EU-Parlament: Plattformen haften für Urheberrechtsverletzungen der Nutzer

Das EU-Parlament hat den umstrittenen Kompromissantrag zur Copyright-Reform weitgehend angenommen. Kritiker halten Upload-Filter für unvermeidlich.

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EU-Parlament: Plattformen haften für Urheberrechtsverletzungen der Nutzer

(Bild: hpgruesen)

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Der Berichterstatter für die laufende EU-Urheberrechtsreform, Axel Voss, hat sich mit seinen umkämpften Änderungsanträgen zum ursprünglichen Richtlinienentwurf der EU-Kommission weitgehend durchgesetzt. Letztlich unterstützen bei der entscheidenden Abstimmung im Plenum des EU-Parlaments am Mittwoch 438 Abgeordnete seine Linie, während 226 dagegen waren bei 39 Enthaltungen. Der CDU-Politiker wertete dies als "gutes Zeichen für unsere Kreativindustrie in Europa". Andere Volksvertreter sprachen von einem "herben Schlag für die freie Meinungsäußerung im Internet."

Beim besonders umkämpften Artikel 13 zur Verantwortlichkeit von Online-Plattformen haben die Parlamentarier so festgelegt, dass die betroffenen Betreiber auch nutzergenerierte Inhalte öffentlich zugänglich machen. Sie haften damit für die Handlungen ihrer Mitglieder sowie damit möglicherweise verknüpfte Urheberrechtsverletzungen. Die bestehenden Haftungsprivilegien aus der E-Commerce-Richtlinie sollen so nicht mehr für diese Diensteanbieter gelten.

Die Betreiber müssen daher künftig "faire" Lizenzen mit Rechteinhabern aushandeln, um Klagen wegen Copyright-Verstößen etwa aus der Musik- oder Filmindustrie zu vermeiden. Es gibt aber keine ausdrückliche Verpflichtung für die Rechteverwalter, überhaupt die Nutzung geschützter Werke aus ihrem Repertoire zuzulassen. Für Kritiker steht damit außer Zweifel, dass die betroffenen Plattformen auf Upload-Filter setzen und die hochgeladenen Inhalte vollständig durchleuchten und überwachen müssen, um auf Nummer sicher zu gehen.

Freude bei Axel Voss

Die Volksvertreter hatten die zunächst von Voss geprägte Position des federführenden Rechtsausschusses Anfang Juli nach einer heftigen Lobby-Kampagne mit angeblichen Todesdrohungen noch zurückgewiesen und so den Weg dafür frei gemacht, über das Dossier noch einmal abstimmen zu können. Der Christdemokrat bemühte sich daraufhin, den Protesten den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Zusätzlich zu Online-Enzyklopädien, Bildungsplattformen, Cloud-Anbietern oder Handelsplätzen werden so etwa auch "Kleinst- und Kleinunternehmen" von der Richtlinie nach dem Standpunkt des Parlaments nicht mehr erfasst. Zudem sollen die betroffenen "Online Content Sharing Service Providers" im Dialog mit Rechteinhabern Musterlösungen entwickeln und dabei die Grundrechte, bestehende Nutzerfreiheiten wie Zitate sowie Befindlichkeiten kleiner und mittlerer Unternehmen im Auge behalten werden. Über die Gespräche will das Parlament zudem sichergestellt wissen, dass "automatische Blockaden von Inhalten vermieden" werden. Insgesamt sollen legale Werke weiterhin verfügbar bleiben.

In einem Erwägungsgrund betonen die Parlamentarier, dass der Markt für Technologien zur "Inhalte-Erkennung" bereits "gut entwickelt" sei. Angesichts eines bereits existierenden Wettbewerbs unter einschlägigen Anbietern könnten auch kleinere Firmen einen erschwinglichen Zugang dazu haben. Eine fehlende klare rechtliche Verpflichtung, derlei Werkzeuge einzusetzen, habe dazu beigetragen, dass selbst "dominante" Plattformbetreiber bislang darauf verzichtet hätten.

