Arbeit 4.0: Wie die "Müllabfuhr des Internets" soziale Medien säubert

Die kalifornische Forscherin Sarah Roberts gab auf einem Gewerkschaftskongress Einblick in die geheimen Reinigungstrupps von Online-Plattformen und warnte vor einer "Uberization" mit prekären Arbeitsverhältnissen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 76 Kommentare lesen
Arbeit 4.0: Wie die "Müllabfuhr des Internets" soziale Medien säubert

Etwas bei Facebook melden

(Bild: heise online/Stefan Krempl)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die Digitalwirtschaft ist bekannt dafür, immer neue Beschäftigungsverhältnisse und Jobs zu schaffen. Dazu gehört auch ein bislang wenig transparentes Arbeitsfeld, das die Informationswissenschaftlerin Sarah T. Roberts von der University of California in Los Angeles vornehm als "gewerbliche Inhaltsmoderation" ("commercial content moderation") bezeichnet und auf dem Digitalisierungskongress von ver.di und der Hans-Böckler-Stiftung am Dienstag in Berlin vorgestellt hat. Die Veranstalter wählten einen eingängigen Begriff für derlei Tätigkeiten: "Die Müllabfuhr des Internets."

Sie sei über einen Zeitungsbericht auf das Phänomen aufmerksam geworden, in dem es über Erwerbsmöglichkeiten im Mittleren Westen der USA ging. Wo früher Familienfarmen erblühten, gebe es demnach nun Call Center, deren Mitarbeiter nicht nur Anrufe entgegennähmen, sondern auch missliebige Inhalte für Betreiber sozialer Netzwerke und anderer Plattformen mit nutzergeneriertem Content entfernten. Dabei gehe es um alles, "was nicht passt": Pornografie, Propagandamaterial und verstörende Bilder aus Kriegsgebieten oder allgemeine Gewaltszenen etwa.

Sarah Roberts

(Bild: heise online/Stefan Krempl)

Kollegen und Studenten seien nur davon ausgegangen, dass diese Säuberung Computer selbst schon längst erledigten, berichtete die Forscherin. Einschlägige Algorithmen gibt es zwar, um etwa Nacktdarstellungen rasch herauszufiltern, hat Roberts inzwischen herausgefunden. All die Hinweise auf "schädliche" Inhalte, die Nutzer selbst gäben, müssten aber von Menschen abgearbeitet werden. Die einschlägigen Firmen würden zwar gern Künstliche Intelligenz dafür einsetzen, bislang sei die menschliche Arbeit aber nicht hundertprozentig algorithmisch abzubilden. Maschinen würden auch nichts daran ändern, dass ein offenes Loch im Internet rasch mit Kacke gefüllt werde.

Als sie sich tiefer mit der Materie beschäftigte, stieß die Wissenschaftlerin nach eigenen Angaben zunächst auf die mittlerweile in Aureon umbenannte Firma Caleris, die offenbar Auslöser für den Zeitungsartikel gewesen sei. Diese habe damit geworben: "Outsource to Iowa, not India." Sie habe versucht, mit dem Management des Unternehmens in Kontakt zu kommen: "Doch die wollten nicht mit mir reden. Dafür folgten sie mir dann auf Twitter."

Inzwischen sei es ihr gelungen, mit Mitarbeitern eines großen Konzerns "mitten im Silicon Valley" zu sprechen, die zu dessen Saubermännern gehörten, führte Roberts aus. Den Namen des Betriebs dürfe sie nicht nennen, da die Befragten Geheimhaltungsklauseln unterschrieben hätten. Es habe sich um Mittzwanziger gehandelt, die meist von Elite-Universitäten in der Nähe wie Berkeley gekommen seien und Gesellschafts-, Politik- oder Wirtschaftswissenschaften studiert hätten.

Die Anforderungen an die Jobs waren laut der Forscherin hoch: Die "Content-Moderatoren" mussten verschiedene Sprache beherrschen sowie und kulturelle Unterschiede und verschiedenste nationale Regeln berücksichtigen. Sie wurden aber nicht fest angestellt, sondern nur als Vertragsmitarbeiter, die zunächst ein Jahr am Stück und insgesamt in der Regel nicht länger als zwei Jahre auf der Position arbeiten durften. Danach sei das Unternehmen davon ausgegangen, meinte Roberts, dass die "Abräumer" an Burnout litten oder nach all dem Gesehenen nicht mehr sensibel genug waren, um die unerwünschten Inhalte als solche einzuschätzen.

Der gesprächsbereite "Max" habe etwa beklagt, dass man "nicht einfach am Abend aus dem Büro kommen und alles hinter sich lassen kann". Es sei ja untersagt, mit anderen über den Job zu reden, man wolle dies aber auch gar nicht wirklich. Max habe so realisiert, "dass er viel trinkt in letzter Zeit". "Josh" habe als weiterer Interviewte angemerkt, dass er sich so fühle, als ob er acht Stunden in dem ganzen Filz verbringe, "den man nicht in sein restliches Leben hineinbringen will". Mit rund 40.000 US-Dollar Jahresgehalt sei die Beschäftigung für eine der teuersten Gegenden der Welt auch nicht sonderlich gut bezahlt.

Die Aufgaben der digitalen Reinigungskräfte passten nicht zur typischen Vorstellung der Wissensgesellschaft und der technischen Klasse, kommentierte Roberts die Erkenntnisse. Bemerkenswert sei an dem Beispiel auch, dass "Wissensarbeit ausgelagert wird". Dabei habe diese immer als so spezifisch gegolten, dass sie als resistent dagegen angesehen worden sei. Ferner sei problematisch, dass Hate Speech oder Propaganda immer auch politischen Vorstellungen unterlägen und diese von den Konzernen mit gesteuert würden.

Generell sieht Roberts in der digitalen Wirtschaft generell die "Uberization" am Werk, also prekäre Arbeitsverhältnisse mit Kurzzeitverträgen, Deregulierung, Steuervermeidung und den "Missbrauch öffentlicher Güter für private Gewinne". Digitalisierung bedeute für viele nichts anderes, als "unter ausbeuterischen Bedingungen zu arbeiten", ergänzte der Frankfurter Arbeitsrechtler Peter Wedde. Wer etwa als "Picker" im Lager bei Amazon schufte, stehe in einem Beschäftigungsverhältnis, das "wie Sklaverei" sei. Nötig sei daher ein Verbandsklagerecht wie beim Verbraucherschutz. Zudem müssten alle, die selbständig arbeiteten, zwangsweise in die Sozialversicherung einzahlen. Die Schweiz habe damit gute Erfahrungen gemacht. (mho)