Build 2017: Microsofts VR-Sonderweg in die "Mixed Reality"

Mit seiner "Mixed Reality Platform" schlägt Microsoft einen anderen Weg ein als die übrige VR-Konkurrenz. Wir haben die neuen Headsets ausprobiert und erklären den besonderen Ansatz Microsofts.

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Build 2017: Microsofts VR-Sonderweg in die "Mixed Reality"

(Bild: heise)

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VR, MR, AR – bei den ganzen Abkürzungen für die unterschiedlichen Formen der künstlichen Realitäten kann einem schwindelig werden. Den ersten VR-Boom hat Microsoft verschlafen. Doch statt der Konkurrenz hinterherzulaufen, schlägt Microsoft einen anderen Weg ein und nennt ihn nicht Virtual, sondern Mixed Reality.

Bislang verstand man darunter, dass virtuelle Objekte in die reale Umgebung eingeblendet werden. Microsofts HoloLens ist das erste kommerziell erhältliche Headset, das dieses Kunststück beherrscht. Doch auf seiner Entwicklerkonferenz Build 2017 in Seattle erklärt Microsoft nun auch die günstigen Konsumer-Headsets von Acer, HP & Co. zur Familie der "Mixed Reality Devices" – obwohl sie gar keine virtuellen Objekte in die reale Umgebung pflanzen können. Die Verwirrung ist perfekt.

Die Logik von Microsoft liegt – wie könnte es bei einem Software-Unternehmen anders sein – in der Entwicklungsplattform, auf der die Programme für die MR-Brillen entstehen. Und genau hier machen die Redmonder keinen Unterschied zwischen einer sündhaft teuren HoloLens für den Industrie-Einsatz und einer billigen Acer-Brille für den Unterhaltungsmarkt. Beide zählen für Microsoft zur Mixed Reality; die billige Klasse der Acer-Brillen wird als "Full Immersive Device" bezeichnet. Doch Name hin oder her, letztlich ist es auch nichts anderes als die VR-Brillen die wir bislang kennen – anderer Name, gleiche Funktionalität.

Virtual Reality ist für Microsoft nur eine Spielart der Mixed Reality.

(Bild: Microsoft)

Aber halt, einen Unterschied gibt es doch: Während man für die VR-Brillen von Oculus und Sony eine externe Kamera aufstellen und für die HTC Vive sogar Laser-Tracker an Wänden befestigen muss, fällt das bei dem Acer-Modell weg. Das kann seine Position im Raum über zwei eingebaute stereoskopische Kameras erkennen. Wie bereits vermutet, kommt dabei eine abgewandelte Kinect-Technik zum Einsatz: In der Mitte des äußeren Visiers ist ein Streifen mit einer Reihe von LEDs eingelassen, die ein spezielles Muster mit infrarotem Licht abstrahlen. Die Reflexionen des Musters werden von zwei Kamera-Sensoren rechts und links am Visier aufgefangen, die darüber die Position der Brille im Raum berechnen.

Im Unterschied zur HoloLens, die die Umgebung mit Time-Of-Flight-Kameras scannt, kann das Acer-Modell jedoch kein dreidimensionales Abbild der Umgebung berechnen. Das sieht auf der HoloLens besonders spektakulär aus, wenn sie in der Entwicklungs-Software über reale Objekte im Raum ein grobes Polygonraster einblendet, sodass die Umgebung wie im Film Tron gerendert aussieht. Diesen Trick beherrscht die Acer-Brille nicht. Sie kapselt den Anwender ab wie eine normale VR-Brille.

Wohl aber lässt sich die Acer-Brille mit der gleichen von Microsoft entwickelten Entwicklungsplatform programmieren. In Seattle demonstrierten die Entwickler dies an einer Integration in die Spiele-Engine Unity. Sowohl die HoloLens als auch die Acer-Brille lassen sich realtiv einfach in ein Unity-Projekt einbinden. Im Unterschied zu anderen VR-Programmen muss man hier unter anderem zusätzliche Anker definieren, die als Referenzpunkte notwendig sind, wenn eine Anwendung von mehreren HoloLens-Trägern gleichzeitig bedient werden soll. Dank Gestenerkennung genügt dazu mt der HoloLens ein Fingerwink. Mit der Acer-Brille nimmt man zur Interaktion ein Xbox-Gamepad und drückt die Taste "A".

HoloLens und Acer-Brille können von verschiedenen Spielern sogar gemeinsam in dem selben Spiel genutzt werden. Dazu sehen die HoloLens-Träger das Spielfeld auf einem Tisch während die Acer-Brillen im Spielfeld als kleine Firguren herumlaufen.

In Windows 10 sollen alle MR-Programme in einem virtuellen Haus versammelt werden, von wo aus man sie bei einem Rundgang starten kann.

(Bild: heise)

Die Demonstration auf der Build zeigte tolle neue Möglichkeiten auf. Microsoft will Mixed Reality künftig als festen Bestandteil von Windows 10 integrieren. Ähnlich wie bei Oculus gibt es einen zentralen Hub, von dem aus sich die MR-Apps starten lassen. Microsoft arbeitet derzeit am Desgin eines virtuellen Hauses im mediteranen Stil, in dem der Spieler herumlaufen kann und MR-Apps als Bilder an den Wänden sieht und die er von dort aus (oder aus einem schnöden einblendbarem Menü) starten kann.

