rC3: Mastodon, Matrix & Co. – Bausteine und Hürden für dezentrale Online-Systeme

Dezentrale Netzwerkdienste wie Mastodon, Matrix, BitTorrent, Scuttlebutt oder IPFS gelten als Gegengewicht zu Facebook & Co, kämpfen aber mit eigenen Problemen.

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(Bild: rC3 media.ccc.de, CC BY 4.0)

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Internetnutzer verbringen viel Zeit in den zentralen Silos von Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft. Die US-Riesen profitieren von Netzwerkeffekten, die ihnen immer mehr User auf die Plattformen treiben. Eine breite Palette technischer Initiativen hat sich das Ziel gesetzt, die so entstehenden Monopolstrukturen bei Online-Diensten zu bekämpfen und dezentrale Alternativen aufzubauen. Selbst Befürworter solcher Projekte räumen aber ein, dass die meisten davon den zentralen Größen noch nacheifern: sie müssten aufholen oder eigene Killer-Apps entwickeln.

Einen Überblick über den Stand der Dinge gab der Web-Hacker Will Scott auf dem remote Chaos Communication Congress (rC3). Ihm zufolge haben 2020 sowohl föderierte Kommunikationsnetzwerke wie der Messenger-Dienst Matrix als auch dezentrale Plattformen wie das soziale Netzwerk Secure Scuttlebutt (SBB), das InterPlanetary File System (IFPS) und – im weiteren Sinne – Kryptowährungen größere Verbreitung gefunden. Von einem Durchbruch seien die meisten davon aber noch entfernt und sähen sich mit vielen großen Fragen etwa rund um Wachstumsoptionen konfrontiert.

BitTorrent zählt der Experte für zensurresistente Web-Anwendungen mit täglich drei bis vier Millionen Nutzern zu einer der größten dezentralen Instanzen. Das Peer-to-Peer-Netzwerk (P2P) offeriere rund 2,5 Millionen aktive Torrents. Um diese im Blick zu behalten und ressourcenschonend herunterzuladen gebe es rund 400 spezielle Opentracker-Anwendungen. Zum Suchen gebe es verteilte Hash-Tabellen (Distributed Hash Tables – DHT) mit über vier Millionen Torrents.

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Auch Mastodon hatte laut Scott ein "gutes Jahr". Die Twitter-Alternative steuere mittlerweile rund drei Millionen aktive Nutzer und etwa 5000 betriebsame Server zur Social-Media-Welt "Fediverse" bei. 70.000 Mitglieder posteten regelmäßig selbst Inhalte, der Rest beschränke sich vor allem aufs Mitlesen. Die Zahl der Matrix-Nutzer sei parallel auf 2,5 Millionen, die der Server auf 2500 gestiegen. Die deutliche Zunahme liege unter anderem daran, dass die Bundeswehr und Teile des deutschen Bildungssystems den Umstieg auf das offene Kommunikationsprotokoll beschlossen hätten. Daneben wird Matrix auch in Frankreich staatlich gefördert.

Das ähnlich wie BitTorrent funktionierende IPFS habe zwei Millionen Nutzer überschritten, von denen 20 Prozent eigene Desktop-Knoten betrieben, freute sich der Informatiker. Es umfasse insgesamt 5000 garantierte DHT-Knoten und rund acht Millionen tägliche CIDs (Content Identifier) zum Erkennen von Inhalten. Planetary.social habe ein spezielles SBB-Protokoll zudem auf das mobile Internet ausgeweitet. Das selbst gehostete, als Mesh-Netzwerk angelegte Social-Media-System SBB selbst komme auf rund 10.000 Mitglieder, von denen einige hundert Inhalte einstellten und das darunterliegende P2P-Protokoll vorantrieben.

Bitcoin verfüge über rund eine Million aktive Konten und 11.000 "Full Nodes", die neue Blöcke für die Fertigung der digitalen Münzen generierten, führte Scott aus. Hier gebe es eine große Kluft zwischen Nutzern und Servern. Dies liege daran, dass ein vollständiger Knoten allein rund 300 Gigabyte für die Blockchain benötige. Grundsätzlich zählte der Wissenschaftler etwa auch sechs Millionen SMTP- und gut 500.000 Wordpress-Server sowie 20 Millionen Jitsi-Nutzer zum dezentralen Netz.

Während einige der Angebote noch nach einer kritischen Masse an Nutzern verlangen, leiden die erfolgreicheren von ihnen bereits unter Wachstumsschmerzen. Föderierte Netzdienste verfolgten das Ziel, die Heterogenität der Ressourcen zwischen Clients und Servern zu externalisieren und besser auszugleichen, erklärte Scott. Einige der angeschlossenen Instanzen hätten mehr Speicherplatz und seien besser verfügbar. Wie sehr alle Mitglieder davon profitierten, hänge stark an den eingesetzten Heuristiken und den damit erstellten Algorithmen ab.

Die verschiedenen Modelle

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In Mesh-Netzwerken verbreiteten sich Botschaften und Inhalte oft wie Gerüchte, was zusätzliche Synchronisierungsanstrengungen erfordere, verdeutlichte der Hacker. Oft gebe es kein griffiges Konzept für die Struktur des Netzes, sodass dessen Eigenschaften ebenfalls nur schwer durchsetzbar seien. DHT wiederum wüchsen mit der Zahl der Nutzer, die Daten und Ressourcen mitbringen, recht schnell massiv an, skalierten daher schlecht und seien in abstrakter Form doch wieder mit einer zentralen Datenbank zu vergleichen. Die Erreichbarkeit des Ziels, Inhalte möglichst nah zum Standort des eigenen Computers zu beziehen, hänge wiederum von der Güte der Algorithmen ab.

Kaputte Knoten führen Scott zufolge ferner zu Abstürzen und Verzögerungen. Es müsse daher Anreize dafür geben, nichts "Böses" im Netzwerk zu tun. Auch dieser Ansatz führe aber zu mehr Zentralisierung, da einzelne Einheiten, die vorbildlich agierten, mehr Macht erhielten. Wolle man einzelne Nutzer identifizieren, ginge das zwar etwa über eine externe Autorität. Dies werfe aber Datenschutzprobleme auf. Schon jetzt würden Metadaten wie IP-Adressen auch von einigen dezentralen Diensteanbietern nicht geschützt. Hier seien erweiterte Verschlüsselungs- und zumindest Pseudonymisierungslösungen nötig.

Als weiteres Problem insbesondere für P2P-Netze machte der Forscher die Bandbreite aus: Uploads seien bei den meisten Internetanschlüssen noch auf nur die Hälfte der Kapazität von Downloads ausgelegt. Die Latenz sei zwischen benachbarten Knoten zwar vergleichsweise gering, Verbindungen zwischen Endnutzern würden in der Regel aber nicht gut ausgebaut. Für Scott steht insgesamt dennoch außer Zweifel: "Wir brauchen die Dezentralisierung, sonst wird die Macht der Großen immer größer."

(mho)