Die US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) weist dagegen darauf hin, dass das bekannte "Content ID"-System von YouTube Entwicklungskosten in Höhe von 60 Millionen Euro verschlungen habe und in zahlreichen Fällen rechtmäßige Inhalte blockiert habe. Zudem könne jeder Anwender oder Rechteinhaber nutzergenerierten Content auf eine schwarze Liste geschützter Werke setzen, die dann nicht mehr veröffentlicht werden könnten.

Verschlimmbessert hat das Plenum die Formulierungen rund um das nicht weniger umkämpfte, nun auf fünf Jahre festgesetzte Leistungsschutzrecht für Presseverleger und Nachrichtenagenturen im Internet. So sollen diesmal einerseits "legitime private und nicht-kommerzielle Nutzungen von Presseartikeln durch einzelne Nutzer" erlaubt bleiben. Ausnahmen sind auch vorgesehen für Links in Suchmaschinen, die "einzelne Worte" etwa eines Zeitungsberichts enthalten. Dies bedeutet aber im Umkehrschluss, dass eine ganze Überschrift in Trefferlisten nicht angezeigt werden dürfte. Geschützt werden sollen zudem die Rechte von Veranstaltern von Sportereignissen. Es dürfte also für Fans künftig heikel werden, Auszüge aus Sendungen darüber auf Social Media zu teilen oder auf eigene Videoportale hochzuladen.

Der Digitalverband Bitkom geißelte die Pläne vorab als rückwärtsgewandt. Mit Upload-Filtern überschreite die EU erstmals die Grenze zur Zensur, beklagte der Wirtschaftszusammenschluss. Mit dem Leistungsschutzrecht setze das Parlament auf ein Instrument, "das in Deutschland seine Wirkungslosigkeit bereits bewiesen hat und den Verlagen weder eine neue Erlösquelle erschließt noch sie bei der digitalen Transformation unterstützt".

Vor einem "massiven Eingriff in die technische Grundstruktur des Internets", warnte der eco-Verband der Internetwirtschaft. Der eingeschlagene Paradigmenwechsel führe "zu einer Vorabkontrolle von Inhalten und Zensurinfrastrukturen". Künftig entschieden Unternehmen darüber, "was wir im Internet sehen, hören und lesen dürfen". Das Dossier kann nun bald in die sogenannten Trilog-Verhandlungen gehen, in denen Vertreter von Parlament, dem Ministerrat und der Kommission einen Kompromiss suchen müssen. Die Mitgliedsstaaten hatten sich zuvor bereits für Upload-Filter ausgesprochen.

Voss hatte bei der abschließenden Debatte am Dienstag dafür geworben, mit der Initiative "die Ausbeutung unserer europäischen Künstler im Internet" zu verhindern. Riesen-Tech-Firmen machten auf deren Rücken seit Jahren Gewinne. Es gelte nun, "uns an die Seite der Kreativen zu stellen und unsere Werte" wie das immaterielle Eigentum zu schützen. Die Politiker müssten auf "massive Urheberrechtsverletzungen" über Online-Plattformen und den damit verknüpften "kulturellen Diebstahl" reagieren. Keiner hier im Haus wolle irgendetwas zerstören, aber die großen Portale müssten mehr Verantwortung übernehmen.

Die Labour-Politikerin Catherine Stihler hatte dagegen gehalten, dass der Urheberrechtsschutz die Meinungsfreiheit nicht behindern dürfe. Es sei gefährlich, die Haftung der Plattformen grundlegend zu verändern. Wenn rechtmäßige Inhalte blockiert würden, sei das Zensur. Die Piratin Julia Reda, die sich der Fraktion der Grünen angeschlossen hat, hatte eingeräumt, dass Probleme wie die sinkenden Einnahmen von Zeitungs- und Zeitschriftenverlegern ernst seien, aber nicht durch das Urheberrecht entstünden.

[Update 14.09.2018 – 10:05 Uhr] Julia Reda sitzt für die Piraten im Parlament und hat sich der Fraktion der Grünen angeschlossen. Die ursprüngliche Formulierung wurde korrigiert. (mho)