Der Hass in den Kommentarspalten macht vielen Medien Sorgen
Leser geben zu vielen Berichten im Internet ihre Kommentare ab. Manche Redaktionen müssen jeden Tag tausende davon sichten.
Die ersten Kommentare zu aktuellen Berichten sind im Internet schon morgens zu lesen. Abschiebungen aus Bayern, der Einsturz der Brücke in Genua, der Handelsstreit zwischen der Türkei und der USA – es gibt kaum ein Thema, das auf Medienseiten im Netz nicht gleich von meinungsfreudigen Zeitgenossen kommentiert würde. Einzelne Berichte kommen schnell auf eine dreistellige Zahl an Kommentaren.
Die Alias-Namen der Autoren wie "Old Lästervogel" oder "Superschlau" deuten an, dass hier Menschen gerne ihre Meinung sagen. Und das ist noch harmlos. Oft gleiten solche Meinungsäußerungen in Beleidigungen oder hasserfüllte Pöbeleien ab. Die Deutsche Welle hat vor einer Woche die Notbremse gezogen und die Kommentarfunktion auf ihrer Seite weitgehend eingeschränkt [1].
Das Niveau sank
"Diese Entscheidung ist uns schwer gefallen. Denn gerade wir, die Deutsche Welle, kämpfen ja für einen offenen, kritischen Austausch von unterschiedlichen Argumenten, für die weltweite Pressefreiheit", schrieb dazu Ines Pohl, die Chefredakteurin des deutschen Auslandssenders. "In letzter Zeit haben die überwiegenden Beiträge allerdings ein solches Niveau erreicht, dass sie mit einem konstruktiven Meinungsaustausch nichts mehr zu tun haben." Pohl wies auf den erheblichen Aufwand hin, den es macht, die Kommentare zu prüfen, wozu Medien verpflichtet sind. Das kennen viele andere auch.
ARD-aktuell, verantwortlich für Sendungen wie Tagesschau und Tagesthemen, beobachtet eine stetig ansteigende Zahl an Kommentaren, insbesondere in den sozialen Medien. "Zwischen 12.000 und 15.000 Kommentare erreichen unsere Redaktion pro Tag, fast doppelt so viele wie 2016", so ARD-akuell-Chefredakteur Kai Gniffke. Der Grund dafür sei das gestiegene Interesse an den Berichten etwa der Tagesschau in den sozialen Medien.
"Können wir das überhaupt noch leisten?"
Damit steigt aber auch der Aufwand, die Mengen an Kommentaren im Blick zu behalten. "Auch wir stellen uns immer öfter die Frage: Können wir das überhaupt noch leisten?", erklärte Gniffke. "Denn unser zentraler Auftrag, wie er im Rundfunkstaatsvertrag steht, ist es ja, die Menschen zu informieren. Und dabei dürfen wir keine Abstriche machen."
Bei Spiegel Online und der entsprechenden Facebook-Seite geben User jeden Tag "eine deutlich fünfstellige Zahl" an Kommentaren ab, so Thorsten Beeck, der dort unter anderem für dieZusammenarbeit mit Sozialen Medien verantwortlich ist. Aber Beeck argumentiert auch: "Wir sehen den Austausch mit unseren Nutzerinnen und Nutzern ganz klar als Chance, nicht als Problem. Wir investieren in den Dialog, weil es unserem Verständnis entspricht, dass diese Art der Interaktion rund um einen Inhalt zum journalistischen Produkt gehört."
Viel Schwarz und Weiß, aber wenig Grau
Auch ARD-aktuell will möglichst keine Abstriche beim Community-Management machen – und setzt dafür beim Umgang mit User-Beiträgen auch auf technische Lösungen: Farb-Filter beispielsweise, die den Redakteuren Kommentare anzeigen, in denen sich Zuschauer mit Fragen an die "Tagesschau" wenden – und die auch signalisieren, wenn Netiquette-Verstöße gepostet werden. Nur so gebe es noch eine Chance, die vielen Anmerkungen der Zuschauer und User redaktionell aufzunehmen, so der ARD-aktuell-Chefredakteur.
"Inzwischen sehen wir bei kontrovers diskutierten Themen wie Migration, Feminismus oder der Lage im Nahen Osten häufig ein Auseinanderdriften der Meinungen in zwei Lager", erklärte Gniffke. "Man liest dann die Extreme, das Schwarz oder Weiß – das Grau, die moderaten, sachlichen Stimmen kommen seltener vor." Hinzu komme, dass Interessengruppen versuchten, die Kommentarspalten zu kapern, um ihre Meinung zu verbreiten.
Positive Reaktion auf Einschränkung
Das sieht DW-Chefredakteurin Ines Pohl ähnlich: "Es sind heute richtige Trollfabriken, die sich die Deutsche Welle vorknöpfen, nicht nur einzelne Frustrierte, die nachts am Laptop sitzen." Das Ziel bei der Deutschen Welle sei aber nicht, deshalb gar keine Kommentare mehr zuzulassen. "Punktuell werden wir das auch weiterhin machen. Es geht uns um Priorisierung", betonte Pohl. Kommentare nur noch bei ausgewählten Themen – so will der Sender das Niveau der Diskussionen deutlich verbessern. Und auch auf bei auf Facebook geposteten DW-Beiträgen bleibt es möglich, seine Meinung abzugeben.
Die Reaktionen auf die Entscheidung, die Kommentarfunktion deutlich einzuschränken, seien überwiegend positiv gewesen, so DW-Sprecher Chrstoph Jumpelt. "Es gab reichlich Zuschriften, zu 80 Prozent voller Verständnis, aber auch einige hämische oder zynische Bermerkungen."
Ein Alarmsignal?
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) forderte am Dienstag, mehr qualifizierte Journalisten für die Moderation von Kommentaren und Forenbeiträgen einzustellen. "Dass die Deutsche Welle ihre Kommentarfunktion im Internet wegen der Flut von Hasskommentaren abgeschaltet hat, muss als Alarmsignal für alle Digitalseiten von Medien wahrgenommen werden", so der DJV-Vorsitzende Frank Überall.
"Wir treiben einen enormen Aufwand", sagte DW-Sprecher Christoph Jumpelt dazu, "und geben personell, was wir können, damit diese Diskussionen nicht aus dem Ruder laufen." (axk [2])
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