist die Twitter-Macht dann doch real. Ihr erinnert euch vielleicht noch an so einen US-Präsidenten, der sehr aktiv auf Twitter war: Ja, genau, der hat mit einzelnen Tweets den weltweiten Diskurs bestimmt und so auch gerne von wichtigen Themen abgelenkt.
Elon Musk kann das auch ausgezeichnet: Zack, irgendwas getweeted, alle Welt redet davon, zack, irgendwas getweeted, auf einmal ist der Dogecoin-Kurs doppelt so hoch. Das ist nicht einfach fun, sondern das ist echte, harte Macht.
Es gehe ihm um Meinungsfreiheit, sagt Musk. Ja gut, Meinungsfreiheit, aber für ihn scheint das nur in eine Richtung zu funktionieren, nämlich in seine eigene. Mit der Meinungsfreiheit von anderen kommt er nicht so gut klar. Also zum Beispiel, wenn seine Mitarbeiter:innen Gewerkschaften beitreten wollen. Oder wenn nur Journalist:innen bei der deutschen Tesla-Fabrikeröffnung teilnehmen dürfen, die über die Firma nette Sachen berichtet haben. Oder besonders stumpf: Als Tesla die chinesische Regierung gebeten hat, kritische Onlineposts zu zensieren. Ich sag einfach mal ganz diplomatisch: Meinungsfreiheit ist ein komplexes Thema, und ich habe nicht den Eindruck, als hätte Elon Musk sonderlich viel darüber nachgedacht. Für eine so mächtige Plattform wie Twitter wäre das aber schon wichtig – wenn ich mir den Zustand der Welt gerade anschaue, kann das sonst wirklich, wirklich gefährlich werden.
Und dann ist da ja auch noch die wirtschaftliche Perspektive: 217 Millionen tägliche Nutzer:innen hat Twitter laut eigener Angaben, 44 Milliarden US-Dollar hat die Übernahme gekostet. Das bedeutet, dass Musik pro aktiven User-Account über 200 US-Dollar bezahlt. Das ist ja Wahnsinn, denkt ihr jetzt? Ja, das ist Wahnsinn.
Denn irgendjemand muss ja glauben, dass das Geld wieder reinkommt, und dafür müssen die Twitter-User ganz schön hart ausgepresst werden. Falls euch das jetzt schon nervt, dass ihr super oft irgendwelche Tweets seht, die gar keine Tweets sind, sondern Werbung: Das wird sehr wahrscheinlich künftig schlimmer, denn irgendwie muss die Kohle ja wieder eingespielt werden.
Es gibt also ganz viele Gründe, sich nach einer Twitter-Alternative umzuschauen. Und sowieso, wäre das nicht schön, wenn eure Kommunikation nicht über einen kommerziellen, werbefinanzierten Dienstleister stattfinden würde? Sondern auf einer Open-Source-Plattform, ohne kommerzielle Interessen? Und, ja, sowas gibt es. WOW! Eigentlich hatten wir vor, hier im Schweinsgalopp mehrere Twitter-Alternativen vorzustellen, aber es hat sich bei den Recherchen ziemlich schnell gezeigt: Es gibt zurzeit eigentlich nur eine große vielversprechende Alternative; und die bekommt gerade massiv Zulauf: Mastodon.
Der Name kommt von ausgestorbenen Rüsseltieren, und während Twitter ja sprachlich und visuell in der Vogelwelt beheimatet ist (Twittern, Tweet), ist Mastodon auf der Elefanten-Schiene unterwegs, ja, statt „Tweet“ heißt es hier auch „Tröt“ oder auf Englisch „Toot“. Das hat mich erst etwas irritiert, aber eigentlich ist das total süß.
Statt Benjamin Blümchen steckt ein gewisser Eugen Rochko hinter Mastodon, ein Software-Entwickler aus Jena. Seit 2016 arbeitet er an dem Projekt, und seit einiger Zeit auch Vollzeit, denn dank über 700 Menschen, die ihn über Patreon unterstützen, braucht er keinen Brotjob mehr.
