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re:publica: Vom Klimawandel-Leugner über die Querfront zum Corona-Verschwörer

Stefan Krempl
Vom rechten Klimawandel-Leugner über die Querfront zum Corona-Verschwörer

(Bild: Morocko/Shutterstock.com)

In der Corona-Krise kursieren besonders viele Verschwörungstheorien und Falschmeldungen. Experten diskutierten Hintergründe und Gegenstrategien.

WhatsApp- und Telegram-Nutzer wissen Bescheid: Ibuprofen verschlimmert Covid-19, Knoblauch hält das Coronavirus auf Abstand, warmer Ingwertee tötet es ab. In der Krise blühen neben derlei weit geteilten "Fake News" zudem Verschwörungstheorien: Bill Gates steckt hinter SARS-CoV-2, das als Bio-Waffe in einem chinesischen Labor entwickelt wurde, die Erkrankung selbst wird von 5G-Strahlung verursacht.

Richtig eintauchen in die Szene der Verschwörungsideologen könne man auch auf den samstäglichen Kundgebungen gegen die Corona-Einschränkungen an der Volksbühne in Berlin, berichtete die Netzaktivistin Katharina Nocun am Donnerstag auf der ins digitale Exil geflüchteten re:publica. "Den Bonzen stinkt es schon lange, dass wir auf dieser Welt rumlaufen", bekomme man dort etwa zu hören, von Nazi- und Stasi-Methoden und dem drohenden Impfzwang sei dort die Rede.

Die Demonstranten als "besorgte Bürger" einzuschätzen, greift laut Nocun zu kurz. Wenn etwa zu hören sei, dass die BRD besetzt sei, verweise dies auf die Reichsbürgerszene. Ein Q-Zeichen signalisiere die Zugehörigkeit zur rechtsextremen Online-Gruppe QAnon, die wiederum eng mit der Querfront-Strategie verknüpft sei. Dazu komme ein Hauch neue Weltordnung alias NWO als antisemitische Verschwörungserzählung. Der Topos der Gedankenkontrolle sei typisch für "esoterische Gruppen, die nach rechts offen sind".

Im Kern handle es sich bei vielen auf solchen Aufläufen aktiven Personen und sich ähnlich äußernden rechtsextremen YouTubern und Ideologen um dieselbe Klientel wie bei den Klimawandel-Leugnern, meint die Bloggerin. In Remix-Tradition hätten diese an Corona angedockt. Aus der NWO werde dabei ein "globaler Putsch der Elite", der durch den strikten Lockdown alles verändere. Aus rassistischen Erzählungen würden chinesische Bio-Waffen, da alles Böse aus der Fremde komme. So werde die Pandemie "zum Teil einer umfassenden Verschwörung, eines Mythos gemacht".

Dahinter stehen Nocun zufolge keine Theorien, da Verschwörungsideologen wissenschaftliche Methoden entschieden ablehnten. Es handle sich vielmehr um den Glauben, dass als mächtig wahrgenommene Gruppen oder Individuen wichtige Ereignisse in der Welt beeinflussten, um der Bevölkerung gezielt zu schaden, diese aber über die eigenen Ziele im Dunkeln zu lassen. Daraus leite sich etwa der Wahn ab, dass Politik und Medien alle unter einer Decke steckten.

Ein wichtiges Narrativ sei: "Wir gegen den Rest der Welt, andere sind Mitläufer der Bösen", führte die Autorin des Buchs "Fake Facts" aus. Daraus speise sich ein "immenses Gruppengefühl". Dazu trete oft der "Teflon-Effekt" ein, wonach gerade über die "Systempresse" verbreitete Faktenchecks falsch sein müssten. Hinzu komme der Gedanke, man könne innerhalb eines demokratischen Systems nichts bewegen, der bereits mit als "Radikalisierungsbeschleuniger" für viele rechtsextreme Attentäter gedient habe.

