Bundespräsident Steinmeier fordert "positiven Entwurf der Digitalisierung"

Das deutsche Staatsoberhaupt meint, die Digitalisierung habe das Potenzial, die Fliehkräfte in der Gesellschaft zu verstärken. Dem müsse etwas entgegengesetzt werden. Auch bestehe die Gefahr, dass Autokratien effizienter ihre Macht ausüben können.

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Bundespräsident Steinmeier fordert "positiven Entwurf der Digitalisierung"

Frank-Walter Steinmeiner in Fribourg.

(Bild: bundespraesident.de)

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat während seines Staatsbesuchs in der Schweiz vor Populismus und autoritärer Führung im Zeitalter der Digitalisierung gewarnt. "Populisten nutzen die neuen Kanäle, um alte Antworten auf die Frage nach Identität und Orientierung zu geben: Abschottung, Ausgrenzung, Nationalismus", sagte Steinmeier am Donnerstag vor Studenten der Université de Fribourg. Diesen Strömungen müsse etwas entgegengesetzt werden.

Dabei dürfe die technische Entwicklung nicht selbst zum "Quell des politischen Übels" gemacht werden, sagte Steinmeier einer Mitteilung zufolge. "Unsere Gesellschaften brauchen einen positiven Entwurf der digitalen Zukunft", betonte er. Werkzeuge der digitalen Kommunikation müssten für eine klare Entscheidung zwischen Fakten und Meinung eingesetzt werden.

Die digitale Revolution hat nach Steinmeiers Meinung "ungeahnte Freiheiten" gebracht, neue Geschäftsmodelle wachsen lassen und Menschen auf der ganzen Welt vernetzt. Sie habe aber auch das Potenzial, die Fliehkräfte in der Gesellschaft zu verstärken. Dabei verweist der Bundespräsident auf soziale Netzwerke, in denen der Ton immer schroffer und unversöhnlicher werde. Algorithmen von YouTube & Co seien nicht auf redaktionelle Verantwortung oder sachliche Aufklärung programmiert, sondern auf "maximale Klick-Ausbeute".

Steinmeier kritisierte eine "Faszination des Autoritären", die es nicht nur in China oder Russland gebe. Diese Faszination sei bereits tief in den transatlantischen Westen und nach Europa eingedrungen. Die daraus folgende gesellschaftliche Polarisierung machten sich Populisten zunutze. Demokraten seien deshalb aufgerufen, sich mehr um alltägliche Sorgen der Menschen zu kümmern.

"Wenn Autokratien, die sich um Privatsphäre und bürgerliche Freiheiten nicht scheren, auf alle verfügbaren Daten zugreifen und diese Daten an immer mächtigere Algorithmen verfüttern, können sie menschliches Verhalten dann nicht bald bis in kleinste soziale Einheiten und tief ins Privatleben hinein kontrollieren?", sagte Steinmeier mit Bezug auf den israelischen Wissenschaftler Yuval Noah Harari. Dieser sieht eine große Gefahr darin, dass die Revolution in der Informationstechnik Diktaturen effizienter macht als Demokratien.

Die Autokratien könnten der Unzufriedenheit, dem Aufbegehren, das häufig am Anfang demokratischer Bewegungen stehe, womöglich noch früher entgegensteuern, spekuliert Steinmeier. Das sei längst keine dystopische Science Fiction mehr: In China werde ein sogenanntes Social-Credit-System vorbereitet, das individuelles Wohlverhalten belohnen und Fehlverhalten bestrafen soll. Auch sollen künftig 600 Millionen Kameras den öffentlichen Raum in China überwachen und mit künstlicher Intelligenz sogar einzelne Gesichter in der Masse erkennen. (anw)