Mastodon ist open-source und wird von etlichen anderen Social-Media-Diensten als Basis verwendet. So zu Beispiel auch das von Donald Trump gegründete Truth Social – allerdings hat der Betreiber das erst zugegeben, als Eugen Rochko rechtliche Schritte angedroht hat.
Der größte Unterschied zu Twitter ist, dass Mastodon ein föderiertes System ist. Hä, was das jetzt schon wieder? Wirklich ganz einfach: Twitter, Facebook, Instagram sind zentralisierte Plattformen: Es gibt _einen_ Serverbetreiber und alle User verbinden sich mit den Servern dieses Betreibers. Auf der anderen Seite des Spektrums sind Peer-to-Peer-Netze, wie sie zum Beispiel Bittorrent nutzt. Da gibt es dann gar keine Server, sondern die einzelnen Teilnehmer geben die Daten unter sich weiter. Genau zwischen zentralisierten und Peer-to-Peer-Plattformen liegen föderierte Systeme wie Mastodon. Da gibt es zwar mehrere unabhängige Server, die sind aber miteinander kompatibel und tauschen Daten aus, wenn ich also zum Beispiel auf Mastodon-Server A eingeloggt bin, kann ich auch mit Leuten auf Mastodon-Server B kommunizieren. Die Server-Software ist Open-Source, man kann sowas also einfach selbst installieren und der Community zur Verfügung stellen.
Aber dieses föderierte System scheint leider auch für die größte Verwirrung beim Umstieg auf Mastodon zu sorgen, obwohl das Prinzip eigentlich ganz einfach ist: Will man Mastodon nutzen, sucht man sich einfach eine sogenannte „Instanz“ aus, so heißen die Mastodon-Server-. die einem sympathisch ist. Letzendlich ist diese Instanz aber gar nicht sooo wichtig, denn wenn man einmal eingeloggt ist, kann man ja mit allen Mastodon-Accounts interagieren, auch wenn die auf anderen Instanzen sind.
Ich habe mir für meinen Mastodon-Selbstversuch als Instanz social.tchncs.de ausgesucht, einfach weil da Leute drin waren, die ich schon kannte und weil der Server schnell schien. Aber ihr könnt auch auf einfach auf https://joinmastodon.org gehen, dann auf „jetzt loslegen“ klicken und da könnt ihr euch dann einen Server aussuchen. So, registrieren und dann werden einem auch schon Leute vorgeschlagen, denen man Followen kann, genau wie auf Twitter. Ach guck, kann ich direkt meinem Arbeitgeber folgen – obwohl der da offiziell gar nicht ist, aber halt inoffiziell als Heise-Online-Artikel-Linkschleuder-BOT, ok cool, 6384 Follower hat der.
Ich habe am Dienstag mit Mastodon angefangen, also an dem Tag, an dem die Musk-Twitter-Übernahme offiziell wurde. Und seitdem ist da richtig Halligalli in dem Netzwerk. Ich weiß jetzt nicht, ob das an mir lag, aber jedenfalls kamen da wenige Stunden nach meinem Einloggen auch andere deutsche Großtwitterer wie El Hotzo oder Dax Werner an, Jan Böhmermann war sogar schon länger da. Die Stimmung jedenfalls war bislang deutlich angenehmer als auf Twitter, weil eben auch intimer. MAN IST UNTER SiCH und erklärt sich gegenseitig Mastodon.