Verschwörungserzählungen entsprängen dem Gefühl, "machtlos einer Situation ausgeliefert zu sein", und stellten eine "Kompensation von Kontrollverlust" dar, ergänzte Nocuns Ko-Autorin Pia Lamberty. Viele Anhänger solcher Ideologien hätten auch ein starkes Bedürfnis, einzigartig zu sein. Sie glaubten, "große Ereignisse müssen große Ursachen haben", weiß die Psychologin. Ein "böser Verschwörer" stecke also dahinter. Derzeit sie diese Geisteshaltung besonders gefährlich, da die Betroffenen weniger Maßnahmen folgten, die die Pandemie eindämmen könnten. Der Irrglaube wirke sich so direkt auch auf die Gesundheitsvorsorge aus.

Verschwörungstheorien, Hate Speech und Hetze bedrohten darüber hinaus die Demokratie [1], monierte Ben Scott von der Denkfabrik Reset in einem Panel zu Desinformation auf der parallel gestreamten Media Convention Berlin. Der von den Big-Tech-Firmen praktizierte Überwachungskapitalismus befördere diese Entwicklung. Diese seien nur darauf aus, "dass wir am Bildschirm bleiben und Anzeigen gucken". Sensationelle Inhalte würden daher mit Algorithmen hochgepusht. "Fake Accounts" und Bots täten das Übrige, um eine Story aufzublasen. Dagegen helfe nur, die Datensammlung einzuschränken, das Kartellrecht nachzujustieren, Clickbaits zu verbieten und in Medienkompetenz zu investieren.

Der Direktor der Landesanstalt für Medien NRW, Tobias Schmid, sprach sich dafür aus, die reine Selbstregulierung der großen Plattformen im Kampf gegen Falschnachrichten in eine den Staat einbindende Ko-Regulierung weiterzuentwickeln. Nötig sei ein Gesetz gegen Fake News, um die "unheimlich sensible Balance" in diesem Bereich zu halten. "Wir agieren am offenen Herzen der Meinungsfreiheit", gab der frühere RTL-Medienpolitikchef zu bedenken.

Auf Basis eines aktuellen Berichts der Europäischen Regulierungsstellen für audiovisuelle Mediendienste [2] (Erga) kritisierte Schmid, dass sich die Wirksamkeit des etwa von Facebook, Google, Microsoft und Twitter unterzeichneten EU-Verhaltenskodex zum Kampf gegen Desinformation [3] von außen nur schwer überprüfen lasse. Herausgegebene Daten seien meist nicht auf Mitgliedsstaaten heruntergebrochen und es bleibe offen, ob sie vollständig oder manipuliert seien. Am künftigen Medienstaatsvertrag der Länder [4] begrüßte er vor allem, dass die Regulierer künftig gegen Verstöße gegen journalistische Sorgfaltspflichten auch im Internet vorgehen könnten. So lasse sich zumindest ein "Teil von Fehlinformation" aussortieren, der "im Gewand des Journalismus" mit "perfider Wirkmacht" daherkomme.

Betreiber sozialer Netzwerke hätten ein Eigeninteresse, "Falschinformationen ausfindig zu machen und zu reduzieren", hielt Googles hiesige Regulierungschefin Sabine Frank dagegen. Das Vertrauen der Nutzer und der Werbetreibenden wäre sonst rasch dahin. In der Corona-Krise verlinke die Tochterfirma YouTube schon auf der Startseite auf Qualitätsinhalte, die Sichtbarkeit "grenzwertiger" Beiträge werde reduziert, eindeutig rechtswidrige entfernt. Just bei Desinformation und Verschwörungen handle es sich aber um eine "raffinierte Verflechtung von Wahrem und Falschem", warf Juliane von Reppert-Bismarck von der Organisation Lie Detectors ein. An diesem Mix scheitere so mancher von den Plattformen eingesetzte Algorithmus. (kbe [5])


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/news/Hacked-Democracy-Ruf-nach-einer-DSGVO-gegen-Fake-News-und-Filterblasen-4241101.html
[2] https://ec.europa.eu/germany/news/20200505-verhaltenskodex-desinformation_de
[3] https://www.heise.de/news/Coronavirus-EU-aktiviert-erstmals-Fruehwarnsystem-gegen-Desinformation-4676943.html
[4] https://www.heise.de/news/Medienstaatsvertrag-Pornowerbeverbot-und-Google-Ausnahme-sind-raus-4714413.html
[5] mailto:kbe@heise.de