Braucht Deutschland eine Nationale Akademie der Wissenschaften?

Mehr Einfluss für Forschung und Wissenschaft auf die öffentliche Meinungsbildung gesucht.

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Von
  • Richard Sietmann

Nachdem der Wissenschaftsrat als Beratungsgremium des Bundes und der Länder in Sachen Hochschulpolitik im Februar die Gründung einer Nationalen Akademie der Wissenschaften in Deutschland empfohlen hatte, stellte heute in Berlin die Akademienunion ein erstes Konzept zur Diskussion.

Die Union ist der Zusammenschluss der sieben Länderakademien in Berlin, Düsseldorf, Göttingen, Heidelberg, Leipzig, Mainz und München; daneben gibt es noch die in Halle ansässige und überregional ausgerichtete Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina -- 1652 gegründet und eine der ältesten der Welt. Sie gehört der Union nicht an und widersetzte sich politischen Vereinnahmungsversuchen in der Vergangenheit stets erfolgreich.

Nach den Vorstellungen des Wissenschaftsrates soll eine Nationale Akademie vor allem eine wirksame Vertretung der deutschen Wissenschaft im Ausland sicherstellen und daneben durch wissenschaftlich fundierte und politisch unabhängige Stellungnahmen zu drängenden gesellschaftlichen Fragen die Politik beraten. "Die bloße Zusammenführung bestehender Akademien unter einem gemeinsamen Dach" sei dafür jedoch "keine adäquate Lösung". Die neu zu gründende Einrichtung müsste eine flexible Arbeitsgruppenakademie sein und keine Gelehrtensozietät mit der traditionellen Gliederung in Fachklassen.

"Das Wissenschaftsratsmodell ist zentralistisch und berücksichtigt nicht die gewachsenen föderalen Strukturen in Deutschland", hält der Präsident der Akademienunion, Professor Gerhard Gottschalk dagegen; die Empfehlungen "zielen in der Sache nicht auf eine Akademie, sondern auf eine Institution mit begrenzten Funktionen". Die beiden Aufgaben der Repräsentanz und Politikberatung ließen weitaus kostengünstiger mit einer schlankeren Fortentwicklung bestehender Strukturen als mit einer neu zu schaffenden Nationalakademie erbringen.

Das Konzept, das die Akademienunion dazu heute präsentierte, ruht auf drei Pfeilern: den engen Zusammenschluss aller deutschen Akademien einschließlich der Leopoldina und der Akademie der Technikwissenschaften acatech, der Weiterentwicklung der bisherigen eher informellen "Allianz" der großen Wissenschaftsorganisationen zu einem "Deutschen Forschungsrat" nach dem Vorbild des National Research Councils in den USA, und schließlich das eigentlich Neue in Gestalt eines "Konvent der deutschen Wissenschaft".

Dieser Konvent sollte die eigentliche Politik- und Gesellschaftsberatung vornehmen, unabhängig von den Interessen einzelner Institutionen. "Seine Autorität beruht ausschließlich auf dem Rang seiner Mitglieder als Wissenschaftler", betonte der Heidelberger Akademie-Präsident Peter Graf Kielmannsegg bei der Vorstellung des Modells. Dazu sollte der Konvent seine Mitglieder aus dem Kreis der bisherigen Akademien, unter den Leibniz- und Zukunftspreisträgern der letzten vier Jahre sowie den in Deutschland lebenden Nobelpreisträgern rekrutieren. Ein weiteres Viertel der insgesamt maximal 120 Mitglieder könnten der Konvent kooptieren, das heißt, von sich aus hinzuwählen. Mit dieser Plattform für wissenschaftliche Stellungnahmen zu drängenden Fragen der Zeit könnte es gelingen, "die gesellschaftlichen Debatten aus der Beliebigkeit herauszuholen", glaubt Kielmannsegg.

Mit dem heute vorgestellten Konzept kann nun die politische Diskussion und die vom Wissenschaftsrat geforderte Abstimmung der Länderakademien mit der Leopoldina und den großen Wissenschaftsorganisationen beginnen. Doch nicht unter allen Beteiligten stößt die Weisheit der Intention des Wissenschaftsrates, in kritischen Fragen wie beispielsweise zur Ethik der embryonalen Stammzellenforschung verbindliche Aussagen "der" Wissenschaft zu erarbeiten, auf ungeteilte Zustimmung. Die Kakofonie sei das Prinzip einer Wissenschaft in einem freien Land, das die Meinungs- und Pressefreiheit hochhalte, meint etwa der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft. "Gibt es denn nicht genug andere Probleme in unserem Wissenschaftssystem, als ein neues Seniorenwolkenkuckucksheim der Wissenschaft zu gründen?" (Richard Sietmann) / (jk)