Das digitale Sommersemester – studieren per WLAN statt in Hörsaal und Seminar

Das Sommersemester 2020 wird gestreamt – daraus ergeben sich viele Probleme.

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Studenten im Hörsaal

(Bild: Shutterstock/metamorworks)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Thomas Strünkelnberg
  • dpa
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Für Kunst- oder Musikstudenten an der Universität Hildesheim wird das neue Sommersemester schwierig, auch angehende Psychologen dürften sich die Haare raufen. Wenn der Professor etwa einem Cellisten etwas zeigen will, sitzt er ihm sonst gegenüber. Doch wegen der Coronavirus-Pandemie geht das nicht, der verordnete weitgehende Stillstand hat auch das Leben der Studenten fest im Griff. Die Lösung: Das Sommersemester wird digital – Vorlesungen und Seminare werden gestreamt, geprüft wird online. Eine Chance, die Hochschulen ins 21. Jahrhundert zu führen, sieht der niedersächsische Wissenschaftsminister Björn Thümler darin. Für den Cellisten vermutlich ein schwacher Trost.

"Kein verlorenes Semester, aber ein besonderes Semester" kündigte der CDU-Politiker mit Blick auf das am 20. April beginnende Sommersemester an. Für Professor Jürgen Sander von der Universität Hildesheim ist es eine "nicht ganz freiwillig gewählte Chance, die Digitalisierung voranzubringen". Sander muss es wissen, das zeigt sein ziemlich langer Titel: Er ist hauptberuflicher Vizepräsident für Studium, Lehre, studentische Belange und Digitalisierung sowie Mitglied des Projektteams E-Learning 2020 an der Uni Hildesheim. "Es wird sehr spannend werden", betont er.

Denn es gebe Probleme, die nicht bis zum Sommer und "schon gar nicht bis Ostern" gelöst werden können. Es sei einfach nicht möglich, alles online zu absolvieren – Lehramtsstudenten müssten ein Praktikum machen, aber Schulen seien geschlossen. Musikstudenten bräuchten Präsenztermine, Biologen ihre Versuche, Psychologiestudenten den Kontakt zu Patienten. "Wenn der Student zuhause am Cello sitzt, kann man ihm nicht in die Saiten greifen."

Das bedeutet: "Es wird sich nicht jegliche Form der Lehre online anbieten lassen", sagt Sander. Geprüft werden müsse, ob Veranstaltungen sicherheitshalber im August oder September, also der vorlesungsfreien Zeit, angeboten werden. "Ich gehe erstmal von einer längeren Phase aus, in der es immer wieder Einschränkungen geben wird." Möglicherweise betreffe das auch das kommende Wintersemester.

Doch auch auf der technischen Seite könnte es Probleme geben: "Man kann nicht 50 Vorlesungen parallel streamen, dann brechen die Server zusammen", erklärt Sander. Deren Kapazität an Niedersachsens Universitäten müsse immens ausgebaut werden – und ein anspruchsvoller Zeitplan sei nötig, mit Veranstaltungen am Montagmorgen, Freitagnachmittag oder am Wochenende. Die Flexibilität aller sei gefragt. Allein in Hildesheim gebe es normalerweise rund 1800 Veranstaltungen im Semester – bei rund 8500 Studenten.

Vorlesungen könnten auch aufgezeichnet und dann gestreamt werden, sagt Ewald Brahms, Direktor der Universitätsbibliothek Hildesheim. Er ist auch aktiv in der Arbeitsgruppe E-Learning und im Vorstand des Zentrums für Digitalen Wandel. Ohnehin müssten alle lernen, mit der neuen Lage umzugehen – es müsse nicht gleich alles perfekt sein. Und: "Ganz unwissend und erfahrungslos sind die Lehrenden auch nicht", betont Brahms. Schon der bisherige Bedarf an digitalen Angeboten habe viel mit der Lage der Studenten zu tun, die nebenbei arbeiten müssten oder Familie hätten, sagt Sander. An Niedersachsens Hochschulen gibt es laut Landeshochschulkonferenz 210.000 Studentinnen und Studenten.

Persönlicher Kontakt könne aber nicht dadurch ersetzt werden, dass man Unterrichtsmaterial online stelle, meint Brahms. Sollten Konferenzsysteme überlastet sein, könne man immer noch auf Video verzichten und sich mit dem Ton begnügen. Wenn Studenten das Angebot nutzen wollten, bräuchten sie einen Zugang – weitere Lizenzen seien gekauft worden, um Überlastung zu verhindern. Nachgedacht werde über WLAN-Hotspots, damit die Studenten Zugang erhalten – allerdings müsse dann verhindert werden, dass es dort zu Menschenansammlungen komme. Möglicherweise ließe sich die WLAN-Reichweite verbessern.

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"Ich fordere die Kollegen zum Improvisieren auf", sagt Sander. Man müsse Kompromisse eingehen: "Das geht im Moment nicht anders", sagt er etwa mit Blick auf Prüfungen via Skype. Prüfungs- und Studienordnung müssten angepasst werden. "Ich erwarte etwas Mut – dann macht man halt mal etwas falsch." Brahms mahnt an, in der Krisensituation die Grenzen des Urheberrechts zu versetzen. So seien beispielsweise gerade mal zehn Prozent der Monografien digitalisiert.

Letztlich teilt Sander die hoffnungsvolle Sicht des Ministers: "Da werden Dinge schiefgehen, aber was heißt das schon? Man lernt daraus", sagt er. "Ich bin sicher, dass das ein glanzvoller Lernerfolg wird." (tiw)