36C3: Blauer Engel gegen aufgeblähte Software segelt 2020 heran

Die Jury "Umweltzeichen" hat die Indikatoren des Umweltbundesamtes für den Blauen Engel für Software befürwortet, sodass das Siegel bald vergeben werden kann.

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36C3: Blauer Engel gegen aufgeblähte Software segelt 2020 heran

(Bild: CC by 4.0, 36C3, media.ccc.de)

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Die Bundesregierung will von 2020 an energieineffizienter, kurzlebiger und aufgeblähter Software den Kampf ansagen. Vom kommenden Jahr an werde das offizielle Umweltzeichen auch für Computerprogramme erhältlich sein, kündigte Marina Köhn, Green-IT-Verantwortliche im Umweltbundesamt (UBA) am Freitag auf dem 36. Chaos Communication Congress (36C3) in Leipzig an. Die zuständige Jury, der neben Gewerkschaften und Umweltvereinen auch Industrieverbände wie der BDI oder der HDE angehören, habe die von der Behörde aufgestellten einschlägigen Kriterien und Indikatoren im Dezember befürwortet. Der neue Teil des 1971 eingeführten Logoprogramms sei damit startklar.

Vergleichbare Software, sehr unterschiedlicher Ressourcenhunger: Das Team vom Blauen Engel nennt aber keine Namen.

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Software trage dazu bei, dass mit seltenen Metallen gespickte Hardware "obsolet wird", begründete Köhn die Initiative. Sie verwies auf eine "heftige Entwicklung" etwa beim Wandel der Grundvoraussetzungen einzelner Betriebssysteme. So habe Windows 95 noch einen Arbeitsspeicher von 4 Megabyte bei einer Festplatte mit einem Fassungsvermögen von 50 MB benötigt. Windows 10 beanspruche dagegen 1 Gigabyte Arbeitsspeicher und 16 Gigabyte Platz auf der Platte. Dazu komme das Phänomen "Software Blowing": Programme enthielten immer mehr Funktionen: so könne man mit einer Tabellenkalkulation nun auch Bilder bearbeiten.

Eine der Folgen ist laut der Informatikerin, dass Hardware "vorzeitig in den Ruhestand geschickt" werden müsse. Zudem sei Software vermehrt für "sehr dicke Datenformate verantwortlich" und verhindere etwa, dass Set-Top-Boxen in den Stromsparmodus wechselten. Immer mehr Haushaltsgeräte würden vernetzt und drohten kurzlebig zu werden wegen der aufgespielten Programme.

Mit der neuen Komponente des Umweltengels will die Regierung laut Köhn nun anhand ambitionierter, überprüfbarer Anforderungen "die Besten der Besten auszeichnen". Der Nutzer müsse "selber entscheiden können, welche Module er installiert", Software auch wechseln und komplett deinstallieren können, erläuterte die Programmiererin. Apps sollten "über die Zeit schlanker werden". Zudem müssten Hersteller beweisen, dass Programme auf einem mindestens fünf Jahre alten Referenzsystem lauffähig seien.

Ressourcenschonende Software, die sich mit dem Zeichen schmücken könne, solle ferner modular sein, ohne Werbung auskommen und über offene Schnittstellen für die Kommunikation mit anderen Programmen verfügen, erläuterte die Expertin. Dazu kämen "Mindestanforderungen für Energieeffizienz" über mehrere Standard-Nutzungsszenarien hinweg. Der Stromverbrauch solle dabei über die gesamte Laufzeit des Siegels hinweg in verschiedenen Prüflaboren gemessen werden. Einen Engel etwa für gewaltverherrlichende Baller-Spiele werde es nicht geben, die Anforderungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) müssten voll erfüllt sein.

In den Tests soll der Energieverbrauch von Anwendungen anhand typischer Nutzungsszenarien ermittelt werden.

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Als Manko bezeichnete es Köhn, dass sich das Zeichen zunächst aufgrund der Praktikabilität auf Desktop-Programme beschränken werde. Eine Studie zu "softwarebedingter Hardware-Obsoleszenz" etwa auch für Streaming und die Cloud laufe aber gerade, sodass der erfasste Bereich künftig eventuell ausgedehnt werden könnte. Auch Betriebssysteme blieben erst einmal außen vor, da es davon "einfach zu wenige" gebe und sich so der mit dem Engel verknüpfte Vermarktungseffekt in Grenzen hielte. Open-Source-Software könne auf jeden Fall prinzipiell auch dann ein Siegel erhalten, wenn eine Entwicklergemeinschaft und keine juristische Person dahinterstehe.

Noch keine griffigen Kriterien gefunden habe man, um den "Rebound-Effekt" einzufangen, berichtete Köhn. Dieser Effekt besagt, dass sich das Einsparpotenzial von Effizienzsteigerungen häufig nicht oder nur teilweise verwirklichen lässt und von anderen Entwicklungen wieder aufgefressen wird.

Die bereits bestehenden Öko-Siegel für Rechenzentren und PCs werden nur selten oder gar nicht von den Herstellern nachgefragt. Der Druck, bei den Zertifizierungsprogrammen mitzumachen, nimmt Köhn zufolge aber zu. So sei zumindest für die Bundesverwaltung mittlerweile sichergestellt, "dass die Kriterien des Blauen Engel beachtet werden müssen". Im kommenden Jahr stünden dazu auch Diskussionen mit den Bundesländern an.

Um die Kriterien für den Energie- und Hardwareverbrauch aufzustellen, hatten die beteiligten Forscher als Basis für Messungen Standard-Nutzungsszenarien zunächst für Textverarbeitung, Mediaplayer, Browser, Content-Management-Systeme und Datenbanken aufgestellt und diese später auf Nachhaltigkeitsmanagement, Bildverarbeitung, Webshops und PDF-Viewer erweitert. Dafür habe man ein kleines Labor aufgebaut mit einem "Workload Generator", erklärte Eva Kern vom zuständigen Umwelt-Campus Birkenfeld der Uni Trier. Dort würden die Szenarien automatisiert abgespielt, gemessen und in einem Energieeffizienz-Report zusammengefasst und ausgewertet.

Etwa für unterschiedliche Textverarbeitungsprogramme oder Mediaplayer hätten sich dabei bei gleicher Beanspruchung recht verschiedene Verbrauchswerte ergeben, ließ Kern durchblicken. Auch die Prozessorauslastung und Arbeitsspeicherbelegung würden gemessen. Zusätzlich habe das Team mit "Oscar" und einem zugehörigen XML-Instrument einen Open-Source-Werkzeugkasten gebaut, um die Messdaten einfacher auswerten und bereitstellen zu können. Dieser auch von anderen Prüfinstitutionen verwendbare Ansatz solle helfen, Transparenz zu schaffen. Die Forscher haben auch schon erste Programme auf verschiedenen Betriebssystemen untersucht, Ergebnisse dazu liegen aber noch nicht vor. (jo)