Überwachung als Prima Ratio

Juristen und Politiker fordern, Berichts- und Mitteilungspflichten bei der Telekommunikations-Überwachung ernster zu nehmen; immer mehr Bundesländer beschließen eigene Überwachungsgesetze.

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Von
  • Monika Ermert

Die strafrechtlichen Grundlagen der Telekommunikations-Überwachung bedürfen der Reform, meint Berndt Netzer, Ministeraldirektor beim Bundesjustizministerium, bei der traditionellen Juristentagung des baden-württembergischen Justizministeriums im badischen Triberg. "Der Handlungsbedarf im Bereich der TKÜ wird gesehen", sagte Netzer, "und der Bedarf wird auch gedeckt." Das Ministerium wolle unter anderem den praktisch monatlich geäußerten neuen Begehrlichkeiten, bei welchen Fällen Telekommunikations-Überwachung eingesetzt werden darf, durch eine Neufassung der so genannten Katalogstraftaten begegnen. Statt bestimmter Delikte soll dann die Schwere des Vergehens, beispielsweise durch Mindeststrafen oder eine allgemeine Klausel, Kriterium für die Zulässigkeit der TK-Überwachung sein.

Die baden-württembergische Justizministerin Corinna Werwigk-Hertneck (FDP) zeigte sich skeptisch zu einer Allgemeinklausel. "Den gesellschaftlichen Dialog darüber, ob Fahnenflucht aus dem Katalog raus soll und Umweltkriminalität rein, sollten wir uns leisten", sagte Werwigk-Hertneck. Sie hob vor allem auf eine bessere Kosten- und Effizienzkontrolle in der Überwachung ab. Dass Deutschland Weltmeister im Abhören sei, will die Ministerin nicht glauben. Die wachsenden Zahlen rührten vielmehr in erster Linie vom Mobilfunkboom. Überwachung sei keine Routine.

Armin Nack, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, meinte allerdings, vielfach sei die Telekommunikationsüberwachung "Prima Ratio": "Sie müssen doch erst die Telefonüberwachung vor der Durchsuchung machen." Eine klare Zunahme der Maßnahmen unabhängig vom Handyboom konstatierte Rainer Liedtke von E-Plus. Häufig würden inzwischen auf Basis der Paragraphen 100g und 100h der Strafprozessordnung (StPO) auch minder schwere Straftaten zum Anlass einer Telefonüberwachung genommen, vor allem zu Standortfeststellung.

Grundsätzlich soll die Telekommunikations-Überwachung als massiver Grundrechtseingriff aber doch letztes Mittel bleiben, sagte der Vertreter des Bundesjustizministeriums. Eher müsse man die Subsidiarität, also den Einsatz anderer Mittel der Strafverfolgung, noch ausbauen, meinte Netzer. Er nannte außerdem vier weitere Arbeitsschwerpunkte für die Reform. Besonders dringend müsse die Frage gelöst werden, wie mit den durch die Telefonüberwachung untergrabenen Zeugnisverweigerungsrechten umgegangen wird. Schließlich müsse man nachbessern bei den Berichts- und Mitteilungspflichten, deren Einhaltung immer wieder gerügt wird. Bei den Mitteilungspflichten soll daher künftig klarer eingegrenzt werden, wer nach Abschluss einer Maßnahme davon in Kenntnis gesetzt werden muss. Die Benachrichtigung von Dritten, die den Überwachern bei ihren Fischzügen ins Netz gehen, wurde einhellig als zu aufwendig beurteilt. Bei den statistischen Berichten über Anzahl und Erfolge der Maßnahmen müsse dagegen klar nachgebessert werden, sagte Netzer. "Das macht natürlich Arbeit und die Länder werden darüber nicht glücklich sein," so Netzer. "Aber es ist ein Akt der Vertrauensbildung."

Das Ziel der Vertrauensbildung verfolgt auch die Maßnahme, die richterliche Aufsicht über die Überwachungsmaßnahmen zu stärken. Verschiedene Studien hatten deutschen Richtern bescheinigt, dass sie sich zu sehr von den Anträgen der Staatsanwaltschaften leiten lassen. "Wenn wir Richtervorbehalt nicht griffiger machen, rutscht uns das Ganze aus der Hand", sagte Netzer. Im Wesentlichen wird dabei über Schwerpunktkammern nachgedacht, wo Expertise zu den komplizierten Fällen der Telekommunikations-Überwachung konzentriert werden soll.

Allen hehren Überlegungen zum Trotz darf man aber eines nicht vergessen, warnte der Stuttgarter Rechtsanwalt Georg Prasser: Angesichts der massiv erweiterten Rechte der Sicherheitsbehörden "steht das Grundrecht des Artikels 10 [Brief-, Post- und Fermeldegeheimnis] beinahe nur noch auf dem Papier." Der von Prasser monierte Trend wird im Übrigen durch die Verschärfung präventiver Maßnahmen durch die Polizei bestätigt. Staatsanwaltschaften und Schwerpunktkammern können durch dementsprechende Landesgesetze umgangen werden.

In Thüringen gibt es ein solches Gesetz bereits, in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen ist man bereits im Gesetzgebungsprozess. Für Baden-Württemberg sagt Werwigk-Hertneck: "Ich will nicht daran rühren." Allerdings gibt es auch im Ländle einen Entwurf in der Schublade, in dem sich liberaler Justiz- und konservativer Innenminister vor zwei Jahren einmal auf ein Junktim geeinigt hatten: wenn schärfere Polizeigesetze, dann Recht auf informationelle Selbstbestimmung in die Landesverfassung. Kommen werden diese Landesgesetze, sagt Otto Backes, Professor an der Universität Bielefeld. "Die Polizei hat die Behörden dafür schon sturmreif geschossen." (Monika Ermert) / (jk)