Ok, man muss erstmal mental damit klarkommen, dass Tweets hier ernsthaft Tröts heißen. Und dass man keine Posts liked, sondern sie „sternt“. Wie viele Sterne ein Post hat, sieht man auch nicht beim Durchscrollen, sondern erst, wenn man den Post angeklickt hat. Außerdem scheint es manchmal ein paar Tage zu dauern, bis die Suchfunktion neue Accounts findet. Aber sind wirklich die einzigen Sachen was mir negativ aufgefallen ist. Ich war erstaunt, wie gut Mastodon lief, trotz des krassen Besucheransturms; es ließ sich immer alles schwuppsig bedienen, sowohl im Browser auf dem Desktop als auch in der Mastodon Mobile-App. Die sieht jetzt nicht so wahnsinnig modern aus, aber es gibt da gute Alternativen, zum Beispiel das kostenlose Tusky unter Android oder unter iOS die 3,99-Euro-teure App Toot!. Übrigens hier mal die ganzen Daten, die die Twitter-App von euch laut iOS-Appstore erfasst. Und hier das gleiche von Mastodon. Kleiner Unterschied, ne?
Ich gebe euch mal einen kleinen Crashkurs in Mastodon: Oben links ist das Suchfeld, unten drunter schreibt man die Tröts rein, und hier kann wählen, welche Tröts man sehen will. Startseite ist sozusagen der Standardmodus: Hier sieht man nur die Tröts (ich gewöhne mich langsam an das Wort) von den Leuten, denen man folgt. Bei „Lokal“ gibt’s alle Tröts der eigenen Instanz zu sehen, bei „Föderation“ ALLE. Und das Geile ist: Das ist alles nicht von irgendeinem Algorithmus kuratiert, sondern ist einfach chronologisch geordnet. So wie früher auf Twitter oder auf Facebook, also so, wie man das eigentlich haben will. Und natürlich gibt’s auch keine Werbung. Ein Pro-Tipp noch von mir: Wenn ihr in den Mastodon-Einstellungen unter "Aussehen" die "Fortgeschrittene Benutzeroberfläche" aktiviert, dann ist da unten links nicht nur ein lustiger Urzeit-Elefant zu sehen, sondern ihr bekommt auch mehrere Feeds gleichzeitig angezeigt; das geht bei Twitter nur mit Zusatzsoftware wie Tweetdeck.
Was noch ganz wichtig ist: Da jeder Mensch ehrenamtlich eine Mastodon-Instanz betreiben kann, gibt es natürlich keine Garantien, wie lange die Instanz existiert, klar. Außerdem können die Betreiber:innen der Instanzen Accounts löschen und sich im Zweifel doof verhalten. Das ist natürlich dann nicht so super, aber man kann dann ja zu einer anderen Instanz gehen, das geht bei Twitter nicht, wenn einem irgendwann nicht mehr gefällt, was die so machen.
Mastodon ist übrigens Teil des Fediverse, das ist ein Kofferwort aus Federation und Universe, bezeichnet werden damit föderierte soziale Netzwerke. Neben Mastodon gehören dazu auch das Fotosharing-Netzwerk Pixelfed, der Videodienst Peertube und die Facebook-Alternative Diaspora. Das WorldWideWeb-Konsortium hat sogar schon einen Fediverse Kommunikationsstandard offiziell gemacht: ActivityPub heißt das offene Protokoll. Das ist schon alles ziemlich cool.
Ja, und jetzt bin ich mal sehr gespannt, wie das weitergeht mit Twitter und Mastodon. In der Vergangenheit gab es schon öfter mal so Wechsel-Hypes von geschlossenen Plattformen zu anderen, aber das war alles oft nach kurzer Zeit wieder vorbei. Von den vielen Leuten, die was Neues ausprobieren, bleiben aber auch immer ein paar dabei. Die offene WhatsApp-Alternative Signal zeigt das ja ganz anschaulich: Signal wird weltweit schon von 40 Millionen Leuten verwendet, was ja definitiv ernstzunehmend ist. Also, guckt euch Mastodon mal an, und schickt mir gerne einen Tröt. Tschüß!
c't 3003 ist der YouTube-Channel von c't. Die Videos auf c’t 3003 sind eigenständige Inhalte und unabhängig von den Artikeln im c’t magazin. Redakteur Jan-Keno Janssen und die Video-Producer Johannes Börnsen und Şahin Erengil veröffentlichen jede Woche ein Video.
(jkj)