Der Haken ist nur: Microsofts MR-Plattform ist nicht zu den Konkurrenz-Systemen von Oculus und HTC kompatibel. Man benötige zwingend Geräte mit Inside-Out-Tracking, erklärte einer der Entwickler, auch wenn diese letztlich nichts anderes machen als die normalen VR-Brillen von Oculus und HTC.

Eventuell könnten Oculus und HTC ihre Software-Angebote für Microsofts MR-Brillen öffnen, konkrete Kompatibilitätspläne, etwa eine Unterstützung offener Standards wie OpenXR, seien im aber nicht bekannt, so der Entwickler. Besitzer der Oculus Rift und HTC Vive werden demnach die MR-Spiele auf Microsofts Windows-Plattform nicht starten können, auch wenn diese eigentlich für "voll Immersive" VR-Brillen geeignet wären.

Der Leidtragende dieser Fragmentierung ist der Anwender. Er muss sich entscheiden, ob er nun eine Brille von HTC, Oculus oder Microsoft (beziehungsweise Acer, HP usw.) kauft. Den Ausschlag wird dabei in erster Linie die Software geben. Für Microsofts Mixed-Reality-Plattform gibt es bislang vornehmend Industrie- und Präsentations-Anwendungen, die speziell auf die HoloLens zugeschnitten wurden. Ein Markt für MR-Spiele muss sich erst noch entwickeln.

Da die ersten Dev-Kits der Konsumer-Geräte erst jetzt ausgeliefert werden, dürften noch ein bis zwei Jahre vergehen, bis Entwickler vollwertige Programme am Start haben, die über das Niveau prototypenhafter Demos hinausgehen. Genaueres kann man aber erst Mitte Juni sagen, wenn Microsoft die neue Xbox Scorpio und dessen Spiele-Lineup auf der Spielemesse E3 vorstellt. Um zum voraussichtlichen Marktstart der Scorpio Ende des Jahres bereits vorzeigbare MR-Spiele vorzeigen zu können, müssten die Entwickler ein geradezu rekordverdächtiges Tempo vorlegen. Immerhin soll die Umstellung auf die neuen MR-Headsets dank der guten Einbindung in Unity problemlos funktionieren. Wenn eine VR-App mit der Rift oder Vive läuft, kann sie einfach auf die Acer-Brille angepasst werden.

Hinter dem dunklen Mittelstreifen sind LEDs zu erkennen, die im infraroten Bereich strahlen. Die Kamerasensoren fangen die Reflektionen stereoskopisch auf.

(Bild: heise)

Während der ausführlichen Vorführung der Mixed-Reality-Platform konnten wir auch die neue Acer-Brille für Windows ausprobieren. Sie soll zum Jahresende mit zwei Motion-Controllern für 400 US-Dollar auf den Markt kommen.

Von ihrem Äußeren ist die Acer-Brille wesentlich einfacher verarbeitet als die Modelle von Sony, Oculus und HTC. Ähnlich wie bei Sonys PSVR wird das Gewicht von einem Plastik-Kopfband gehalten, das sich jedoch nur mühsam einstellen lässt. Das Visier lässt sich praktischerweise hoch- und runterklappen. Allerdings kann man den Abstand der Optik zu den Augen nicht verändern. Im kurzen Test saß sie jedoch auch über eine große Brille gestülpt relativ gut. Dank flauschiger Randgummis drang an den Rändern kein Licht von Außen ein. Das Sichtfeld wirkt subjektiv etwas kleiner als bei den Konkurrenzmodellen. Die Auflösung der Displays (1440 × 1440 Pixel pro Auge) wirkt etwas grob, die Pixelstruktur ist recht gut zu erkennen. Da das Visier nicht aufs Gesicht drückt, dürfte sich die Brille über lange Zeit ähnlich komfortabel wie Sonys PSVR tragen lassen. Das Gewicht des Acer-Modells ist deutlich geringer. Angeschlossen wird die Brille über ein Kombi-Kabel mit HDMI und USB 3, das ein paar Meter lang ist.

Am Schließmechanismus des Kopfbandes hat Acer gespart. Immerhin drückt die Brille nicht so stark aufs Gesicht wie Modelle von HTC und Oculus und das Visier lässt sich hochklappen.

(Bild: heise)

In der kurzen Demo funktionierte das Tracking relativ gut. Allerdings scheint es nicht so präzise zu sein wie das der HTC Vive. In der Unity-Engine zogen Objektränder zuweilen etwas Schlieren. Die optischen Linsen haben keinen Fresnell-Schliff, sodass im Vergleich zur Oculus Rift keine Ringmuster stören. Insgesamt ist der Bildeindruck etwas schlechter als auf den Brillen von Sony, Oculus und HTC – wenn die Unterschiede auch gering ausfallen. Ein Sensor in der Brille stellt fest, ob das Visier hoch- oder runtergeklappt ist. An der linken Seite befindet sich eine kleine Klinkenbuchse zum Anschluss von Kopfhörern, bzw. Headsets.

Kommen später die Motion-Controller ins Spiel, wird die Acer-Brille sie nur tracken können, wenn der Spieler sie vor dem Körper hält. Wenn die Software-Entwickler dies berücksichtigen, sollte das jedoch kein größeres Problem darstellen. Ebenso lassen sich Spiele ganz normal mit einem Gamepad steuern. Die Hardware bietet also eigentlich alle Voraussetzungen für gewöhnliche VR-Spiele – jetzt muss nur die Software-Platform mitziehen.

Disclaimer: Microsoft hat die Reise- und Unterbringungskosten des Autoren zur Build-Konferenz bezahlt.